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foto: Hana Smejkalová, Národní divadlo
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„Don Hrabal“ – Neue Oper als Denkmal für einen toten Dichter

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All you can read oder: Eine Einladung, Bohumil Hrabal neu zu entdecken. Auch eine gute Idee, tote Dichter zu ehren: Man schreibt eine Oper. Nicht nach einem Text des Poeten, sondern nach dessen Leben und Werk. Wie wunderbar das funktionieren kann, hat jetzt der 1973 in Brno geborene Komponist Miloš Orson Štědroň mit seiner Kammeroper „Don Hrabal“ bewiesen. Uraufgeführt an der Neuen Szene des Prager Nationaltheaters, im sogenannten Kubus, wo experimentelles Herangehen und das Ausprobieren künstlerischer Vorgänge eine adäquate Heimstatt haben.

Aber was heißt hier experimentell? Štědroňs Musik ist derartig von unterschiedlichsten Einflüssen durchwachsen, dass sie geradezu als eine klangliche Entsprechung zur Literatur des vor genau zwanzig Jahren verstorbenen Schriftstellers Bohumil Hrabal verstanden werden kann. Der wird in der tschechischen Nachbarrepublik, wo er heute zur Schulliteratur zählt, in einem Atemzug mit Franz Kafka und Jaroslav Hašek genannt. Hierzulande, obwohl einst waghalsig bei Volk und Welt sowie vorzüglich bei Suhrkamp ediert, ist er heutzutage wohl nur mehr Experten und / oder literaturkundigen Außenseitern bekannt.

Im Weltkriegsjahr 1914 im damaligen Brünn geboren, durchlebte Hrabal eine wechselvolle Kindheit, der sich ein abenteuerliches Künstlerdasein anschloss. Vom leiblichen Vater nicht anerkannt, quälte er sich durch Schulzeit und mütterliche Obhut, genoss die Nähe zum skurrilen Bruder des Stiefvaters (der als Onkel Pepin Niederschlag im literarischen Werk fand) sowie alsbald auch zu Mädchen und Frauen, was wiederum der liebenden Mutter missfiel. In ersten Schreibversuchen widerspiegelte Hrabal seine Tätigkeiten bei der Eisenbahn sowie als Versicherungsvertreter und Stahlarbeiter, im tschechoslowakischen Sozialismus eckte er mit seiner aberwitzigen und oft doppelbödigen Literatur an, erhielt Publikationsverbot und „rehabilitierte“ sich mit einer abgründigen Selbstanklage. Rückhalt fand er in seiner poetischen Fantasie wie in den seinen Lebensweg begleitenden Liebschaften.

Als ein „Porträt des Künstlers als alter Mann“ will Miloš Orson Štědroň seine Oper verstanden wissen – und sieht in Bohumil Hrabal einen „letzten Mohikaner“, der geradezu träumerisch nach Schönheit(en) im oft so tristen Alltag sucht.

Der Komponist hat dafür eine Fülle von Klangwelten erschaffen, die in einem melodischen Mix mal Revue assoziieren, mal Walzer, Blues und Charleston zitieren, dann Richtung Gypsy mutieren und nicht zuletzt auch mechanische Arbeitsvorgänge zelebrieren. In einer Kleinstbesetzung mit mehr Bläsern als Streichern, ergänzt um Gitarren und Keyboard, tönt dies gefällig verstörend unter Dirigent Jan Chalupecky aus dem winzigen Graben. Auf der kleinen Bühne hat Regisseurin Linda Keprtová, seit vorigem Jahr Operndirektorin in Liberec, ein Kammerspiel inszeniert, das mit fünf nacktbeinigen Mädchen in weißen Hemden beginnt. Dieses Quintett umspielt Don Hrabal, der vom Bariton Roman Janál in einer Art Bill Murray gegeben wird, geradezu täubchenhaft.

Schon dieses Bild gemahnt an den bis heute nicht ganz geklärten Tod Bohumil Hrabals, der 1997 – angeblich beim Taubenfüttern – aus dem Fenster eines Klinikums stürzte. Dieser Unfall, womöglich ein Freitod, gilt seither als vierter der legendär gewordenen Prager Fensterstürze. Štědroň allerdings stellt Hrabal nicht in eine Reihe mit Hussiten, Böhmischem Ständeaufstand und dem Tod von Jan Masaryk, er zeichnet getreu Vita und Werk dieses einzigartigen Schriftstellers nach. Mit künstlerischen Freiheiten, versteht sich.

Wie um die Vielgestaltigkeit des Literaten zu betonen, ist das Libretto in tschechischer Sprache mit deutschen, englischen und lateinischen Einsprengseln verfasst. In nicht mal ganz eineinhalb Stunden Spieldauer altert die Titelfigur vom mütterlich umhegten Schulkind zum höchst disziplinierten Eisenbahner, vom begehrten Erotomanen zum gebrochenen Egozentriker, dem nur mehr die Federn der einstigen Täubchen ums Haupt flattern.

Roman Janál macht das darstellerisch ebenso wie sängerisch genial, Lenka Šmídová als Hrabals Mutter ist hinreißend komisch, Jana Sykorová gibt die Ehefrau Pipsi herrlich überzogen und Yukiko Kinjo verkörpert eine betörend in höchste Höhen singende Muse.

Das Finale dieser Kammeroper ist so groß, wie es kurz ist: Da suggeriert ein chromatischer Geigenton den tödlichen Sturz des Don Hrabal, es folgt ein dramatisches Tösen und Tosen – und die Oper ist aus. Was bleibt, ist das literarische Werk.

Termine: 20., 22. Dezember 2017 sowie 3. Januar und 6. Februar 2018.

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