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Foto: Jörg Landsberg
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„Ein kleiner Bub bei den Schafen“ – Karl Amadeus Hartmanns Simplicius Simplicissimus in Bremen

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Der kleine Simplicius Simplicissimus, der „allereinfältigste“, „ein kleiner Bub bei den Schafen“, so der Erzähler, betet in dem ihm vom Eremiten beigebrachten „Vater unser“ „Und erlöse uns von dem Reich“. Natürlich hat der 1905 geborene Karl Amadeus Hartmann das in seiner 1934 entstandenen Oper erst einmal verstecken müssen: er vergrub die Partitur im Garten seiner Schwiegereltern in seinem inneren Exil in der Schweiz.

Erst 1949 wurde sie uraufgeführt, 1957 in einer zweiten (Orchester)fassung. Wie sehr diese Kammeroper ein mahnendes Bild für die Schrecknisse auch unserer Zeit werden kann, zeigt sich in einer viel bejubelten Inszenierung von Tatjana Gürbaca jetzt am Theater Bremen.

Das Bühnenbild ist nur Holz, darin auf halber Höhe eine kreisrunde Öffnung, in der ohne weitere Utensilien die lehrstückartig aufbereitete Handlung erzählt wird. Ein Rechteck quer darunter – wie die Predella eines Altars – bietet Bildmöglichkeiten zur Deutung der im dreißigjährigen Krieg spielenden Handlung nach einem Roman von J.J.C. von Grimmelshausen (1669): vorbeiziehende Totenköpfe, eine Alm, auf der der Einsiedel stirbt, eine unheimliche Made, die sich entpuppen will. Das Bild passte kongenial zu einem Werk, das keine Oper in üblichem Wortsinn ist, sondern eher ein episierend pantomimisches Theaterstück mit einem Sprecher, der die Jugend von „Simplici“ – wie der Kleine genannt wird – erzählt: das Kind flieht vor den marodierenden Soldaten vom elterlichen Hof, schließt sich dem Eremiten „Einsiedel“ an, der ihn aufnimmt und bildet, kommt schließlich zu den Soldaten und wird am Hof als Narr gehalten. Auch wenn man den Wolf für eine Allegorie für Hitler halten könnte und das ganze Stück für eine Persiflage auf den Nationalsozialismus, so vermied Gürbaca solcherart Direktheiten zugunsten eines zeitübergreifenden „Memento Mori“, eines Totentanzes: „Das Werk ist ein großer Appell an unseren Humanismus“ hatte sie im Interview gesagt. 

Mit der überragend singenden und spielenden Marysol Schalit als Simplici gelingt Gürbaca in dem Kreis (Bühnenbild von Klaus Grünberg), der wohl auch den ewigen Kreislauf der Menschheitsgeschichte markiert, ein packender Stil zwischen Realität und brechtartigem Lehrtheater. Da gibt es berührende Bilder: wenn die tötenden Horden in dem Kreis toben, unterlegt mit Totenköpfen; im dreißigjährigen Krieg blieben von 12 Millionen Deutschen 4 Millionen übrig, wie der kindliche Erzähler berichtet. Ergreifend, wie der Einsiedel dem Kind das Leben und die Moral lehrt – fantastisch gesungen von Luis Olivares Sandoval –, wie Simplicius fassungslos der Orgie der Mächtigen zuschaut und läuft und läuft und läuft. In diesem Bild öffnen Patrick Zielke, Birger Radde und Christian-Andreas Engelhardt (in historischen Kostümen von Silke Willrett) alle Schleusen der Perversität der Macht. Ein starker Moment ist auch der Chor im Publikum, denn das sind ja wir, die da gezeigt werden. Die Musik ist eine Musik der Montage: Strawinsky-lastig besonders im Fagott des Anfangs, Tänze, jazzartig, der Foxtrott am Ende, Bänkelsang, die jüdische Melodie, die zum Tod des Einsiedel erklingt, und im Zentrum ergreifend „Nun ruhen alle Wälder“ in der Harmonisierung von Johann Sebastian Bach.

Die pianissimo-Wiedergabe des Blechbläser-Chorals war einer der Höhepunkte im Dirigat von Clemens Heil, der es mit der fünfzehnköpfigen Besetzung (Streichquintett, Bläser und Schlagzeug) mitreißend verstand, von dieser so bewusst heterogenen Musik zu überzeugen, die der Opernkenner Ulrich Schreiber als „ein Juwel“ bezeichnet hat: nach dem Krieg jedoch war für sie wie auch für die von Ernst Krenek beispielweise kein Platz mehr in der Geschichte der Musik. Unvergesslich intensiv der Trauergesang „Die Tränen des Vaterlands“ zu einem als Schrift ablaufenden Gedicht von Andreas Gryphius. Enorm zupackend, immer nach vorne ziehend auch die vielen rhythmischen Passagen. Ein kleiner Schönheitsfehler im Programmheft: Die fünfzehn SpielerInnen des Instrumentalensemble sollten namentlich genannt werden. 

Die nächsten Aufführungen:  4.2., 15.2., 23.2., 10.3. 12.3.

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