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FRAU SCHINDLER. Mathias Hausmann (Oskar Schindler), Katerina Hebelková (Emilie Schindler), Ensemble. Foto: © Christian POGO Zach
FRAU SCHINDLER. Mathias Hausmann (Oskar Schindler), Katerina Hebelková (Emilie Schindler), Ensemble. Foto: © Christian POGO Zach
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Die unbesungene Heldin singt – Münchens Gärtnerplatztheater ehrt „Frau Schindler“ mit einer Uraufführung

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„Wir Frauen waren immer das Rückgrat und die Nachhut eines jeden gottverdammten Kriegs“ stärkt eine zweite starke Frau der Titelheldin der neuen Oper den Rücken – treffend, einen Abend nach dem Internationalen Frauentag und im historisch kritischen Blick auf die Ehefrau Oskar Schindlers. Dessen Rettung von 1200 Juden vor der NS-Vernichtungsmaschine wurde im Film „Schindlers Liste“ ein Denkmal gesetzt. In Steven Spielbergs tief beeindruckendem Meisterwerk kommt Ehefrau Emilie wenig mehr als vier Minuten vor – das will ein US-Team mit einer Oper ändern.

Komponist Thomas Morse und Kenneth Cazan, Librettist und Regisseur, haben sich ernsthaft und gute drei Jahre mit dem Projekt befasst. Grundsätzlich erzählen sie in einer chronologischen Szenenfolge die zunehmend tragende Rolle, die Emilie Schindler in Krakau, dann vor allem in der Fabrik Brünnlitz bei der Rettung von 1200 Menschen bis zum Kriegsende spielte, vom wirtschaftlichen Scheitern des Ehepaars in Argentinien, vom Zerbrechen der eher unglücklichen Ehe, vom fast Vergessenwerden der bislang unbesungenen Heldin.

Der deutschen Textfassung mag man unzeitgemäße Wörter wie „sexy“, „Stress“ oder „Checkpoint“ noch nachsehen. Doch dann scheinen Morse und Kazan so etwas wie ein „Trumpsches Geschichtslexikon“ benutzt zu haben: im 2.Akt stellt die Brünnlitzer Mühlenbesitzerin Daubek fest, dass die Bolschewiken und die Amerikaner näher kommen – ein Fakt des Herbstes 1944; am Ende des Akts signalisiert dann eine imitierte Reichsrundfunkrede zum Fall Stalingrads 1943 das Kriegsende von 1945; dass nach der rettenden Flucht in die Schweiz amerikanische Grenzsoldaten die Aufnahme regeln, wirkt unrealistisch befremdlich. Also: dramaturgische Überarbeitung nötig.

Überarbeitung nötig

Zu all dem hat der bislang als Filmkomponist tätige Thomas Morse einen weitgehend tonalen Soundtrack geschrieben: fern aller Biennale-Modernismen, sofort eingängig, mal mit leisen Sequenzen der Minimal-music, dann voluminös aufrauschend zu großem, neoromantischem Hollywood-Sound. Das gelang Dirigent Andreas Kowalewitz und dem hinter der Spielfläche postierten Orchester differenziert, an den Höhepunkten beeindruckend und im finalen Verlöschen fesselnd. Die von Morse abseits aller extremen Modernismen eher kantabel geführten Singstimmen wurden nie zugedeckt, doch neben dem Fehlen eingängiger Motive kam auch die steigernde Zusammenführung von Stimme und Orchesterklang zu kurz: zu viel Rezitativ, speziell in den ersten beiden Akten, zu wenig musikdramatische Eindringlichkeit. Auch hier: kompositorische Überarbeitung nötig.

Trotz dieser musiktheatralischen Mängel gelangen dem Ensemble eindringliche Porträts. Über die vielen kleinen Nebenrollen von SS-Offizieren, über jüdische Häftlinge, Kapos, Rabbis, Wachen und „Schreibtischhengste“ steigerte sich die Expressivität hin zur selbstbewussten Mühlenbesitzerin Daubek von Elaine Ortiz Arandes, deren Nahrungsspenden damals das Überleben sicherten. Jennifer O’Laughlin als hinzuerfundenes jüdisches Hausmädchen Marthe ließ in ihrem Ausbruch zur Rettung des Ehepaares wie in ihrem Abschied von Emilie mit leuchtendem Sopran etwas von dem humanitären Ideal leuchten, das kompositorisch noch stärker gestaltet sein sollte. Bariton Mathias Hausmann machte Oskar Schindlers Drahtseilakt zwischen Lebemann und Lebensretter glaubhaft. Mezzosopranistin Katerina Hebelková vermittelte ein exakt zeittypisches Frauenporträt: dem geliebten Mann zunächst allzu ergeben, dann allein mutig durchsetzungsfähig, zur realen Retterin von Hunderten Menschen aufsteigend und schließlich fast unbeachtet verlöschend – ihrer Expressivität wäre eine größere Schlussszene zu wünschen.

Den überzeugendsten Eindruck des Abends hinterließ die Ausstattung von Kevin Knight. Auf zehn konzentrischen Kreisen einer Drehbühne ließ er vor, zwischen und hinter zwei ebenfalls sich drehenden Gitterglaswänden durch zwei große Tor-Türen jeweils wenige Bauteile auf- und abbauen: Emilies Schminktisch, Tafel einer NS-Abendgesellschaft, Salon der Damen, Primitivküche der Fabrik, Schreibstube und Bahnhofshalle, Zugabteil und Rollstuhl-Interview der alten Emilie – alles sehr gut ausgeleuchtet von Michael Heidinger.

Der einhellige Beifall nach dem „Shalom“-Chor in der nicht ausverkauften Premiere sollte das Duo Morse-Kazan nicht täuschen: so wie erfahrene Opernkomponisten des 19.Jahrhunderts oft ganze Akte verworfen und Werke eingehend umgearbeitet haben, müssten auch sie grundlegend überarbeiten. Die zu lang unbesungene Heldin Emilie Schindler verdient ein musiktheatralisch gelungeneres und dadurch größeres Monument.

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