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Rheingau-Festival, Abschlusskonzert. Foto: Ansgar Klostermann
Rheingau-Festival, Abschlusskonzert. Foto: Ansgar Klostermann
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Ehrungen und Raritäten. Die Endphase beim Rheingau-Musik-Festival.

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Auszeichnungen und Ehrungen prägten die Endphase des Rheingau-Musik-Festivals. Sie gingen an den scheidenden hessischen Ministerpräsident Roland Koch, an Festival-Mitbegründer Walter Fink, an die junge spanische Geigerin Leticia Moreno und an die Taschenoper Lübeck. Doch auch die künstlerische Bilanz kann sich sehen lassen.

Roland Koch, der so eben verabschiedete hessische Ministerpräsident, war nicht nur Schirmherr des Rheingau-Musik-Festivals, sondern auch Vorsitzender des Kuratoriums. Festival-Intendant Michael Herrmann ließ ihn ungern ziehen und trug ihm schon bei der Eröffnung an, den Kuratoriumsvorsitz weiter zu behalten. Beim Abschlusskonzert in Kloster Eberbach würdigte er Kochs jahrelange Treue und Unterstützung. Der Ministerpräsident habe „viele Türen geöffnet“ – für ein Festival, das sich fast zur Hälfte aus Sponsorengeldern finanziert, in der Tat ein wichtiger Aspekt. Er steckte Koch die goldene Ehrennadel mit Halbedelstein des RMF an und ließ es sich nicht nehmen, gegen den Willen des Geehrten „dem lieben Roland“ für seine persönliche treue und warmherzige Freundschaft zu danken, die so gar nicht dem Bild entspreche, das in den Medien über den hessischen Ministerpräsidenten verbreitet werde.

Koch, der in der Tat eher als kaltschnäuziger Politstratege gilt, zeigte schon beim Eröffnungskonzert Zeichen von Rührung. Er und seine Emotionen seien das eine, die Interessen des Landes Hessen seien das andere. Inzwischen signalisierte der Nachfolger im Ministerpräsidentenamt sein Einverständnis, und Koch wird dem Kuratorium weiter vorsitzen. Beim Abschlusskonzert hob er die Bedeutung des Festivals für die Region hervor. Man sei gut vernetzt und geschäftlich erfolgreich im Rhein-Main-Gebiet, aber das sei eben nicht alles. Man müsse sich auch wohlfühlen können. Und da wolle er die Konzerte an all den Orten im Rheingau nicht missen. In das Festival selbst, das „die unternehmerische Entscheidung eines einzelnen Mannes“ gewesen sei, habe das Land kein Geld stecken müssen, doch in die noch laufende Renovierung von Kloster Eberbach habe man in 11 Jahren 57 Millionen Euro investiert. Um so wichtiger, meinte Koch, dass dieser Ort nicht nur „ein Platz der Geschichte“, sondern ein „Platz unserer Zeit“ sei.

Dass Koch hier über den Tellerrand des knallharten Politikbetriebs hinaussah, war unverkennbar. Erreicht Kultur also doch die eine oder andere Politiker-Seele? Man ist versucht, an Georg Friedrich Händels Wort über seinen „Messias“ zu denken: Es gehe ihm nicht darum, die Zuhörer zu unterhalten, sondern sie zu bessern. Der „Messias“ stand zwar in diesem Jahr nicht auf dem Programm. Doch im Abschlusskonzert erklang Jules Massenets Oratorium „Marie-Magdeleine“, das nach der Uraufführung 1879 in Frankreich ein Riesenerfolg war, auf deutschen Spielplänen aber kaum je auftaucht. Das Publikum honorierte den künstlerischen Mut: Die Basilika von Eberbach war gut besucht, vielleicht auch des Werktitels wegen. Dass Maria Magdalena, im Neuen Testament mehrfach erwähnt, dem historischen Jesus offensichtlich nahe stand, führt bis heute zu lebhaften Spekulationen über das Verhältnis der beiden. Der Komponist orientierte sich am Bibeltext, folgte aber der umstrittenen kirchlichen Überlieferung, die Maria Magdalena mit der Schwester von Marta und Lazarus und der „Sünderin“ in Kap. 7 des Lukas-Evangeliums gleichsetzt.

