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vorn, v.l.: Pauliina Linnosaari (Leonore), Andreas Beinhauer (Don Fernando), Magnus Piontek (Rocco), Guibee Yang (Marzelline), Siyabonga Maqungo (Jaquino); Damen und Herren des Opernchores. Foto: Nasser Hashemi
vorn, v.l.: Pauliina Linnosaari (Leonore), Andreas Beinhauer (Don Fernando), Magnus Piontek (Rocco), Guibee Yang (Marzelline), Siyabonga Maqungo (Jaquino); Damen und Herren des Opernchores. Foto: Nasser Hashemi
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Falsche Fassung für die richtige Idee – „Fidelio“ am Theater Chemnitz

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Im Vorfeld der Feierlichkeiten zu Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag im Jahr 2020 häufen sich schon diese Spielzeit die „Fidelio“-Produktionen. An den Theatern in Görlitz, Radebeul, Osnabrück und seit letztem Wochenende Chemnitz fanden Premieren der einzigen Oper Beethovens statt. In der „Stadt der Moderne“ offenbarten sich einmal mehr deren heikle Anforderungen zwischen Form und menschlicher Botschaft. Noch schwerer als die Bestätigung des ihr in der Wirkungsgeschichte zugewiesenen Nimbus einer Apotheose der Freiheit ist die kritische Auseinandersetzung. Diese Erfahrung machten auch der Regisseur Robert Lehmeier und das Ensemble der Oper Chemnitz mit einer zwiespältigen Gesamtleistung, analysiert Roland H. Dippel.

Handschellen nur im Finale, aber nicht im Kerker! Der Gefangene Florestan bewegt sich frei in einem gar nicht einmal so beengten Kellerraum. Erst nach der Pause des neuen Chemnitzer „Fidelio“ wird mit jener Kraft und jenem inneren Beben gesungen, das man bei dieser ‚Freiheitsoper‘ in besonders hohem Maße erwartet. Ausgerechnet in der anspruchsvollsten Partie der von Ludwig van Beethoven reichlich mit gesanglichen und dramaturgischen Schwierigkeiten gespickten Partitur liefert Viktor Antipenko, in Chemnitz bereits als Hermann in „Pique Dame“ mit Begeisterungsstürmen gefeiert, wieder einen großartigen Auftritt. Dieser Kraft virilen und dabei sensiblen Gesangs hält an diesem Abend nur eine einzige Bühnenkollegin stand. Das ist in diesem Fall nicht Leonore, die sich in der Verkleidung als Kerkergehilfe Fidelio an die Rettung ihres durch Intrigen und Mordabsichten bedrohten Gatten Florestan macht, sondern die Interpretin der Marzelline.

Was passiert, wenn sich der umworbene Wunschpartner als Frau zu erkennen gibt? Der hier stärkste Moment ist fürwahr kein resignativer Opernspaß, sondern ernsthaft erschütternd: Guibee Yang zeigt die mimischen und vokalen Zähne mit einem in Aufschwüngen fast stählern werdenden, dabei noch leichten Soprans. Eine äußerst aparte Steigerung ohne nur einen Funken Sentimentlität! Die Robert-Schumann-Philharmonie liefert zum stummen Schlagabtausch zwischen Marzelline und Leonore vor dem zweiten Finale die zweite Leonoren-Ouvertüre leider nur mit Spannung auf Sparflamme.

Robert Lehmeier erzählt in seiner zweiten Chemnitzer Regie nach der Operettenuraufführung „Südseetulpen“ die „Fidelio“-Story aus der Perspektive Marzellines. Diese kommt als einzige Figur zum gesprochenen Wort, wenn auch nur über Band und sprachlich gedoubelt von der Schauspielerin Christine Gabsch. Man hört flockig Verkürztes wie: „Jacquino hat mich überhaupt nicht mehr interessiert.“ Umgangssprachliches ersetzt also die originalen Dialoge von Sonnleithner, von Breuning und Treitschke.

