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Das Jahr der Mandoline. Serie von Ralf-Thomas Lindner in der nmz.
Das Jahr der Mandoline. Eine Serie von Ralf-Thomas Lindner.
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Das Jahr der Mandoline in der nmz (Teil 1): Ein Instrument, das es schafft Brücken zu bauen

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Die Mandoline ist Exotin und Brückenbauerin zugleich. In diesem Jahr ist sie von den Landesmusikräten (federführend der aus Schleswig-Holstein) zum „Instrument des Jahres“ ausgerufen worden. Sehen die einen in ihr eher ein Volksmusikinstrument, das von Laien mehr schlecht als recht gespielt wird, ist sie seit ihren Anfängen auch in der klassischen Musik zu Hause. In jedem Fall versprechen die sich um sie rankenden Veranstaltungen in diesem Jahr ein breites Spektrum an unterschiedlichsten wunderbaren Hörerlebnissen.

In der Nacht von Silvester auf Neujahr findet alljährlich – um das „Wort des Jahres 2022“ zu bemühen – eine kleine Zeitenwende statt. Gestern noch „Very Peri“, die Rotbuche und die kleine Pechlibelle, heute „Viva Magenta“, die Moorbirke und die Alpen-Smaragd-Libelle. Will die Farbe des Jahres wohl zuvörderst Geld in die Kasse der Modeindustrie spülen, so sollen die Ausrufung etwa des Baumes des Jahres und der Libelle des Jahres für Aufmerksamkeit sorgen, belehren und Schutz einfordern.

Die große Zeitenwende liegt mittlerweile über 2000 Jahre zurück und ist wie unsere Zeitrechnung geprägt von der Geburt des Mannes aus Bethlehem. Die Zeitenwende des Mannes aus Osnabrück wird mutmaßlich kurzlebiger sein. Die Phänomene des Jahres haben nur ein Jahr, um sich in ihrer ganzen Vollkommenheit zu präsentieren. Trotzdem: es scheint ein tiefes menschliches Bedürfnis zu sein, bestimmte Leistungen, Ereignisse und Objekte besonders in den Blick zu nehmen, hervorzuheben und sich an ihnen festzuhalten. Manches davon ist es absolut wert, in Erinnerung gebracht zu werden beziehungsweise nicht in Vergessenheit zu geraten.

Selbstverständlich hat auch die Musik ihre Jahressieger. So werden in diesem Jahr sicher der 150. Geburtstag von Max Reger, der 100. Geburtstag von György Ligeti und etwa der 400. Todestag von William Byrd die Konzertprogramme und das Musikleben mitprägen. Und natürlich ist dann da auch noch die Mandoline, die zum Instrument des Jahres erkoren wurde. Quasi ferngesteuert hört man im Hinterkopf sofort fiktive böse Stimmen, die danach fragen, ob sich bei dieser Auswahl im nächsten Jahr gar die Glasharfe zum Instrument des Jahres qualifizieren könne.

Tatsächlich ist die Mandoline unter den Musikinstrumenten eher ein Exot. Die Orgel als Instrument des Jahres 2021 ist mit ihren bundesweit etwa 50.000 teils monumentalen Vertretern in jedem kleinen Ort vorhanden und das Schlagzeug (Instrument des Jahres 2022) ist aus unserer täglichen Hörerfahrung, die uns das Radio frei Haus liefert, nicht wegzudenken. Allein die Tatsache, dass es europaweit nur eine einzige Professur für die Mandoline gibt, zeigt, wie unterrepräsentiert dieses Instrument ist.

Mit der Initiative „Instrument des Jahres“, die seit 2008 von Landesmusikräten durchgeführt wird (in diesem Jahr federführend der Landesmusikrat Schleswig-Holstein), will man ein breiteres Interesse für das jeweilige Instrument und seine Bedeutung wecken. Standen bisher eher allgemein verbreitete Orchesterinstrumente im Mittelpunkt dieser Aktion, so ist die Mandoline eher ein Instrument, das einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden soll. Natürlich hat hierbei auch die Nachwuchsförderung einen besonders großen Stellenwert. Maja Schütze, die 2021 Bundessiegerin beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ gewesen ist und derzeit Jungstudentin an der Hochschule für Musik Köln (Abt. Wuppertal), hat ihre erste Begegnung mit einer Mandoline im Rahmen einer solchen Öffentlichkeitsaktion gehabt: „Als ich klein war, spielte mein Bruder schon Gitarre am Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden bei Katja Mangold. Wir sind damals zu einem ‚Tag der offenen Tür‘ gegangen und haben die Mandoline ausprobiert“.

