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Aus einem Totenhaus. Foto: © Wilfried Hösl
Aus einem Totenhaus. Foto: © Wilfried Hösl
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Frank Castorf scheitert in Münchens Nationaltheater an Janáčeks „Aus einem Totenhaus“

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Es gibt Musiktheaterwerke, die aus dem gängigen Repertoire fast wie Monolithen aufragen, weil sie fern aller Belcanto-Freuden den Mühseligen und Beladenen ein künstlerisches Mahnmal errichten – so Alban Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“, so Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“. Dazu zählt auch Leoš Janáćeks „Aus einem Totenhaus“. In seinem letzten Bühnenwerk legt der 74jährige in einem sibirischen Lager die Schicksale von Gewalttätern und Mördern offen, zeigt kleine Reste von Humanität und schreibt über die Partitur „In jeder Kreatur ein Funke Gottes“.

„Ich komme mit der Wahrheit durch, der äußersten Wahrheit“ schrieb Janáček an seine Muse Kamilla Stösslova, während er aus Dostojewskis Straflager-Aufzeichnungen den Text für sein 100-Minuten langes Werk filterte: den kurzen Aufenthalt Gorjančikovs, seine Förderung und Alphabetisierung des jungen Aljeja; aus dem dumpf-öden Lageralltag ragen vier Bekenntnis-Monologe von Einzeltätern auf; ein gesund gepflegter Adler wird zum Symbol für Freiheit – alles umgeben von brutalem, versoffenen Wachpersonal; umspielt von herben, kantigen, rhythmisch mal vibrierenden, mal wüst stampfenden, mal hymnisch aufleuchtenden Klängen. Ein singuläres Musiktheater-Juwel, Schlusspunkt von Janáčeks langem Weg zum Komponisten des sozialen Mitleids.

„Villa Kunterbunt“

John Tyrell, der größte Janáček-Kenner und -Editor, stellt ausdrücklich fest, dass Janáček nur ungern neuen Text zu einer Vorlage hinzufügte. Doch all das interessiert einen seinen „Personal-Stil“ eitel ausbreitenden Frank Castorf nicht. Also zitiert ein Besoffener aus dem Lukas-Evangelium, aber natürlich auf Spanisch; in den hinzugedrehten Videofilmchen laufen zusätzliche Dostojewski-Texte und Untertitel mal auf Russisch, mal auf Deutsch; und natürlich überhaupt viel Live-Video mit irgendwelchen Aktionismen ohne Handlungsbezug, die nicht direkt zu sehen sind – denn zu all dem hat Castorf sich von seinem Bühnenbildner Aleksandar Denić einen verschachtelt gegliederten Bau auf die Drehbühne stellen lassen: eine Art „Villa Kunterbunt“ irgendwo in der Öde, mit Cola- und Film-Reklame, unerklärt bleibenden Nebenräumen, ein Stück Stacheldrahtzaun neben Couch und Hasenstall. All das wird mal weiß, mal rot ausgeleuchtet; es regnet und schneit; die Bühne wird vermüllt; zwei traumschöne Girls im Glitzerlook des „Trocadero“ spielen auch mit und deuten Sex an; ein Pope segnet mal alles; ein ganzer Schwertfisch wird vorbeigetragen; die zwei Laientheater-Stückchen, die die Häftlinge an einem freien Tag spielen, gehen in dem Aktionswust sinnentleert unter; dafür treten die Häftlinge in Skelett-Kostümen des mexikanischen Totenfeiertages auf; gegen Ende lesen sie in blitzsauberen russischen Zeitungen; dann marschieren auch mal sechs Typen im SS-Look quer über die Bühne; dass die bei Janáček nicht auftauchende Mutter Gorjančikovs, der Adler im Cabaret-Federkostüm und der junge Aljeja alle von Evgeniya Sotnikova verkörpert werden… da hatte der Janáček-Verehrer seine Hoffnung aufgegeben, das Werk zu erleben. Haften blieb eher, dass der Regisseur Castorf die vier Monologe nicht irgendwie mit „Personenführung“ belastet hatte, sondern einfach frontal ins Publikum singen ließ.

Klage und Anklage wurden nicht Klang

Zu all dem lieferte Simone Young mit dem glänzend aufspielenden Staatsorchester nicht knallharte Nervenmusik, sondern einen eher farbenreichen, mehrfach üppigen Sound. Klage und Anklage wurden nicht Klang. Durch ihre klare Zeichengebung sangen Chor und – stellvertretend für die sechzehn weiteren Protagonisten - Peter Rose (Gorjančikov), Charles Workman (Skuratov) und Bo Skovhus (Šiškov) den rhythmisch anspruchsvollen Deklamations- und Konversationsstrom von Janáčeks Komposition sicher. Doch ihre Schicksale interessierten nicht. Der zeitlos anrührende, moralisch herausfordernde Satz über einen sterbenden Mörder „Auch ihn hat eine Mutter geboren“ – dererlei interessiert einen Castorf einen Schnurz. Er stülpt seinen detailbesessenen Wust an Nebensächlichkeiten jedem Werk über; so gleichen sich Castorf-Wagner, Castorf-Goethe, Castorf-Brecht oder eben Castorf-Janáček fatal unkünstlerisch. Im Beifall seiner Anhänger wie im Buh der Musiktheaterfreunde stolzierte er eitel vor allen Mitwirkenden auf und ab. Er sollte sich eine Spielstätte abseits aller ernsthaft arbeitenden Theater suchen und dort „Castorf-Festspiele“ anbieten.

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