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Ks. Romelia Lichtenstein (Floria Tosca), Eduardo Aladrén (Mario Cavaradossi). Foto: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Foto: Falk Wenzel
Ks. Romelia Lichtenstein (Floria Tosca), Eduardo Aladrén (Mario Cavaradossi). Foto: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Foto: Falk Wenzel
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Ein Leben für die Bühne – Die neue „Tosca“ am Opernhaus Halle

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Bei Giacomo Puccinis „Tosca“ hat es die Rezeptionsgeschichte seit der Uraufführung 1900 mit dem naturalistischen Ehrgeiz besonders weit getrieben. Bis hin zur Verfilmung an den Originalschauplätzen im Rom und in den Kostümen und zeitlichen Ablauf, die das Libretto vorgibt. Samt Sprung der Heldin von den Zinnen der Engelsburg in den Tod. Da flog schon manche Puppe beim Schließen des Vorhangs in die Tiefe. Darauf wartet man in Halle, bei der Neuproduktion dieses ungebrochen beliebten Repertoireschmuckstückes vergebens.

Regisseur Jochen Biganzoli beschränkt sich in seiner Inszenierung auch nicht völlig auf die Guckkastenbühne, bei ihm muss sogar der Intendant mitspielen. Und Dinge sagen, von denen man nur hoffen kann, dass er sie auch außerhalb dieser ungewöhnlichen, die konventionelle Sicht auf das Werk verlassenden Inszenierung ernst meint. Es fängt nämlich schon im Foyer mit dem Einzugsspektakel der Diva an. Die man für diese Oper ja tatsächlich braucht, auf dass sie im Stück eine spielt. In Halle ist das ohne Frage Romelia Lichtenstein. Sie kommt über den roten Teppich (als Romelia im Aufzug der Floria Tosca oder als Tosca, die hier eben von Romelia gespielt und gesungen werden wird) und der Intendant sagt beim Willkommen den auch im Leben wahren Satz, dass ein Haus wie Halle stolz sein kann, so eine von ihrem Publikum geliebte Künstlerin im Ensemble zu haben. Dass man für sie die Tosca ins Programm genommen habe. Das sagt er bei der Premierenfreier, also außerhalb der Inszenierung, ungefähr noch einmal.

Biganzoli, Wolf Gutjahr (Bühne) und Katharina Weissenborn (Kostüme) wollen offensichtlich an den Kern des Stückes heran. Jedoch nicht über den Weg des (An-)Scheins von historischer Authentizität. Fast ohne den politischen Bogen, den Puccini über der tragischen Liebesgeschichte zwischen der gefeierten Diva und dem aufstrebenden Maler aufspannt, gibt es keine weitere Folge aus der Serie „Wahre Liebe in schlimmen Zeiten“. 

Dass die Bühne von den drei leuchtenden Lettern, die das Wort ART formen, beherrscht wird, macht sie zu einer (wenn auch spartanischen) Kirche der Kunst, in der gemalt, musiziert und gesungen wird. Ein Konzertflügel, Farbeimer und Leinwänden reichen. Mit einer kleinen Insel des Privaten, auf der sich Tosca zu ihrem Mario auch mal ganz privat aufs Sofa setzt, mit der Fernbedienung den Fernseher einschaltet und die Chips-Tüte öffnet. 

Sicher bleibt Scarpia auch im Frack hier der skrupellose Machtmensch (der sich sogar einmal selbst mit Verdis Jago vergleicht). Sicher gibt es ein Köfferchen mit Folterinstrumenten, die auch mal gezeigt werden, auch wenn dann die Banknotenbündel, den gewünschten Effekt haben und sich der große Künstler als käuflich erweist. Es ist ein verblüffender Effekt, dass er dann nicht mal lügt, als er auf Toscas Besorgnis antwortet, dass er die „Folter“ aushalte. 

Die beginnt für sie, wenn sie ihre Augenbinde los ist und mitbekommt, dass sie betrogen wurde. Und zwar von allen! Den Preis für rückhaltlose Liebe zahlt wieder mal die Frau. Als solche verliert sie den (jüngeren) Liebhaber, den der Messner (aus dem Gerd Vogel hinreißend komisch mit einem Schuss Travestie ein Faktotum der Künstlerszene macht) gleich zu Anfang mit den beiden (Nackt-)Modells beim Pausenfummeln unterm Pelz erwischt. Als Künstlerin verliert sie ihre Bühne. Was bei der erfahrenen, erfolgreichen Diva, die ihr ganzes Leben nur der Schönheit geweiht hat, wie sie im Superhit der Oper ja so ergreifend singt, auch das Leben bedeutet. Die Männer spielen ein abgekartetes, fieses Spiel mit ihr, lassen den Schein der Unantastbarkeit der Diva schwinden. Und der von Peter Schedding präzise einstudierte Kinder- und Jugendchor marschiert mit Fotos unzähliger Idole des vorigen Jahrhunderts auf. Sänger, Maler, Schauspieler, Stars und Sternchen – alles da. Auch Romelia ist dabei. 

Auf dieser Bühne wird nicht das körperliche Foltern oder das physische Sterben vorgeführt. Hier reicht ein Eimer Theaterblut und die Imagination des Unterganges. Hier ist es ein junges Mädchen, das (während es die Partie des Hirten singt) in die viel zu großen Schuhe der Tosca schlüpft und zur ihrer personifizierten Vision des eigenen Untergangs wird. Auf einen Wink dieser künftigen Diva hin, heben die drei Buchstaben Richtung Schnürboden ab, verschwindet die Bühne. Romelia kann den Bühnenarbeitern gerade noch einen Pappkarton mit Utensilien entreißen, um bei ihrer Flucht in den Trotz des Wahnsinns, sich wenigstens noch als Braut und Bräutigam zu kostümieren. Doch sie bleibt allein und verzweifelt auf leerer Bühne zurück. Das ist in seiner Reduktion ein ergreifendes Schlussbild einer starken Inszenierung. Dass sie auch viel Stoff für Diskussionen bietet, ist kein Nachteil. Dass sie sich hütet, Rom zu imitieren ein Vorteil. (Wer das nicht glaubt, kann an der Staatsoper in Berlin die Gegenprobe aufs Exempel machen.) 

Ich bin Romelia und singe Tosca“ schreibt die Veinsamte am Ende an den Flügel. Stimmt. Und wie! Mit Leidenschaft und Emphase. Mit betörenden Piani. Von Josep Caballé-Domenech und der sich mit nie zu dick aufgetragener Sinnlichkeit ins Zeug legenden Staatskapelle auf Händen getragen. Diese maßgeschneiderte Tosca hat mit Eduardo Aladrén einen imponierend strahlenden Cavaradossi an ihrer Seite, der sich mit dem Shootingstargehabe durchaus nicht bremsen muss. Peter Felix Bauer holt seinen Scarpia mehr mit Noblesse als dunklem Gedonnere ins Licht eines plausiblen Machtmenschen von heute. Schade, dass Ki-Hyun Parks Angelotti, der als Auftakt japsend auf die Bühne flüchtet, dem Stück so schnell wieder abhanden kommt. Am Ende viel Beifall. Für die Protagonisten, das Orchester, die Chöre und alle Beteiligten.

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