Vielleicht erscheint einem die Mandoline zu trivial oder zu emotionsbeladen. Auf einer in einer Gaststätte gefundenen und heute im Stadtmuseum in Lichtenberg/Sachsen befindlichen Relieftafel (um 1900) sieht man zwei hockenden Affen, die auf einer Mandoline spielen. Der Fundort mag für sich sprechen, die Darstellung des halb-birnenförmigen Corpus der Mandoline und die Erkenntnis des Affen, dass es sich um ein Zupfinstrument handelt, sind sehr wirklichkeitsnah dargestellt. Oder es fallen einem die venezianischen Gondoliere ein, die mit ihren Liedern die Touristen in romantische Stimmung zu versetzen suchen.

Die andere Seite der Mandoline führt unter anderem zu einem so herausragenden Instrumentenbauer wie dem Cremoneser Geigenbau Antonio Giacomo Stradivari. Von ihm sind eine 10saitige Mandoline aus dem Jahr 1680 und eine 8saitige Mandoline, die im Zeitraum 1700 bis 1710 gebaut worden ist, erhalten. Zu der anderen Seite der Mandoline gehören auch so arrivierte Komponisten wie Antonio Vivaldi, Domenico Scarlatti, Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und viele andere.

Im 20. Jahrhundert gewinnt die Mandoline immer größere Beliebtheit. Im Zuge der Wandervogelbewegung wird sie geradezu populär. Viele Mandolinenorchester wurden in dieser Zeit gegründet. Aber auch Komponisten wie etwa Anton Webern (etwa im vierten seiner Fünf Stücke für Orchester op. 10) entdecken die Mandoline für ihre Musik. Nicht zuletzt die akademische Ausbildung im Fach Mandoline befördert durch das Vorhandensein professioneller Mandolinenspieler das Interesse mancher zeitgenössischer Komponisten für dieses Instrument. So wird sie in gerade in Kompositionen für Kammerensemble oder als Soloinstrument immer öfter gefordert.

Seit dem Folk-Revival 1970er Jahren stieß die Mandoline gerade auch beim jungen Publikum auf Interesse. In der amerikanischen Bluegrass-Musik wird sie vom rhythmischen Begleitinstrument zum gleichberechtigten Solinstrument. Sie findet Eingang in den Jazz. Von Mike Oldfield bis hin zu den Liedern der jüngst als Preisträgerin für den Paul-Lincke-Ring auserkoren Annett Louisan übernimmt sie eine klanglich wichtige und markante Rolle.

Schütze will dem Ansehen der Mandoline helfen. Sie erzählt: „Nach jedem Konzert kommt irgendjemand zu mir und sagt: ‚Mandoline habe ich noch nie so schön gehört‘, weil die Leute das nur als Volksinstrument kennen. Was es ja auch lange war. Es gab lange Orchester, in denen die Mandoline nicht so gut gespielt wurde – und wenn wir da jetzt kommen und die richtig gut spielen, dann finden es die Leute natürlich auch richtig toll. Aber dafür müssen sie sie eben erstmal hören.“

Letztlich – so wird immer wieder in den Texten der Landesmusikräte hervorgehoben, ist die Mandoline „ein Instrument, das es schafft Brücken zu bauen – und dies aus unterschiedlichsten Perspektiven: Historisch gesehen von der Barockzeit über die Klassik bis zur Moderne und Postmoderne. Kommt die Mandoline als Nachfolgerin der Laute auf den ersten Blick eher aus dem höfischen Bereich, so war sie doch immer ein Volksinstrument, ‚eine Geige der Arbeiter‘ die zu den Mandolinenorchestern, den ‚Sinfonieorchestern des kleinen Mannes‘ führten. Sie war das Instrument der Wandervogelbewegung. Die Brücke in die Musik anderer Kulturkreise lässt sich leicht über die Verwandtschaft zu anderen Lauteninstrumenten schlagen.“ Hier scheinen die Landesmusikräte nicht ganz auf derselben Schiene wie Schütze zu sein. Daher werden viele Konzerte in diesem Jahr diese Stellung der Mandoline neu einordnen und zu Gehör bringen müssen.

Gibt es noch Zweifel daran, dass das Multitalent Mandoline in diesem Jahr ein würdiger Repräsentant der Musikinstrumente sein wird? Dann ist es Zeit, Avi Avital, Mandolinenspieler und wohl bekanntesten Botschafter dieses Instrumentes, zu zitieren. Er spricht dem Instrument geradezu Heilkräfte zu und betont die höchst individuelle und innige Beziehung eines Musikers zu seinem Instrument: „Für mich, als unruhiges, neugieriges und ungeduldiges Kind war es das richtige Instrument.“

Im Februar berichten wir hier von dem Instrument Mandoline selbst: woher es kommt, wie es aussieht, wie es funktioniert, wie es gestimmt ist – die Basics quasi.

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