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Foto: Oper Halle
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Einstürzende Altbauten – Händels „Sosarme, Re di Media“ bei den Händelfestspielen in Halle

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Philipp Harnoncourt und Bernhard Forck sorgen am Opernhaus mit der szenischen Erstaufführung von Händels „Sosarme, Re di Media“ für eine musikalisch glanzvolle und szenisch packende Entdeckung.

Ein Vorwort im Händelhaus 

Nach dem Motto, wer viel zu bieten hat, der kann sich kurz fassen, verfuhren OB Bernd Wiegand und Festspiel-Intendant Clemens Birnbaum bei der traditionellen Eröffnungspressekonferenz der Händelfestspiele im Geburtshaus des Meisters. Als Verstärkung hatten sie sich den Chordirektor des Stadtsingechores Clemens Flämig und den Organisten und Kantor der Marktkirche Irenée Peyrot mitgebracht. Schon weil beide für den massenwirksamen bzw. für die Hallenser und ihre Besucher kostenfreien Teil der Angebote stehen. Auf die und die beabsichtigte, stärker sichtbare Verankerung der Festspiele in der Stadt wies der OB besonders hin. 

Im Zentrum der über 100 Veranstaltungen bis zum 12. Juni stehen freilich die 52 Verkaufsveranstaltungen an 20 traditionellen, aber auch neu hinzugekommenen Orten. Man kann sich allein wegen der neun, darunter fünf szenischen, Opernproduktionen mehr als sehen lassen. An der Spitze Händels „Sorsame, Re di Media“. Ebenfalls in der Oper gibt es die Wiederaufnahme des im letzten Jahr gefeierten „Lucio Cornelio Silla“. Dazu kommen in Bad Lauchstädt „Didone abbandonata“ und „Publio Cornelio Scipione“ sowie erstmals im Bernburger Carl-Maria-von-Weber Theater mit „Hippolyte et Aricie“ eine zeitgenössische Parodie nach Rameaus gleichnamiger Oper. Dorthin kann man, immer an der Saale hellem Strande entlang, sogar mit dem Schiff gelangen. Hinzu kommen mit „Belshazzar“ und dem „Messias“ zwei der berühmtesten Oratorien, vier große Chormusiken und eine ganze Reihe von hochinteressanten, grenzüberschreitenden Projekten kleineren und größeren Formates. 

Unter den Solistenkonzerten ist für die Hallenser Musikfreunde das mit der diesjährigen Händelpreisträgerin KS Romelia Lichtenstein in der Leopoldina ein Muss. In Halle kann man aber auch die international gefeierten Countertenöre Valer Sabadus und David Hansen, Tenor Ian Bostrigde und Sopranistin Anna Prohaska erleben. 

Ein Problem gab es in diesem Jahr mit den (aus bekannten Gründen) reduzierten Hotelkapazitäten, so dass etliche Kartenreservierungen vor allem von Reiseveranstaltern wieder zurückgegeben werden mussten. Für Kurzentschlossene hat das allerdings den Vorteil, dass die Chancen gut stehen, auch auf den letzten Drücker noch Karten zu ergattern. Der Infowürfel auf dem Markt ist nicht zu übersehen, das Händelhaus hat seine Tore weit geöffnet: jetzt muss nur noch das Wetter für die openair Konzerte mitspielen.

Auftakt im Opernhaus 

Davon, dass „Sosarme, Re di Media“ eine der ganz selten gespielten Händelopern ist, haben sich weder Bernhard Forck und das Händelfestspielorchester, noch Philipp Harnoncourt und sein Team irgendwie beeindrucken lassen. Mit einem mageren Dutzend von Inszenierungen kann man nicht wirklich von einer Rezeptionsgeschichte dieser 1732 erfolgreich uraufgeführten Händeloper reden – auf deutschem Boden sind da nur Göttingen und die konzertante Aufführung in Bad Lauchstädt 1989 in den Annalen vermerkt. Für den Festspielauftakt hat das Opernhaus jetzt die Chance genutzt, das vergessene Werk ins rechte Licht unserer Gegenwart zu rücken und sich mit ansteckender spielerischer Freude darauf gestürzt.

