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Joana Mallwitz. Foto: © Nicolai Lund
Joana Mallwitz: Ohne gutes Konzert bringt auch Vermittlung nichts. Foto: Nicolai Lund
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„Dirigieren lernt man nicht durch Nachdenken“ – Joana Mallwitz in Salzburg

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Zwei Tage vor der Premiere. Die Proben zu „Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen sind abgeschlossen. Joana Mallwitz hat während der Orchesterproben alle Interviewanfragen abgelehnt. Sie wollte sich ganz auf die Musik konzentrieren. Eigentlich hätte sie in diesem Sommer in Salzburg die Wiederaufnahme der „Zauberflöte“ dirigieren sollen. Nun ist es die kurzfristig angesetzte Neuproduktion der „Così fan tutte“ in der Regie von Christof Loy geworden. Eine Woche nach Pfingsten kam die Anfrage von Intendant Markus Hinterhäuser. Dazu musste eine eigene, 130-minütige Strichfassung erstellt werden, die ohne Pause gespielt wird. Auch die Probenzeit war verkürzt. Schwierige Umstände für eine Perfektionistin, die ungern Kompromisse macht?

„Die ‚Così‘ ist mir eines der liebsten Stücke überhaupt – deshalb habe ich sofort zugesagt. Die verkürzte Probenzeit fühlte sich auch nicht als Kompromiss an, weil wir sehr intensiv geprobt haben. Das ganze Team hat sich sozusagen in einen Lockdown begeben – alles war auf diese Produktion fokussiert. Wir hatten Idealbedingungen“, schwärmt die 33-jährige Dirigentin. Sie ist die erste Frau, die in der 100-jährigen Geschichte der Salzburger Festspiele eine neue Opernproduktion dirigiert. Das ist für viele ein Thema – für sie selbst aber nicht. „Ich bin immer mal wieder überrascht, wo man überall die erste Frau sein kann. Das ist auch nichts, worauf man stolz ist. Für mein Geschlecht kann ich ja nichts“, bemerkt sie trocken.

Die Erste war sie schon häufig. Bereits mit 13 Jahren schreibt sich die 1986 in Hildesheim geborene Lehrerstochter als Frühstudentin an der Musikhochschule Hannover für Klavier und später auch Dirigieren ein – der Pianist Igor Levit ist ihr Kommilitone. Mit 19 wird sie Korrepetitorin mit Dirigierverpflichtung am Theater Heidelberg. Der damalige Generalmusikdirektor Cornelius Meister hatte sie bereits zwei Jahre zuvor in Hannover erlebt, wie sie auswendig „Le sacre du printemps“ von Igor Strawinsky dirigierte. Nachdem sie in Heidelberg ohne eine Probe eine „Madame Butterfly“-Premiere rettete, machte sie Meister zur zweiten Kapellmeisterin und Assistentin, die viele Dirigate übernahm. „Joana Mallwitz zeichnet sich durch ihre herausragende Musikalität aus, ihre tiefe Partiturkenntnis, ihren Anspruch und Fleiß, Tag und Nacht für ihr Orchester da zu sein, und ihre große Hilfsbereitschaft und Empathie“, sagt Cornelius Meister, inzwischen GMD an der Stuttgarter Staatsoper. „Natürlich waren die ersten Jahre als Kapellmeisterin in Heidelberg extrem intensiv und auch stressig, weil ich dort einfach Repertoire fressen musste“, sagt Mallwitz rückblickend und zeigt sich dankbar für Meisters Vertrauen. Denn: „Dirigieren lernt man nicht durch Nachdenken.“ Mit 27 wird Mallwitz jüngste Generalmusikdirektorin Europas am Theater Erfurt. Vier Jahre später übernimmt sie die gleiche Position am Staatstheater Nürnberg. Dort hat sie die Staatsphilharmonie zu neuen Höhen und im Orchester durch akribische Probenarbeit, klare Kommunikation und viel Energie zu einer Aufbruchsstimmung geführt. 2019 wählt sie die Fachzeitschrift Opernwelt zur „Dirigentin des Jahres“.

Auch Wagner hat Mallwitz schon viel dirigiert, zuletzt einen umjubelten „Lohengrin“ in Nürnberg. Fühlt sie sich schon reif für den Grünen Hügel? „Es gab schon einmal eine Anfrage, die ich leider absagen musste, weil gleichzeitig Salzburg geplant war. Es kommt immer darauf an, welches Stück angefragt werden würde. Das müsste ich dann am konkreten Beispiel entscheiden.“ Jetzt ist aber erst einmal Mozarts „Così fan tutte“ an der Reihe. Sie möchte mit den Wiener Philharmonikern eine sprudelnd-frische, musikantische Interpretation erzielen, die aber ein echtes Cantabile entfalten soll, „um auch die Ruhepunkte und Abgründe in Mozarts Musik erfahrbar zu machen.“ Für die mit dem Tenor Simon Bode verheiratete Dirigentin ist das Werk die „zeitloseste und persönlichste Oper Mozarts. Die lustige Verwechslungsgeschichte ist nur der Rahmen. Es geht darum, was mit Menschen im Verlauf eines ganzen Lebens passiert. In der Geschichte der vier Liebenden steckt alles drin – von der Verliebtheit bis zur Verbundenheit, von der schwerelosen Jugend bis zum schicksalshaften Füreinanderbestimmtsein, von der Verletztheit bis zur Versöhnung.“

Dass die Salzburger Festspiele in dieser Form stattfinden können, erfüllt sie mit großer Dankbarkeit. „Gerade die Oper ist eine Kunstform, die alles zusammenführt und verdichtet, was in Coronazeiten ja eigentlich vermieden werden soll. Aber dass das Festival hier einen Weg gefunden hat, das Unmögliche zu ermöglichen und der Welt zeigen kann, dass es geht – das ist ein wunderbares Zeichen an den gesamten Kulturbetrieb.“

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