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Maren Engelhardt (Muse), Aldo di Toro (Hoffmann), Stefan Hadžić (Coppelius), Steven Ebel (Andrés) © Isabel Machado Rios. Foto: Isabel Machado Rios
Maren Engelhardt (Muse), Aldo di Toro (Hoffmann), Stefan Hadžić (Coppelius), Steven Ebel (Andrés) © Isabel Machado Rios. Foto: Isabel Machado Rios
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Drei (Zeitgeist-)Schwestern – Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ am Staatstheater Kassel

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Schauspielregisseure, die sich an die Oper wagen, sind ein Kapitel für sich. Da haben sich schon manche von einer spät erwachten Liebe zum benachbarten Genre verleiten lassen, vom Publikum das gleiche zu denken und ihre eigene Begeisterung zu inszenieren. Die renommierte Filmfrau Doris Dörrie hat dafür bei einem frühen Beispiel ihres gelegentlichen Genrewechsels vom Film zur Oper in Münchner mit ihrem „Rigoletto" im Jahre 2005 ein Schulbeispiel geliefert. Fürs Publikum war der Verdi-Hit eben kein Neuland und ihr inszenierter Ausflug auf den Planeten der Affen war kein Weg der Verführung, sondern eine Sackgasse.

Auch Jaques Offenbachs großartiges, erst nach seinem Tod zu Bühnenehren gekommenes Opernfragment „Les Contes d’Hofmann“ bedarf nicht wirklich einer Art Buchstabierhilfe. Dass die koloraturträllernde Automatenfrau Olympia, die todkranke Sängerin Antonia und die Kurtisane Giulietta, die den drei mittleren der fünf Akte zu ihrem Namen verhelfen, auf den zweiten Blick nicht wirklich eigenständige Frauen aus verschiedenen Lebenssphären sind, sondern Projektionen eines kriselnden Dichters, der sich der verehrten Sängerin Stella nicht anzunähern vermag, ist sozusagen Basis und Ausgangspunkt für jede Inszenierung. Die spüren dann meistens mit Milieu-Studien oder Exkursen zu den Quellen der Kreativität eines Dichters dem Subtext der Musik nach. Bis diesem Hoffmann am Ende vom Chor die resümierende Erkenntnis entgegenschlägt, dass eher das Leiden, als die Liebe zur Quelle von Neuem wird. Hoffmann hat immerhin eine personifizierte Muse an seiner Seite, bei der (ziemlich modern) eigentlich egal ist, ob die nun – wie der Name – ein Mann oder – wie deren Stimmlage – eine Frau ist.

Bei der ersten Operninszenierung der renommierten (gerade erneut ausgezeichneten) Schauspielregisseurin Claudia Bauer im Staatstheater Kassel ist ihre offensichtliche Neugier auf das Nachbargenre und ihre Profession als Schauspielregisseurin in Gestalt eines personifizierten Trios aus den Schauspielerinnen Iris Becher, Annalena Haering, Annett Kruschke mit von der Partie. Schrill überzeichnet in Aussehen und Sprechweise. Was die Drei an deutschem Text zum französischen Gesang beisteuern, versteht man nur punktuell, da diese Passagen im Unterschied zum Gesang nicht übertitelt werden. Auf diese Weise führen sie kaum zur Geschichte oder ihrer möglicherweise beabsichtigten Erläuterung hin, sondern von ihr weg. Auch, weil sie den Fluss der Musik (vor allem im letzten Beitrag als opulent aufgedonnerte Stella Wiedergängerinnen) unterbrechen. Im Programm ist ein Teil des Stellatextes im fünften Akt nachzulesen: „Ich brauche einfach mal eine andere Figur. Eine Figur quer zu den tödlichen Trennungen von Geschlecht, von Natur, Kultur und Technik, von Organismus, Sprache und Maschine. Ich hab keine Lust mehr mich abzuschließen oder abgeschlossen zu sein. Ich möchte verwandt sein.“ So spricht das Frauen-Trio und wirkt vor allem optisch vor sich hin. An ihrer Aufgabe als „summender, stechender, saugender Schwarm“, als chorisches Kollektiv, die Bedeutung von Mann, Frau und Individuum in Frage zu stellen, wie das Programm die erklärte Absicht der Regisseurin wiedergibt, müssten sie jedenfalls noch ein wenig arbeiten, wenn das im Auditorium ankommen soll.