Daraus entstand ein gut 90-minütiges Konzentrat der Lebens- und Wirkungsgeschichte Jesu aus der Perspektive der Titelfigur, in dem die Musik Situationen und Gefühlsregungen derart plastisch malt, dass man sich beim Hören und Mitlesen des Textes die Handlung bildhaft vor Augen führen kann. Im 1. Akt verteidigt Jesus die bekehrte Prostituierte gegen eine aufgebrachte Menge. Hier schon erscheint als Intrigant der Verräter Judas. Im 2. Akt kehrt Jesus mit seinen Jüngern in Marias Haus ein. Er erweist sich als feinfühliger Mensch und zugleich als energische Führungspersönlichkeit. Das erste Bild des 3. Aktes zeigt die Kreuzigungsszene auf Golgatha vor einer aufgewühlten und aufgepeitschten Volkmasse. Im Schlussbild schließlich begegnet Maria Magdalene dem Auferstanden am Grab. Erst hier setzt mit Engelschor und Orgel die Überhöhung des Menschen Jesus zum Erlöser. Massenet selbst hat das Werk ein „geistliches Drama“ genannt und mit Szenenanweisungen ausgestattet. Dem ungemein präsenten Philharmonischen Orchester Brno und dem in den verschiedensten Facetten glänzenden Tschechischen Philharmonischen Chor Brno gelang unter dem erfahrenen Leoš Svárovský eine packende Aufführung. Nur den Solisten fiel die flüssige französische Diktion zum Teil etwas schwer.

Bachs „Osteroratorium“ gehört ebenfalls zu den Raritäten. Dass es trotz seiner musikalischen Qualitäten nicht zum kirchenmusikalischen Kanon gehört, dürfte zum einen daran liegen, dass Bachs „Johannespassion“ und „Matthäuspassion“ in den Wochen vor Ostern die kirchenmusikalischen Ressourcen genügend auslasten. Zum andern darf man inhaltliche Gründe vermuten. Beim „Osteroratorium“ mischt sich nämlich der ernste Nachklang des Karfreitags mit einer geradezu leichtsinnig wirkenden Heiterkeit, die heute befremdet, aber offensichtlich in der alten Tradition des „Osterlachens“ steht. „Lachen und Scherzen begleitet die Herzen, denn unser Heil ist auferweckt“, heißt es etwa in dem Duett, das den Weg der Jünger zum Grab ausmalt. Dem Collegium vocale Siegen, dem Kölner Kammerorchester und dem Solistenensemble gelang unter Ulrich Stötzel gelang in der Eberbacher Basilika eine eindrucksvolle Aufführung, die sich vor allem durch ein hohes Gespür für Spannungsaufbau und Phrasierung auszeichnete.

Gerade letzteres fehlte über weite Strecken beim Konzert von Leticia Moreno mit der Polnische Kammerphilharmonie unter der Leitung von Wojciech Rajski. Die  junge spanischen Geigeri erhielt in Eberbach den von der Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen gestifteten Förderpreis des Festivals. Intendant Michael Herrmann rühmte im Namen der Jury Morenos „außergewöhnliche Bühnenpräsenz und die für ihr Alter große musikalische Reife“, die „Verschmelzung von spanischem Temperament und russischer Spielweise“ und die Verbindung von „natürlicher Ausstrahlung und virtuoser Technik“. Das Programm enthielt  Tartinis „Teufelstriller-Sonate“ und Boccherinis Streichquintett „La musica notturna delle strade di Madrid“ in Kammerorchester-Bearbeitungen, außerdem Corellis Concerto grosso op. 6 Nr. 7,  und Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in Originalbesetzung. Moreno bewies durchaus eindrucksvoll ihre solistischen Fähigkeiten, doch stilistisch fand dieser Abend zwischen spätromantischer Opulenz, altbackenem Nähmaschinen-Barock und historischer Aufführungspraxis überhaupt keine stilistische Linie.