Dabei sprechen der musikalische Charme und die immer wieder aufflackernde Experimentierfreude Händels für sich. Wenn die anfangs recht verwirrenden Verwandtschaftsbeziehungen, Obsessionen und die Intrige einigermaßen klar sind (was sich auf sagen wir mal mittlerem Händelniveau hinzieht), dann gibt es nach der Pause ein betörend schönes Duett zwischen dem Titelhelden Sosarme und seiner Braut Elmira, das dem Schlingern zwischen Familienintrige und eskalierendem Bürgerkrieg ein vorübergehendes Innehalten verordnet, um dann mit einem Paradebeispiel für Händels Fähigkeit, mit einer Arienperlenkette vom Feinsten, das Publikum zu fesseln, musikalisch deutlich zuzulegen. Eingängige Melodien, auftrumpfender Rhythmus, auch Steilvorlagen für Witz und Ironie - all das folgt Schlag auf Schlag. Und selbst das liteo fine kommt nicht ganz so abrupt wie es den Gepflogenheiten der Zeit entsprach, sondern verströmt selbst auf den letzten Drücker noch in melodischer Schönheit. 

Am Ende triumphiert Händel dann doch. Aber wen wunderts, wenn sich das HFO auf seinen historischen Instrumenten in Hochform präsentiert, mit einzelnen gestrichenen oder geblasenen Soli glänzt und von Anfang an einen straffen dramatischen Sound liefert, der immer wieder mit betörenden Melodien, Intrigenparlando oder gar Witz aufwartet. Dazu: ein hinreißendes Protagonisten-Ensemble: Das geht los beim händelbewährten Robert Sellier als König (und Vater) und der jungen Henriette Gödde, die als Königin Erenice und Mutter mit ihrer dunkel leuchtenden Präsenz überzeugt (ein beglückender Neuzugang in der Riege der Händelinterpretinnen). Counter Michael Taylor läuft als beider Sohn Argone zu Hochform als Revoluzzer gegen den Vater und die ganze Ordnung auf. Ki-Hyun Park ist als Berater des Königs und Großvater des unehelichen Königssohns Melo (Julia Böhme, mit ihrem prägnanten Mezzo) der dunkel donnernde Fiesling im Stück, dem es fast gelingt, Vater und Sohn in ein Duell zu hetzten. Der bei Benno Schachtner mit stilsicher geschmeidigem Counter ausgestattete Titelheld und vorgesehene Schwiegersohn des Königs schließlich gehört wie seine Verlobte Elmira (in jeder Hinsicht höhensicher: Ines Lex) in die große Koalition der Vernünftigen, die am Ende dann doch ins liteo fine führen, bei dem, wie es sich gehört, nur der Intrigant – von der Einsicht in seine Bosheit übermannt – Selbstmord begeht.

Harnoncourts szenischer Weg dorthin freilich gleicht einem Bühnenbürgerkrieg, bei dem die dafür hochgerüsteten Hilfstruppen des Königs und seines rebellierenden Filius zwar mit ziemlichem Getöse, Lärm und Rauch, inklusive einer veritablen Explosion und einer umstürzenden Häuser- bzw. Ruinenwand, das Bühnenhaus metaphorisch und konkret zerlegen, aber doch am Kern des Konfliktes bleiben. Händel hatte den Plot selbst schon aus der Wiedererkennbarkeit damals aktueller politischer Konstellationen, in eine größere zeitliche und räumliche Ferne verlegt. Das Regieteam (zum dem Katja Rotrekl und Elisabeth Ahsef gehören) holt sie ins exemplarisch Wiedererkennbare heran. Rausgekommen ist dabei ein handfester, ironisch gebrochener Reality-Barock, der trotz des schmetternden „Auf zum Gemetzel, auf zum Tod, auf zum Sieg“ des Soldatenchores (aus Komparsen!) immer wieder mit Selbstironie und Witz unterlaufen wird. Wenn der Intrigant dem König wie eine Marionette tanzen lässt, Sosarme mit einem roten Stoffflecken am Nachthemd eine Mordswunde vortäuscht, sie aber fürs Liebesduett einfach beiseitelegt. Oder eben auch, wenn einzelne Musiker immer wieder bei passender Gelegenheit auf der Bühne im doppelten Wortsinn mit-spielen. Dann macht die Collage aus Familie und Krieg zunehmend Spaß. Einhelliger Jubel beim Premierenpublikum!

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