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Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ an der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ an der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Ein Triumph von Farbe und Klamauk: Herbert Fritsch inszeniert Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ an der Wiener Staatsoper

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Herbert Fritsch (70) ist als Regisseur ein Spätberufener. Bekannt wurde er als energiegeladener Schauspieler aus der Truppe, mit der Frank Castorf über Jahrzehnte hinweg mit seiner Volksbühne die deutsche Theaterszene von Berlin aus mitbestimmt hat.

Bei seinem Fachwechsel zum Regisseur hatte er nicht nur das Privileg, sich mit der Biografie eines mimischen Multitalents im Rücken, sozusagen vorne anzustellen, sondern auch das richtige Gespür dafür, womit er sich hier einführt. „Die (s)panische Fliege“ und dann „Murmel Murmel“, dem Einwortstück, das nur durch die szenischen Ausschmückung überhaupt zum Stück wird, wurden zum Kult und zum Karriereschub für den Regisseur Fritsch. Er kam damit aber nicht nur gleichsam durch die Hintertür an sein altes Haus zurück, sondern ging andernorts auch durch den Vordereingang in die Oper.

Ohne Scheu vor Mozart oder Eötvös, vor Weber oder Offenbach. Knallbunt, mit tollen Kostümen von Victoria Behr und viel körperlicher Energie tobten sich seine Protagonisten dabei im jeweils selbstkreierten Bühnenbild immer so aus, als würde Fritsch am liebsten selbst jedesmal eine freche, verspielte, oft auch alberne Komödiantensohle aufs Parkett legen.

Gioachino Rossinis Oper „Il Barbiere di Siviglia“ die ohnehin schon in die Abteilung für die nahezu pure Unterhaltung und eher weniger zu den Welterklärungsstücken gehört, mit denen man auf die Fährnisse der Zeit losgehen kann, sondern sich lieber auf die Höhensicherheit und Koloraturfinessen seiner Protagonisten verlassen sollte, würde man von vornherein den fritsch-kompatiblen Stücken zuordnen. Was er daraus jetzt an der Wiener Staatsoper gemacht hat, ist aber eher eine große Egoshow der Protagonisten, die vor allem direkt und unverhohlen mit dem Publikum dauerflirten. Soviel Rampe und Publikum anspielen – das gibt es selten in der Oper. Selbst in einem Haus, dem es weniger darum geht, beim Ranking von interessanten Inszenierungsansätzen auch nur mitzuspielen, sondern vor allem seine Mischung aus Stamm- und touristischem Publikum täglich ins Haus zu locken.

Musikalisch war dieser Rossini allemal auf der Höhe des Eigenanspuchs des Hauses am Ring (und der Kartenpreise). Michele Mariotti demonstrierte am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper, dass diese Wiener Philharmoniker eben nicht zu den Salzburger Festspielen oder beim Neujahrskonzert die Alleskönner vom Dienst sind, sondern auch, wenn daheim im Graben, das Alltagsgeschäft ansteht. Am Premierenabend war das mit allen aufs Publikum zurollenden orchestralen Verführungskünsten Rossinis ein Genus, der immer auch die Sänger im Blick behielt. Mit einer dezenten Galanterie kam Mariotto auch Juan Diego Flórez bei seiner bewundernswerten Aufbietung aller Kräfte für den Grafen Almaviva entgegen, so dass der mit technischer Perfektion und seinem Timbre begeistern konnte. Ohne besondere Zurückhaltung des Orchesters konnte Paolo Bordogna in der Rolle des vom allgemeinen Komplott attackierten Bartolo auftrumpfen. Auch Ildar Abdrazakov als Musiklehrer Don Basilio räumte mit seiner Arie über die Wirksamkeit der Verleumdung regelrecht ab. Étienne Dupuis ist ein ausgesprochen souveräner und spielfreudiger Figaro. Eine echte Überraschung ist Vasilisa Berzhanskaya als Rosina. Ihre mühelos hervorgezauberten, tadellosen Koloraturen krönten dieses Ensemble ohne Schwachstellen auch in den kleineren Partien.  

Und was war noch? Bei den Kostümen und Perücken hat Victoria Behr wieder ihre Chancen genutzt, um zu glänzen, ohne dass diesmal die Erkennbarkeit der Gesichter der Schminke geopfert worden wären. Herbert Fritsch aber gereift vor allem in die Kiste mit den eher kleinteiligen Gags, wirft die so in die Luft, dass sie sich auf die einzelnen Akteure und Nummern (Szenen wäre eine irreführende Hochstapelei) verteilen, als wären es bunte Glitzerschnipsel. Wenn jemandem ein Brief in die Hände fällt, dann tut er so, als ob. Wenn sich jemand verstecken will, um nicht gesehen zu werden, hält er die Hände vor die Augen. Wenn sich einer anschleicht, dann kriecht er durch die gespreizten Beine eines anderen. Und wenn einer einen überlangen Zopf an seiner Perücke hat, dann wird damit natürlich nicht nur flott gewedelt, sondern er wird auch mal als Mikro benutzt oder als Kurbel, um die Körperhaltung damit zu verändern.

Nur gegen das Bühnenportal ist bei einem „missglückten“ Abgang diesmal niemand gerannt. Sonst war eigentlich jeder Gag vertreten, der sich auf dem Weg zur Rampe hin anbot und nicht schnell genug beiseite sprang. Aber wohin hätte er auch springen sollen. Einen Raum hat der Bühnenbildner Fritsch diesmal für Rossini nicht ge- bzw. erfunden. Nur leuchtend farbige Hängefolien. Oben, links und rechts, im Halbdutzend hintereinander, autonom oder aufeinander abgestimmt in Dauerbewegung. Schön bunt das alles, aber im sinnfreien Dauereinsatz auch etwas nervig. Man fängt an zu überlegen, ob es ein Zufall ist, wenn sich da schwarz rot und gold zusammenfindet - und votiert für Zufall. Zu bedeuten hat das wohl nichts.

Der beste – durchaus selbstironische – Regieeinfall war wieder für die bei Fritsch immer mutinszenierte Applausordnung aufgespart. Da trug jemand den stocksteifen Regisseur wie einen Pappkamaraden herein und stellte ihn zwischen die Akteuere. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Das Wiener Premierenpublikum war zufrieden. Na dann.

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