Den Rheingau-Musikpreis 2010 erhielt  die Taschenoper Lübeck, die dieses Jahr mit Wagners mit „Fliegenden Holländer“ präsent war. Zu Recht honorierte die Jury, wie hier Kinder auf hohem Niveau mit einfachen, aber kreativen und fanstasievollen Mitteln in die Welt der Oper eingeführt werden. Ein eigenes Konzert auf Schloss Johannisberg erhielt schließlich zu seinem 80. Geburtstag Walter Fink. Der Wiesbadener Schuh-Unternehmer und studierte Musiker gehörte zu den Mitbegründern des Festivals, war Sponsor von Anfang an und ist noch heute im Vorstand vertreten. 1990 initiierte er das Komponistenporträt beim Rheingau-Musik-Festival und öffnete damit der Neuen Musik im Programm eine wichtige und prominente Nische. 2009 stiftete er in Karlsruhe den „Walter-Fink-Preis des ZKM für elektroakustische Musik, Tanz und Medien.“ Intendant Herrmann erinnerte beim Geburtstagskonzert daran, wie Fink in der Gründungsphase auf einem inhaltlichen Konzept bestanden habe. Auch das Logo des Festivals sei seinerzeit in der Kreativ-Abteilung der Firma Fink entstanden.

„Logo bleibt, Musik verändert sich,“ bemerkte der Geehrte lakonisch und gab den geladenen Gästen und übrigen Zuhörern gleich ein paar Haus- und Lebensregeln für den Umgang mit Neuer Musik auf den Weg:

  • „Stille, Geräusch und Klangsinn sind die wesentlichen Elemente der neuen Musik. Mit Tonalität oder gar Serialität hat das nichts zu tun.“
  • „Man soll Neue Musik hören -  und dann noch einmal hören. Danach mag man sie als für einen selbst uninteressant einordnen, aber man soll nicht über sie schimpfen, wie ich das leider oft genug erlebe.“
  • „Gefragt ist kein passives Hinnehmen, sondern ein aktives Hören.“
  • „Genuss heißt, ich habe etwas entdeckt. Das gilt nicht nur für die Gastronomie, sondern auch für die Musik.“
  • „Musik entspannt – es sei denn, man hört zu.“
  • „Es geht um die Klänge der Zukunft unserer musikalischen Hochkultur.“

Fünf zeitgenössische Komponisten waren mit musikalischen Gratulationen vertreten. Jörg Widmann spielte selbst frisch und geläufig seine virtuose, zwischen Jazz und Neuer Musik changierende „Fantasie für Klarinette solo“ von 1993. Die anderen Werke wurden engagiert und kompetent interpretiert von den Mitgliedern des Trio Accanto: Markus Weiss, Saxofon, Yukiko Sugawara, Klavier, und Christan Dietrich, Schlagzeug. Helmut Lachenmann war vertreten mit „Sakura“., erstaunlich eingängigen Variationen über ein japanisches Volkslied für Saxofon, Schlagzeug und Klavier. Von Wolfgang Rihm gab es als sensibel ausgehorchte Klangstudie die Uraufführung der revidierten Fassung von „Gegenstück“ für Kontrabassaxofon, Schlagzeug und Klavier. Schließlich standen zwei Auftragswerke als Geburtstagspräsente auf dem Programm: Von Volker David Kirchner die expressionistische anmutende „Nachlese“ für Klavier und von Toshio Hosokawa das an eine japanische Volksliedmelodie angelehnte „Für Walter – Arc Song II“ für Sopransaxofon und Klavier (mit Schlagzeug ad libitum). Hosokawa dankte Fink mit dankbaren Worten: „Komponisten sind einsam, und wir freuen uns, wenn  wirklich jemand tief unsere Musik hört.“

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