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Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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„Die Walküre“ unter Placido Domingo bei den Bayreuther Festspielen und andere Veranstaltungen rund um den „Ring“

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Als König Ludwig II. nicht warten mochte, das ihm gewidmete Festspiel für drei Tage und einen Vorabend auf der Bühne zu erleben und jeweils nach Vollendung der Partituren Einzelaufführungen von „Das Reingold“ und „Die Walküre" ansetzte, kam es zum empfindlichsten Bruch in der engen Freundschaft zwischen Komponist und königlichem Mäzen. Denn für Wagner von größter Wichtigkeit war die zyklische Aufführung seines Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“, und die fand dann 1876 zum ersten Mal bei den Bayreuther Festspielen statt, wo seit Ende des 19. Jahrhunderts der komplette „Ring“-Zyklus zum Kanon der dort gespielten Werke Richard Wagners gehört.

Unter Berufung darauf, dass einzelne Teile des „Ring“-Zyklus auch in den vergangenen Dezennien als Gewerkschafts-Aufführungen auf dem Programm standen, erfolgte in diesem Sommer ein Novum im Festspiel-Angebot: „Die Walküre“ ohne die anderen Teile der Tetralogie. Grund für diese Entscheidung sind sicherlich wirtschaftliche Überlegungen, da sich ohnehin der erste Tag des Bühnenfestspiels auch andernorts besser verkauft als der Vorabend und die nachfolgenden Tage. Zum anderen aber wurde „Die Walküre“ von Frank Castorf als szenisches Remake einer Schauspielproduktion an der Volksbühne (Anton Tschechows „Das Duell“) vom Publikum in den Vorjahren mehr akzeptiert als der Rest seiner „Ring“-Inszenierung. Außerdem könnte man argumentieren, der „Ring“ stehe ja in Bayreuth ohnehin weiterhin auf dem Programm – wenn auch (nur) als Kinderoper.

Einen weitere komplette „Ring“-Handlung besuchte der Rezensent am spielfreien Tag des Premierenzyklus im sommerlich traditionell auf dem Hof der Klavierfabrik Steingraeber errichteten Theaters.

Der ganze „Ring“ – in heutiger Ausdrucksweise gesprochen

Im Hoftheater der Klaviermanufaktur Steingraeber bringt die Studiobühne Bayreuth bereits seit Mitte der achtziger Jahre gesprochene Versionen zur Aufführung, vom Autor und Regisseur Uwe Hoppe in ein heutiges Deutsch transferiert. Die Produktionen auf dieser Bühne waren in den achtziger und neunziger Jahren Fundgrube und Anhaltspunkt für Regisseure, welche die frechen Ansätze und ebenso simplen wie wirkungsvollen Lösungen für ihre Inszenierungen am Festspielhügel adaptierten. Zum wiederholten Male hat sich Hoppe in diesem Jahr dem Kosmos des „Ring“ im neuen sprachlichen Gewand genähert. 

In einer neuen Rahmenhandlung werden Bayreuther Gymnasiasten durch ein Videospiel unwillkürlich auf die Bühne des Hoftheaters geführt und kommen dort in Kontakt mit zwei älteren Darstellern, welche in Erinnerungen an die Zeit des Aufbruchs im Regietheater der siebziger und achtziger Jahre schwelgen. Zunächst unwillig, dann immer begeisterter spielen die jungen Darsteller Wagners Geschichte nach, teils mit Zitaten, teils mit eigenen Worten, welche die Deutung der verkürzten Handlung transportieren. Das geht etwa am Ende des ersten Aufzugs der „Walküre“ so, dass Siegmund das Schwert mit Wagners Originalworten, „Heraus aus der Scheide zu mir!“ aus der Esche zieht; was anschließend nur die Musik erzählt, wird hier vom Geschwisterpaar ausgesprochen: „Hinein in die Scheide zu mir!“ drängt Sieglinde, Siegmund fragt nach, „Aber wir sind doch Geschwister“, sie erwidert „Ich dachte, du liebst mich“ – „Und wie!“ – „Dann komm!“ – und so kommt es zur Zeugung von Siegfried. Was die jungen Laiendarsteller an der Schwelle zur Professionalität dabei emotional vermitteln und obendrein mit heutigen Problemen und Betrachtungsweisen anfüllen, das vermag die Rezipienten bisweilen zu Tränen zu rühren. In die banale Bayreuther Realität zurückgeholt wird der Wagner-Kenner dann allerdings durch falsche Namens-Betonungen auf der zweiten Silbe, wie Walküre und Sieglinde.

Die separierte „Walküre“

Die Separierung der „Walküre“ als Einzeldarbietung am Ort der zyklischen Festspielidee ist eine fragwürdige Unternehmung. Einen Publikumsmagnet bei der Wiederaufnahme dieser Inszenierung sollte wohl das Dirigat von Placido Domingo bilden. Der Startenor, der hier im vergangenen Dezennium auch als Siegmund zu erleben war, versucht sich inzwischen in transponierten Bariton-Partien. Dass Domingos Debüt in Bayreuth erfolgt, ist ein Wagnis. Insbesondere im verdeckten Orchestergraben konnte es nur partiell aufgehen. Obgleich Domingo von Hause aus Sänger ist, schienen gerade die Solisten nicht im Fokus seiner Interpretation zu liegen, worauf zahlreiche Diskrepanzen zwischen Graben und Bühne deutlich hörbar verwiesen. Nach einem überaus domestizierten Vorspiel und ersten Aufzug, der dann prompt auch im Bühnengeschehen mehr konzertante Attitüde denn fesselndes Spiel entfachte, verdichtete sich der musikalische Fluss im zweiten Aufzug, insbesondere beim langen Monolog Wotans, den John Lundgren mit großer Souveränität ausdrucksstark verkörperte. Nunmehr reißt sich Wotan seinen langen Patriarchenbart angesichts der von ihm angezettelten Revolution in Baku auf der Szene sichtbar ab: es war eine Verkleidung, wie jede Erscheinungsform von Wolfe oder Wälse als einem Wanderer zwischen den Zeiten und Welten.

