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Foto: Iko Freese/drama-berlin.de
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Ein hoch gestylter aufwändiger Flop – Uraufführung von „My Square Lady“ an der Komischen Oper Berlin

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Geplant war eine neue Version von Shaws „Pygmalion“, mit Reibung zum weltberühmten Musical „My Fair Lady“ von Frederick Loewe: anstelle der durch Sprechausbildung vom Straßenkind zur Lady herangereiften Eliza Doolittle sollte der Roboter Myon stehen. Doch der im Forschungslabor für Neurorobotik an der Berliner Beuth-Hochschule als lernfähiges System entwickelte und der Komischen Oper als potenzieller künftiger Opernstar angepriesene Roboter versagte kläglich. Und so musste die Idee einer Opern-Neuschöpfung zu einer „Opernerkundung“ gerinnen, die Reibung mit dem „Kraftwerk der Gefühle“ zu einem armseligen Fake.

„Und fühlen Sie sich noch als Opernpublikum?“, fragt die Übertitelungsmaschine am Ende der mit dreistündiger Dauer in die Länge gezogenen Nichtigkeit. Nein, als Antwort auf die Frage, leider nur Frust und Gähnen, zugleich aber auch Hochachtung vor einem Ensemble, das sich – groß besetzt, mit Chor und Kinderchor – auch im Falle eines Flops nicht unterkriegen lässt.

Die Nichtigkeit des Pasticcios zwischen Karl Jenkins’ „Sanctus“, zwei Terzetten aus der „Zauberflöte“, Opernausschnitten aus Purcells „Fairy Queen“ und „Dido und Aeneas“, Glucks „Orpheus und Eurydike“, Verdis „La Traviata“, Bizets „Carmen“, Dvoraks „Rusalka“, sowie Schuberts „Wanderer“, einem Chor aus Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ und aus Michael Gores „Fame“, wird durch Bühnenbild und Kostüme der „international renommierten Performance-Gruppe Gob Squad“ (Ankündigungstext) zum opulenten Ausstattungsstück.

In Erweiterung des realen Forschungsteams um Professor Manfred Hild und seine fast ausschließlich studentischen Mitarbeiter spielen Johanna Freiburg, Sean Patten und Bastian Trost von Gob Squad mit scheinbar improvisierten Dialogen die erweiterte Crew von Wissenschaftlern. Vorproduzierte Interviews mit Angestellten der Komischen Oper werden als gespeichertes Wissen des Roboters benannt und auf eine Leinwand projiziert. Aber offenbar hat Roboter Myon, der zunächst mit Nebelschwaden aus der Versenkung hochgefahren wird und dann auf einem goldenen Muschelthron sitzt, weder durch diese Befragungen noch durch die Theaterproben irgendetwas dazugelernt. Als Höhepunkt und Abschluss des ersten Teiles darf er dirigieren, aber er bewegt, vom Assistenten angestoßen, nur gleichförmig beide Arme auf und nieder. In der Pause dann offenbar weitere technische Probleme: die Inspizientin kündigt eine Verzögerung „um wenige Minuten“ an, denn „unser Roboter hat immer noch Lampenfieber“.

Myon kann nicht einmal stehen und wird durch einen gleichartigen ausgetauscht. Als Roboter kostümierte Kinder versuchen, ihm das Singen beizubringen, aber am Ende dieser Szene wird der Kindergesang nur vom Band abgespielt.

Um dem hilflosen Roboter menschliche Gefühle beizubringen, outen sich die um ihr Leben spielenden Gesangssolisten Katharina Marfa, Christiane Oertel, Caren von Oijen, Mirka Wagner, Bernhard Hansky, Carsten Sabrowski und Christoph Späth mit ihren persönlichen Befindlichkeiten und Ängsten. Als komischer Moment wird dabei auch der Feuerwehrmann in der 0-Gasse befragt, wovor er Angst habe; „Wenn Feuer ausbricht und ich nicht helfen kann“, ist die Antwort aus dem Off.

Christiane Oertel darf sich ihren langjährigen Wunsch, an ihrem Stammhaus die Carmen zu singen, mit einer Arie – parallel zum Video von Harry Kupfers Inszenierung – erfüllen, aber Mirka Wagner, die dem Roboter gerne die Arielle vorgesungen hätte, hat dafür vom Verlag keine Rechte erhalten. Bernhard Hansky zertrümmert bei „Ach ich habe sie verloren“ im Barock-Bühnenbild aus „Giulio Cesare“ Geschirr, Mobiliar und eine Geige. Dabei schlagen sich die SängerdarstellerInnen wacker.

Das ¾ hochgefahrene Orchester ist nach dem linken Bühnenportal hin ausgerichtet, wo Dirigent Arno Waschk sich als Roboter-Lehrer, Pianist und Moderator bewährt und auch die von ihm beigesteuerte Orchesterkomposition „Myon’s Dream“ interpretiert. Dazu schiebt und trägt die äußerst aktive Bühnentechnik große Tiere des Fundus von der rechten auf die linke Bühnenseite und auf einer Wolke werden mögliche Überlegungen des Roboters projiziert.

Zu einem unerwarteten Höhepunkt wird ein Gesangsauftritt von Prof. Hild, der, vom Ensemble hinter Goldlametta choreographisch unterstützt, das Robbie Williams-Lied „Feel“ gekonnt vorträgt.

Das Überleben des Computers wird zum Brahms-Chorsatz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ demonstriert. In einer Abendsmahlsparaphrase wird dabei aus dem in seine Teile zerlegten Roboter der Heiland. Anschließend wird er (allerdings mit einem anderen, aus der Gasse angereichten Austauschkopf) wieder zusammengesetzt.

Sterbend verabschieden sich die Sängerdarsteller von dem als Auferstandener überlebenden Myon. Dann ertönt dessen angebliche Stimme, und das Ensemble aller Beteiligten lässt auf rotierender Drehscheibe, mit Michael Gores „I Sing the Body Electric“ als Musical-Finale, die Stimmung noch einmal aufleben.

Die Neuinszenierung einer Konfrontation von Mensch und Maschine ist nur einmal mehr als konzertante Produktionen an diesem Haus angesetzt, für nur drei Aufführungen. Offenbar war der Leitung der Komischen Oper im Zuge des sich über zwei Jahre erstreckenden Projekts früh schon deutlich geworden, dass sich von den zahlreichen Übersetzungsmöglichkeiten für „Square“ leider nur eine wirklich einzulösen vermochte: „Langweiler“.

  • Weitere Aufführungen: 25.6., 5.7.2015

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