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Archiv von Richard Wagner-Urenkel Gottfried geht nach Zürich. Foto: Juan Martin Koch
Wagner-Büste im Richard Wagner Museum Bayreuth. Foto: Juan Martin Koch
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„Sündenfall in der Kunst“: Symposium „Diskurs Bayreuth“ im Festspiel-Programm

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Erstmals veranstaltet die Bayreuther Festspielleitung in Zusammenarbeit mit dem Richard Wagner Museum Bayreuth und mit Unterstützung der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e. V. ein jährliches Symposion, den „Diskurs Bayreuth“.

Am Anfang des von Prof. Marie-Luise Maintz geleiteten Symposions stand die „Frage des Sündenfalls in der Kunst“ im Mittelpunkt, „Wagner im Nationalsozialismus“. Ausgehend von Barrie Koskys Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ diskutierten die Professoren mit Mitchell Ash, Micha Brumlik, Dörte Schmidt und Klaus Zehelein über die Frage des szenischen Umgangs mit Wagners Antisemitismus. Klaus Zehelein, langjähriger Dramaturg in Frankfurt/Main, dann Generalintendant in Stuttgart und Präsident des Deutschen Bühnenvereins sowie Leiter der Bayerischen Theater Akademie August Everding, wertete das Vorgehen des Regisseurs als einen unzeitgemäßen Ansatz, denn Biografismus sei schon lange überholt.

Zum Thema „Hitler in Bayreuth“ wurden erstmals Filme aus dem Privatarchiv der Familie Wagner vorgeführt, die Hitler als chicen Privatmann zeigen, der lauschend an Winifred Wagners Lippen hängt. Irela von der Lühe fokussierte unter dem Titel „Hitlers Hoftheater“ Thomas Manns Auseinandersetzung mit Bayreuth und der Würzburger Ordinarius für Musikologie, Ulrich Konrad, dialogisierte mit Kritiker Gerhard R. Koch über „die Tradition solipsistischer Selbstverklärung“, unter anderem bei Alexander Skrjabin, Karlheinz Stockhausen und Hans-Jürgen Syberberg. Dabei wurde Hans Pfitzner als ein Negativbeispiel herangezogen, zwar nie Parteimitglied, doch ein überzeugter nationaler Deutscher, der – als ein Pendant zu Winifred Wagner – auch nach dem 2. Weltkrieg nicht von nationalsozialistischem Gedankengut Abstand genommen habe.

Geradezu um Entschuldigung gebeten wurde das Publikum, dass es im ersten abendlichen Konzert auch Hans Pfitzners Sextett d-Moll op. 55 anhören müsse, welches der greise Komponist 1945 in Garmisch-Partenkirchen komponiert habe. Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die dieses Sextett in diesem Jahr auch beim Richard Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen mit Erfolg zur Aufführung gebracht haben, rückten Pfitzners späte Komposition zwischen Schönbergs Fantasie für Violine und Klavier op. 47 und Olivier Messiaens stark katholisch geprägtes „Quartett auf das Ende der Zeit“. Pfitzners Suite sprach kompositorisch gleichwohl für sich, in der bereits von Bruno Walter attestierten „leiseren Lauten, die mir aus diesen letzten Kompositionen entgegen klangen. […] Es ist eine Stille, fast möchte ich sagen, eine betonte Stille in ihnen eine Abgewandtheit von der Art des Dramatikers“. Die exquisite Ausführung und die Qualität der Wiedergabe brachten das Publikum im Haus Wahnfried in eine Diskrepanz der Gefühle und Wertungen, so dass in der anschließenden Pause das Wort vom „Gespenster-Sextett“ die die Runde machte.

Der greise Komponist Dieter Schnebel hatte am Abend zuvor bereits den Bogen zur neuen Musik geschlagen, welche am nächsten Tag unter „Oper ohne Wagner? Musik ohne Oper?“ diskutiert wurde. Dabei wurde von Klaus Zehelein und Jürgen Schläder die Situation der Künste in der Neuorientierung nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Zehelein, der seit 1957 an den Ferienkursen in Darmstadt teilgenommen hatte, konstatierte die Ausblendung der NS-Zeit wie auch daselbst die Negierung der Kunstform Oper bei den internationalen Ferienkursen für neue Musik.