Bei der eigentlichen Geschichte kommt die in ihren Schauspielproduktionen so selbstbewusst phantasiereiche Claudia Bauer dann jedoch nicht auf Touren. Sie lässt sich von allzu großem Respekt vor der Vorlage (mit viel Rampe) regelrecht ausbremsen. Sie legt mit einem kurzen, gut gemachten Video von Jonas Alsleben gleichsam einen Theaterrahmen über das sich von Akt zu Akt nur leicht verändernde Einheitsbühnenbild von Andreas Auerbach. Im Video schreiten zunächst drei Damen mit Hochfrisuren auf einen Vorhang zu und betreten dann leibhaftig die Bühne. Die wird beherrscht von einem nüchternen Raum, der irgendwo zwischen Foyer, Bar und Probensaal vermutet werden kann. Bei Bedarf fährt ein XL-Bartresen von links, oder das Krankenbett für Antonia von rechts auf die Szene. Bei den Kostümen von Vanessa Rust, Patricia Talacko dominieren Pastelltöne, kurze Hosen und ein leichter Hang in die Groteske. Dazu kommen gelegentlich Vorhänge von oben oder eine Freitreppe für den Auftritt von Antonias Mutter.

Bei Bauer verkörpert Judith Spießer alle drei Frauen. Und das mit Bravour. Als Olympia ist sie mit hervorgehobener Busen-, Hintern- und Geschlechtskennzeichnung albern in eine Sexpuppenhaftigkeit überzeichnet. Als Antonia flieht sie in einer Kombination aus Tütü und Zwangsjacke immer wieder aus dem Krankenbett. Als Giulietta kommt sie in glitzernder Glamourrobe. So wandlungsfähig wie ihre Garderobe ist Spießer mit der vokalen Ausstattung der drei Teil-Traumfrauen Hoffmanns.

Der Einheitsraum hat zwar in der Geräumigkeit Vorzüge, behindert aber den so beliebten Ausflug nach Venedig im Giulietta Akt. In einem von Männern mit weißen Bademänteln oder freiem Oberkörper frequentierten Wellnessbereich kommt kein Hauch von teuflischer Dekadenz auf, bei dem jemandem sein Schatten abhanden kommen könnte. Da sich die Regie auch zu der aus Offenbachs weniger bekannten Oper „Rheinnixen“ übernommenen als Barkarole berühmt gewordenen Wunschkonzertnummer jedes Gondeln konsequent verkneift, vermisst man das Quantum von unumgänglichem Klischee-Kitsch geradezu.

Als Hoffmanns Rivale bei Stella geistert auch Stefan Hadžić als Lindorf immer wieder in wechselnder Gestalt durch dessen Geschichten. Er verkauft als Coppelius, Olympias Erfinder Spalanzani (Daeju Na) künstliche Augen für seine Geschöpfe und offeriert Hoffman die Wunderbrille, durch die er sie als liebendes Wesen wahrnimmt, was natürlich zwangsläufig in der Katastrophe mündet. Bei seiner Begegnung mit Antonia kommen ihm dann erst deren besorgter und warum auch immer im seltsamen Morgenmantel daherkommender Vater Krespel (Sam Taskinen) und dann wieder Lindorf – jetzt als teuflischer Doktor Mirakel – mit falschem Rat in die Quere. Der große Auftritt nicht nur der Stimme, sondern der singenden Mutter (Marta Herman) auf einer hereingefahrenen Treppe sorgt für den Rest. Im Venedig-Akt dann wird Hoffmann selbst zum Opfer einer Verschwörung, in der sich Lindorf als Dapertutto der bereitwilligen Kurtisane Giulietta bedient.

Trösten kann sich Hoffmann mit seiner Muse Niklaus, seinem alten Freund Alkohol und der Genugtuung, dass am Ende auch Lindorf Stella nur als sich emanzipierende Frau von hinten sieht. Aldo di Toro ist ein höhensicherer, konditionsstarker Hoffmann, Maren Engelhardt die zuverlässig eloquente Muse an seiner Seite.   

Mario Hartmuth sorgt am Pult des Staatsorchesters Kassel für einen sinnlich farbigen Orchesterklang, der allemal ungebremst aufsteigt und wenigstens für nahezu ungetrübten musikalischen Genuss sorgt.

  • (Die Eindrücke beruhen auf dem Besuch der Generalprobe am 21. September 2022, Premiere  ist am 24. September)

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