Die Todverkündung glückte als ein sehr intimer Moment der ungleichen Geschwister – mit der die Kindlichkeit der Wotanstochter herauskehrenden, die Partie der Brünnhilde mühelos bewältigenden Catherine Foster und dem schweren Heldentenor von Stephen Gould als Siegmund.

Der Kampf zwischen Siegmund und Hunding fand off-stage statt, notdürftig projiziert auf ein Laken, obgleich die Kameramänner im Laufe der Spielzeiten dieser Produktion merklich professioneller geworden sind.

Mehr hysterisch als liebevoll weich wirkte auf mich die voluminöse Sieglinde von Anja Kampe. In seiner wohltönenden Umsetzung des Hunding vermag Tobias Kehrer Sympathien für den Finsterling zu verbuchen. Die schönste Stimme des Abends bot Marina Prudenskaya als eine ihre Geisel szenisch etwas überbetonende Fricka, mit facettenreicher Stimmgebung und -führung. Die Schwertleite gestaltet Marina Prudenskaya im Walküren-Oktett, das als kommunistische Siegesfeier der sich anpassenden Herrschaftsklasse inszeniert ist. Dass sich die Solistin dann ohne die Kolleginnen des ziemlich ausgewogenen Oktetts nur im Kostüm der Fricka verbeugt, kostet sie einige der gewonnenen Sympathien.

Musikalisch kommt der Walkürenritt als ein sehr gemäßigter Luftritt daher, und weitere Steigerung erfährt dieser dritte Aufzug dann nicht mehr – was aber auch daran liegt, dass die synchron als Stummfilm gezeigte Handlung der Ölgewinnung und Freundschaftsszenen der Helden des Films mit dem Abschied Wotans von seiner Tochter Brünnhilde wetteifert. Die Projektion erfolgt zu den Häuptern der Protagonisten, auf das Seitendach der zuvor mit aserbeidschanischen Revolutionsparolen beschmierten Öl-Kathedrale, deren rote Sowjetsterne in die Nacht leuchten und deren mit roten Fahnen bestückter Bohrhammer sich in unerbittlichem Rhythmus über dem Orchestergraben hebt und senkt. Da der als Feuerkreis brennende Öltank die am Premierenabend enorme Hitze im Auditorium des Festspielhauses noch steigerte, ergab sich daraus nicht der intendierte, durch optische Reizüberflutung gesteigerte Kunstgenuss. Der Dirigent Placido Domingo stand gebeugt im Pro und Contra von Missfallen für den Dirigenten und Bewunderung für die ungewöhnliche Tat der inzwischen greisen Sänger-Persönlichkeit.

Ungeteilter Jubel hingegen für die Solisten, die diesen Abend als gelungenes Sängerfest für sich verbuchen konnten. Frank Castorf zeigte sich beim Applaus nicht.

Siegfried-Idyll mit dem nach Wahnfried heimgekehrten Taktstock Wagners

Ausschließlich für geladene Gäste erfolgte die Rückführung eines von einem US-Soldaten als Beutegut mitgenommenen Taktstocks. Nach der Bombe auf Haus Wahnfried im Jahre 1945 hatten die GIs freien Zugang zum stehen gebliebenen Teil des Wohnhauses und sammelten Souvenirs aus den Schränken, u. A. einen hölzernen Taktstock Richard Wagners.

Mit diesem hatte Wagner am Weihnachtstag des Jahres 1870 im Treppenhaus von Haus Tribschen die Uraufführung seines Siegfried-Idylls in der kammermusikalischen Urfassung als „Tribschener Idyll“ dirigiert, auf welches Ereignis eine Gravur im vierkantigen, spitzenlosen Holzstöckchen verweist. Die zweite Eigentümerin ermöglichte jetzt die Rückführung nach Bayreuth: mit Hilfe der Oberfranken-Stiftung wurde das Beute-Gut angekauft. Christian Thielemann dirigierte die 13-köpfige Besetzung aus Mitgliedern des Bayreuther Festspielorchesters in der Halle von Wahnfried – in einem so breiten Tempo, dass das von Wagner darin verarbeitete Kinderlied für seine Tochter Eva, „Schlafe Kindchen, schlafe!“ als eine nicht mehr singbare Melodie erklang. Feierlichkeit zu feierlichen Anlässen hat offenbar ihre eigenen Gesetze.

Gesamt-Gastspiel in Abu Dhabi

Flugblätter kündigen für den 30. Januar und 1. Februar 2019 – unter der Schirmherrschaft von Scheich Abdullah bin Zayed Al Nahyan – ein Gesamtgastspiel der „Walküre“ im Emirates Palace in Abu Dhabi an. Damit wird die lange Reihe der internationalen Gastspiel-Verpflichtungen der Bayreuther Festspiele seit der Ära Neu-Bayreuth nach dem zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Dieses Doppel-Gastspiel wird wohl angesichts des von Frank Castorf in seiner Inszenierung thematisierten Öls doppelte Beachtung erfahren.

  • Weitere Aufführungen: 18. und 29. August 2018.

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