Hans Werner Henze, der eine Funk-Oper komponiert hatte, wurde dort bereits ausgeklammert, ebenso wie Luigi Nono, Bernd Alois Zimmermann und Boris Blacher. Schläder rückte die erste Uraufführung in Frankfurt, Hindemiths „Harmonie der Welt“ im Jahre 1948, in die Rubrik der „konzeptuellen Musik-Kompositionen“, wie auch die erste Uraufführung am Nationaltheater in München 1963: Werner Egks „Die Verlobung in Santo Domingo“. Rolf Liebermann habe in den vierzehn Jahren seiner Intendanz in Hamburg jedes Jahr eine Uraufführung realisiert, darunter auch viel „Mist“, wie Zehelein beipflichtete, sich dann aber selbst korrigierte: es gäbe keinen Mist in der Musik, nur Unbedeutendes.

Herausragend sei in Liebermanns letztem Intendanz-Jahr die Uraufführung von Mauricio Kagels „Staatstheater“ gewesen. In München habe Georg Hartmann immerhin Sutermeisters „Raskolnikow“ gespielt, aber infolge restriktiver Maßnahmen des bayerischen Ministeriums seien neue Tendenzen abgewürgt worden. Zehelein verwies auf Gottfried von Einems „Dantons Tod“ bei den Salzburger Festspielen, 1948 uraufgeführt, aber bereits vor dem Krieg als Auftrag vergeben. Schläder ergänzte, dass Salzburg ab 1948 zwar neue Musik ins Programm genommen habe, etwa die Uraufführungen von Frank Martins „Le vin herbé“ im Jahre 1948 und 1949 die „Antigonae“ von Carl Orff, aber „gemessen an dem, was das Stück hergegeben hätte“, eine „kompositorische Frechheit“, da die finale Aussage, Kreons Schuld betreffend, im Pianissimo versunken sei.

Mitchell Ash untersuchte Wagner als „kulturelle Ressource der Nachkriegs Zeit“; rückblickend verwies er darauf, dads zwar Freud, aber nicht C. G. Jung im Dritten Reich verboten gewesen sei und verwies auf C. G. Jungs Wotan-Aufsatz als Anbiederung an die Nazis. Dörte Schmidt ging der Frage nach, „warum nach dem zweiten Weltkrieg Emigranten nach Bayreuth fahren“. Neben den in den USA ausgebildeten Solisten, wie Astrid Varnay, hätten sich die Wagner-Enkel bemüht, die Integrität der musikalischen Interpretation abzusichern, indem einerseits deutsche Traditionalisten, wie Hans Knappertsbusch, engagiert wurden, zum anderen aber Emigranten, wie Erich Leinsdorf und Paul Hindemith; Schmidt erwähnte dabei auch das Engagement von Erich Engel als Studienleiter der Bayreuther Festspiele. 

Ash betonte den Begriff der Transnationalität im Zusammenhang mit zurückgekehrten Emigranten, die gleichwohl so wenig bereit gewesen seien, ihre Vergangenheit während des Dritten Reichs zu reflektieren, wie die in Deutschland verbliebenen, an den Theatern, in Ministerien und im Parlament wirkenden Personen mit NS-Vergangenheit. Ulrich Konrad führte die Diskussion erneut auf die Frage der Interpretation von Wagners Partituren, insbesondere der Tempi; er betonte dabei, Richard Wagner habe die „Meistersinger“-Ouvertüre stets in 8 Minuten dirigiert. Dörthe Schmidt verwies auf die Sprachähnlichkeit der Interpretation von Pierre Boulez, den Wieland Wagner für „Parsifal“ engagiert und damit die Tendenzen der neuen Musik in die musikalische Interpretation in Bayreuth eingebracht hatte.

Elisabeth Bronfen und Larry Wolf diskutierten über „Ehrfurcht und Travestie in der Mitte des 20. Jahrhunderts“, als einen „High-Low Wagner“, Silke Leopold und Reinhard Kapp über „Wagnerprobleme in Nachkriegszeiten“. Wissenswertes zu „internationalen Tourneen deutscher und österreichischer Orchester zwischen 1930 und 1960“ trug Friedemann Pestel bei, und Wolfgang Fink spannte erneut den Bogen nach Darmstadt, das neben Neu-Bayreuth den wichtigsten Ansatz zur „Neujustierung des Musiklebens im Nachkriegsdeutschland“ gebildet habe.

Diese Veranstaltungsreihe soll in den kommenden Bayreuth-Sommern fortgesetzt werden.

Weitere Wahnfried-Konzerte in im Rahmen des „Diskurs Bayreuth“: 5., 7., 10. 13., 15., 17. 19. und 23. August 2017. 

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