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Foto: Bettina Stöß
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Eigene Mischung – „Les Contes d'Hoffmann“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die Aufführungsgeschichte der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ seit der Uraufführung des von Jacques Offenbachs unvollendeten Bühnenwerks, 1881 in Paris, hat bis heute kein Ende gefunden. In Berlin waren in den vergangenen Jahren diverse Lesarten, unterschiedlich komplettiert nach der kritischen Ausgabe von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck, auf der Bühne zu erleben. Darunter 2014 in kleiner Form, musikalisch bearbeitet und mit Neukompositionen von Anne Champert in der Tischlerei der Deutschen Oper, 2015 eine von Barrie Kosky als „albtraumartige[r] Horrortrip“ apostrophierte Fassung für die Komische Oper Berlin, mit den ersten beiden Akten in der von Michael Kaye rekonstruierten Bariton-Fassung, dem dritten bis fünften Akt in der Tenorversion. Nun das für Berlin neue Remake einer Inszenierung aus dem Jahre 2005 in Lyon.

Eines der spannendsten neuen Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dieser Spielvorlage und ihren unterschiedlich tradierten Nummern bot die eigenwillige Inszenierung von Stefan Herheim als „postmodernes Theaterstück“, 2015 in Bregenz. Die als Koproduktion u. a. auch in Köln zu erlebende Inszenierung hätte wohl auch der Deutschen Oper Berlin, wo dieser Regisseur demnächst Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ inszenieren wird, gut zu Gesicht gestanden, aber offenbar basiert die Planung, die Koproduktion der Opéra National de Lyon mit dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona und der San Francisco Opera auch im Haus an der Bismarckstraße zu zeigen, auf einer bereits älteren Kooperationsvereinbarung. Hausherr Dietmar Schwarz entschied sich also für die 2005 in Lyon herausgekommene Inszenierung von Laurent Pelly, in einem grauen, kinetischen und häufig die Bühnenausschnitte und -räume verändernden Bühnenbild von Chantal Thomas.

Geruch einer überholten Ästhetik

Dies ist eine Produktion, die immer noch die Technik herausfordert und bisweilen auch in Berlin hörbar an ihre Grenzen bringt. Dennoch atmet die zweimal mit Videoprojektionen (einem losgelösten Augapfel im Olympia-Bild und der Live-Projektion des Gesichts von Antonias toter Mutter als Schwarz-Weiß-Negativ) bereits den Geruch einer überholten Ästhetik. Darüber hinaus verlangt dieser technische Aufwand zwei lange Pausen á je 30 Minuten, die den kurzweilig gedachten Abend dann doch zu einem sehr langen anwachsen lassen.

Gespielt wird eine Librettoversion von Agathe Mélinand, die gerne auf die Dialoge des Schauspiels von Jules Barbier und Michel Carré zurückgreift, andererseits aber insbesondere zwischen Hoffmann und dem als dessen Pylades angesprochenen Nicklausse sehr selten gehörte Passagen von Offenbachs Partitur zu Gehör bringt.

Der Abend beginnt mit den Geistern von Bier und Wein in einem Warteraum, der partout nichts mit Luthers Keller zu tun hat. Chantal Thomas’ Bühnenbildsituation mutet gerade in Berlin seltsam an, angesichts der Wohnstätte von E.T.A. Hoffmann, der darunter situierten Weinstube von Luther und Wegener und dem gegenüber liegenden Konzerthaus als dem ehemaligen königlichen Schauspielhaus, in dem Hoffmanns Oper „Undine“ ihre Uraufführung erlebt hatte.

Allerdings ist der in Hoffmanns Novelle über Donna Anna beschriebene direkte Zugang zwischen einem Gasthof und der Loge des Theaters nachweislich nicht in Berlin zu finden, sondern in Bozen.

Auf viel Beifall stößt die zunächst unsichtbar im Raum schwebende Olympia, dann als eine sichtbar von vier Männern bewegte Puppendarstellerin – an einem fahrbaren Hebeaufzug, wie dieser später von Fura dels Baus für Wagners „Ring“ verwendet wurde. Im Antonia-Bild fährt ein gigantisches, amerikanisches Treppenhaus auseinander und wieder zusammen, Doktor Miracle schwebt auf einem großbürgerlichen Leuchter in den Schnürboden. Venedig dann als Insel-Sitzlandschaften, auf der Bühne verschoben, und jener Spiegel, der Hoffmanns Spiegelbild einfängt, ein Hochkant-Video-Monitor.

Die Nummern dieser Fassung zwischen Schauspiel, Operette, großer Oper und Oratorium sind bisweilen unglücklich aneinander gekittet, in Abfolge und in den Strichen (insbesondere in dem großen, spät erst wieder aufgefundenen Finale-Tableau) überaus fragwürdig.

Packender Musik-Theater-Abend

Dass die anstelle durch den Regisseur und Kostümbildner Pelly vom Assistenten Christian Räth vorgenommene „Einstudierung der Wiederaufnahme“ gleichwohl ein großer, stellenweise packender Musik-Theater-Abend in Berlin wurde, ist in erster Linie dem Dirigenten Enrique Mazzola zu verdanken, der die Einzelteile mit Italianitá und Esprit zu einem ungewöhnlichen Ganzen fügt. Der Tenor Daniel Johansson in der Titelpartie ist anfangs in der Höhe eng, lässt aber im Verlauf des Abends immer stärker seine dramatischen Qualitäten zum Zuge kommen und obsiegt zuletzt stimmlich – wenngleich er der Spezifik des dramatisierten verkannten Genies E.T.A. Hoffmann kaum gerecht wird. Die klein gewachsene Sängerdarstellerin Irene Roberts als La Muse und Nicklausse verfügt über ein bezauberndes Timbre, ist quirlig im Spiel und eindrucksstark in der Entwicklung ihres stimmlichen Aufbaus. Gideon Poppe als Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio liefert köstliche Charakterisierungen zwischen Glöckner von Notre Dame (Cochenille) und Pinocchio (Frantz), mit deutlich unterschiedlichen gesanglichen Charakterisierungen der vier Tenorbufforollen. Alex Esposito bleibt in den Partien der Bösewichter hingegen stimmlich gleichförmig, dabei aber stets souverän.

Selten gleichermaßen optimal zu besetzen ist die in drei weibliche Facetten aufgeteilte, sich im Schlussakt auch gesanglich als Nucleus der Aufspaltung erweisende Interpretin der Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“, die Sängerin Stella. In der Abfolge von Automat, herzkranker Künstlerin, unberechenbarer Courtisane und Diva gelingen Christina Pasaroiu die Olympia, Giulietta und Stella ohne Abstriche und die Antonia immerhin akzeptabel, – insgesamt eine durchaus hörens- und sehenswerte Leistung. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielte sauber und geschmeidig. Und der von Jeremy Bines einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin machte seine Aufgaben –ebenfalls in diversen Rollen, zwischen Biergeistern, Rezensenten, amouröser Laissez-faire-Society und Spottgesellschaft – überaus eindrucksvoll und stimmlich brillant.

Am Premierenabend, der erst um 19:30 begonnen hatte, gab es eine Viertelstunde vor Mitternacht von all jenen, die aufgrund von Ermüdung nicht bereits in der zweiten Pause das Opernhaus verlassen hatten, heftigen und ungeteilten Beifall.

  • Weitere Aufführungen: 1., 4., 8., 15. Dezember 2018, 5., 9. 12. Januar 2019.

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