Enthusiasmiert von der eigenen Happiness

Tom Musch wuchtet ein bald trautes Eigenheim mit Giebeldach in Rohzustand zwischen Richtfest und Erstbezug auf die Bühne des Opernhauses: Symbol für die sentimentalen Lebenspläne des Paares Leonore und Florestan sowie des Nicht-mehr-Paares Marzelline und Jacquino (weitaus lyrischer als in diesem Part sonst gewohnt: Siyabonga Maqungo). Die Gefangenen: Keine verlumpten und vom Licht geblendete Lemuren, sondern solide Männer in weißen Anzügen. Am Ende jubelt eine bunte Gruppe über die Befreiung aus existenziellen Krisen. Schöne junge Menschen beobachten, enthusiasmiert von der eigenen Happiness und Begeisterungsfähigkeit, wie die zwei Lobbyisten Florestan und Don Fernando (Andreas Beinhauer ist stimmlich weniger ölig als darstellerisch) ihre Allianz bekräftigen und die darob zunehmend enttäuschte Leonore als Edelstatistin funktionalisieren. Offenbar glaubt man kaum noch an eine glückliche Ehe des hohen Paares Florestan und Leonore. Das fällt in der Deutung Robert Lehmeiers genauso auf wie bei Yona Kim, die am Theater Osnabrück eine handfeste Beziehungskrise des Paares erfand: Das Aufschließen der Handschellen wird in Chemnitz zum Show-Act. Im Schwarz der Dienstmonturen saufen Kerkermeister Rocco, Marzelline und Jacquino neben den medialen Saubermännern ab, das Verschwinden des Intriganten Pizarro nimmt man kaum zur Kenntnis. Krisztían Cser reaktiviert hier fast Eins zu Eins seine Darstellung des Wotan im Chemnitzer „Rheingold“: Ein Machtstratege ohne Persönlichkeitskontur versprüht derartige Lockerheit, dass man seinen Untaten kaum noch allzu große Tragweite beimisst: Korruption mit Nonchalance will Lehmeier zeigen und bleibt dabei meistens eine Spur zu flach. 

Ein glänzender „Ring des Nibelungen“ wie in der Oper Chemnitz mindert die Aufführungsrisiken von „Fidelio“ noch lange nicht. Aus dem Verzicht auf die Dialogszenen erwachsen umso größere Schwierigkeiten für die musikalische Seite. Der gleich in der ersten Vorstellung nach der Premiere GMD Guillermo García Calvo vertretende Jakob Brenner fühlt sich offenbar nicht dafür verantwortlich, Beethovens raffiniertes Hineingleiten in die Musiknummern und Gesangseinsätze als bezwingende Momente zu gestalten. Die Robert-Schumann-Philharmonie, der in diesem Ambiente seine Aufgaben eher plakativ wahrnehmende Chor (Stefan Bilz) und die Solisten wollen an diesem Abend offenbar nicht allzu viel miteinander zu tun haben. Magnus Piontek beginnt mit dem Rocco in Chemnitz endlich eine Kette von Paradepartien wie Boitos „Mefistofele“. Hier aber bleibt er notgedrungen, von der Regie kaum zu Details angehalten, in der Attitüde des nur prolligen Kraftmeiers ohne Bewusstseinserweiterung. Ingeborg Berneth trennt in ihren Kostümen zwischen dem Schwarz des Kerkerpersonals, dem Blau der in Sakkos steckenden Führungselite und dem Bunt der Massen. Vergleichbar plakativ agiert bei ihrer ersten Chemnitzer Produktion Pauliina Linnosaari als Leonore-Fidelio. Die künstlich verbreiterte Mittellage und ihre des öfteren etwas dünn angezielte Höhe lassen auf eine von falschem Ehrgeiz gesteuerte, zu frühe Eroberung der anstrengenden Partie schließen.

Beethovens sich so unheimlich verdichtendes Crescendo von Singspiel-Beginn über die Dramatik des Kerkerbildes in die kantatenhafte Weitung des Finales bleibt im jüngsten Chemnitzer „Fidelio“ auch deshalb ausgebremst. Für die hier zur Protagonistin erhobene Marzelline hätte es in den ersten beiden Fassungen Beethovens noch viel Sinn machendes Notenmaterial gegeben. In der besuchten Vorstellung fanden also Szene und Musik nicht mit der Energie zusammen, die eine „Fidelio“-Aufführung legitimiert.

  • Fidelio / Opernhaus Chemnitz – Einrichtung der Zwischentexte von Robert Lehmeier (Aufführung mit deutschen Übertiteln) – Musikalische Leitung: Guillermo García Calvo – Inszenierung: Robert Lehmeier – Bühne: Tom Musch – Kostüme: Ingeborg Bernerth – Chor: Stefan Bilz – Andreas Beinhauer (Don Fernando), Krisztían Cser (Don Pizarro), Viktor Antipenko (Florestan), Pauliina Linnosaari (Leonore-Fidelio), Magnus Piontek (Rocco), Guibee Yang (Marzelline), Siyabonga Maqungo (Jaquino), Edward Randall / Florian Sievers (Erster Gefangener), André Eckert (Zweiter Gefangener); Chor, Chorgäste und Extrachor der Oper Chemnitz, Robert-Schumann-Philharmonie
  • Premiere am 25. Mai 2019, 19.00 Uhr im Opernhaus Chemnitz – Besuchte Vorstellung: Mi 29.05., 19:00 – Wieder am Sa 04.05., 19:00 – Fr 17.05., 19:00 – Fr 24.05., 19:00 – So 02.06., 15:00 – Gastspiel in Aschaffenburg: Mi 19.06., 19:30 – Do 20.06., 19.30 – Wiederaufnahme in der Spielzeit 2019/20 in der Oper Chemnitz

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