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Foto: Marek Olbrzymek
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Ein Abgesang auf die Liebe? Das 7. Janáček-Festival in Brno eröffnet mit „Osud“

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Was im Sommer zu den Salzburger Festspielen möglich gewesen ist, soll nun auch in der Tschechischen Republik funktionieren, in Brno, wo am 28. September, dem Tag des heiligen Wenzel, das 7. Janáček-Festival eröffnet worden ist. Mit einer Oper von Leoš Janáček, die einen geradezu symbolischen Titel trägt: „Osud“, zu deutsch „Schicksal“.

Neben „Jenufa“, „Katja Kabanowa“ oder gar dem „Schlauen Füchslein“ gilt „Osud“ als beinahe vergessenes Werk. Jedenfalls wird es nur selten aufgeführt, ist aber vielleicht die persönlichste, weil eine geradezu biografische Oper des Komponisten. Janáček hat da eigene Erfahrungen mit einfließen lassen, Enttäuschungen eines tragischen Lebens, hat die Oper dann fast wieder verworfen, nach einer nicht zustande gekommenen Uraufführung in Prag ist sie dann tatsächlich liegen geblieben und wurde erst 1958, dreißig Jahre nach dem Tod des Komponisten, in Brno uraufgeführt. Im selben Jahr, genau einen Tag später, gab es in Stuttgart übrigens auch die deutsche Erstaufführung.

Wo „Schicksal“ schon im Titel steht, klingt einiges an Fatalismus mit an. Damals wie heute. Dabei geht es zunächst um eine Art von Theater-Theater. Denn der Opernkomponist Janáček hat eine Oper geschrieben, in der es um einen Opernkomponisten geht, der eine Oper schreibt. Sie aber nicht vollendet, weil – das eigene Schicksal darin die Hauptrolle spielt. Also: Zivny, so heißt der Komponist in diesem Stück, hatte eine Beziehung mit einem Mädchen namens Mila. Deren Mutter war aber dagegen, dass sie sich mit einem „nicht standesgemäßen“ Musikus, einem Bohèmien, einlässt, und wollte eine Heirat mit einem besser gestellten Mann arrangieren. Daraus wurde zwar nichts, aber Zivny musste lange Zeit glauben, dass Mila ihn aus Geldgründen verlassen hat.

Durch Zufall treffen sie sich wieder, in einem Kurort, und Zivny begegnet zum ersten Mal seinem Sohn, von dem er bis dahin nichts wusste. Es folgt die große Versöhnung und wird die ewige Liebe beschworen - nur die böse Mutter ist nach wie vor darüber entsetzt und wird aus Verzweiflung mehr und mehr irre. Wodurch das Zusammenleben von Mila, Zivny und ihrem Sohn Doubek erst erschwert, dann jäh beendet wird. Denn die streitsüchtige Mutter stürzt aus dem Fenster und reißt ihre Tochter mit in den Tod. Mit Fensterstürzen hat man in Tschechien schließlich lange Erfahrungen, auch dies geradezu schicksalhaft.

Allerdings hat Janáček hier wohl als Komponist und Librettist auch selbst ein wenig Schicksal gespielt und lässt den Komponisten Zivny mit seinem Sohn fortan allein leben. Im dritten Akt, elf Jahre später, ist Zivny sichtlich gealtert und soll bei einer Opernaufführung im Konservatorium doch endlich seine eigenartige Oper vollenden. Als die Studentenschar ihren Professor damit konfrontiert, bricht der zusammen und meint, die letzte Szene würde in „Händen Gottes“ liegen. Ein Abgesang auf die Liebe.

„… und auch der Mensch bangt in der Bedrohung“

Dass eine derart fatalistische Geschichte in Zeiten wie diesen ein gefundenes Fressen ist, liegt auf der Hand. Jedenfalls hat auch die Premiere von „Osud“ in Brno eine geradezu schicksalhafte Wirkung ausgeübt. Das Orchester spielt in voller Besetzung, und auf der Bühne, die im modernen Janáček-Theater im Bühnenbild von Radu Boruzescu ein Theater quasi der Entstehungszeit nachbildet, wird gespielt und gesungen, als gäbe es keinerlei Abstandsgebote. Solisten und Chor, ja selbst der Kinderchor agieren da eng bei eng, quasi „wie früher“. Man setzt vertrauensvoll auf die Gesundheit, die gute Klimatechnik des Hauses sowie die obligatorische Maskenpflicht fürs Publikum auch während der knapp zweistündigen – sogar mit Pause und Gastronomie erlaubten! – Vorstellung.

Regisseur Robert Carsen kam das bei seinem Debüt in Tschechien natürlich entgegen, er hat mit geschickter Personenführung (auch in den Chorszenen!) ein emotional spannendes Spektakel zelebriert. Der alte Komponist Zivny ist von Anfang an auf der Bühne, absichtsvoll wie ein Abbild von Leoš Janáček gezeichnet, und arbeitet an seinem schwarzen Flügel. In den ersten beiden Akten wird er von einem jüngeren Sänger-Darsteller gedoppelt, Philip Sheffield als Senior und Enrico Casari als Junior ergänzen sich dabei vortrefflich. Zwar bleibt durch Annemarie Woods’ Kostümierung alles in der Wendezeit von 19. zum 20. Jahrhundert verankert – wirkt aber dennoch ziemlich zeitlos und (wenngleich unaufdringlich) durch die bedrohliche Schicksalhaftigkeit geradezu aktuell.

In seiner Musik lässt Janáček viel mährische Volksweisen mit anklingen, gerade in den Chorszenen tönen die mitreißend auf, werden thematisch aber zumeist nur angedeutet; Chor und Orchester der Janáček-Oper haben diese mitunter vertrackten Herausforderungen unter der musikalischen Leitung von Marko Ivanovic mit enormer Energie umgesetzt. Unter den zahlreichen Solisten ragen neben dem Komponisten-Doppel vor allem Alzbeta Polacková als Mila und Natascha Petrinsky als deren Mutter heraus. Philip Sheffield singt verzweifelt seinem, Zivnys, Leben hinterher, das Enrico Casari als jungem Komponisten so aus dem Ruder gelaufen ist. Wunderbar sensibler Tenorgesang mit Wucht und Energie. Die liebenswerte Mila berührt mit warmem Sopran und wird absolut glaubhaft gespielt. Der Mezzosopran ihrer Mutter klingt schrill und gehetzt, wie es die Rolle verlangt. Allerliebst übrigens auch der kleine Sohn Doubek, von Petr Hrusa dargestellt, der seine Mama befragt, ob sie wisse, was Liebe ist. Ein zu Herzen gehender Moment in diesem emotional aufgeladenen Stück. Der Satz darin, „Die Neugier mag es nicht, wenn immer alles eindeutig ist“, klingt wie ein Kommentar zum Heute.

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