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Der Tanz als zweite Darstellungsebene: Studierende der Palucca Schule Dresden in der Gemeinschaftsproduktion von Glucks „Orpheus und Eurydike“. Foto: Bettina Stöß
Der Tanz als zweite Darstellungsebene: Studierende der Palucca Schule Dresden in der Gemeinschaftsproduktion von Glucks „Orpheus und Eurydike“. Foto: Bettina Stöß
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Gemeinsamkeit macht stark: Glucks „Orpheus und Eurydike“ als Projekt der drei Dresdner Kunsthochschulen

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Da gehen die Kunsthochschulen bis an die Grenzen. Aber innerhalb derselben erkunden sie ein hohes Maß an Freiheit der Gestaltung eines Musiktheaterwerkes, das wahrlich nicht zu den unbekannten gehört. Befreit von modischen Trends vorschneller Aktualisierungen gelingt in dieser Aufführung, die ihren Werkstattcharakter nicht leugnet, in bemerkenswerter Zeitlosigkeit ein assoziationsreiches Geschehen, dessen Bilder nicht ohne Langzeitwirkung bleiben.

Das ist natürlich in erheblichem Maße der Kraft unverstellter Individualität der jungen Protagonistinnen und Protagonisten zu verdanken und man muss an dieser Stelle betonen, dass auch im für den Zuschauer unsichtbaren Bereich der Vorbereitung und der abendlichen Aufführung Studierende unterschiedlicher Fachbereiche mit Eifer am Werk sind. Wie immer bei diesen schon zur Tradition gewordenen Projekten können sie auf die Unterstützung durch das Staatsschauspiel rechnen in dessen Spielplan diese studentischen Musiktheateraufführungen einen nicht unerheblichen Anteil ausmachen.

Wir nehmen unsere Plätze ein und sehen herab auf das Drama. Wie im antiken Theater hat Ausstatterin Cleo Niemeyer von der Dresdner Hochschule für bildende Künste die Szene so tief als möglich nach unten verlegt. Das Tanztheater von Thomas McManus zu Christoph Willibald Glucks Oper geschieht vor den Zuschauern auf den ansteigenden Sitzreihen. Vor der schwarzen Wand an der Rückseite der Bühne ist das Orchester leicht erhöht, rechts und links davon der Chor, alle Mitglieder schwarz gekleidet, so lösen sich Begrenzungen auf, der Klang kommt zu uns aus einer nicht gänzlich zu definierenden Tiefe. Vor den Sängern und Musikern das Spiel, die Protagonisten, Tänzerinnen und Tänzer. Mitunter verbinden sich Klang und Bewegung ganz körperlich, dann wieder gilt strenge Trennung zwischen dem oft waltenden oratorischen Stil der musikalischen Seite der Aufführung und dem mehr oder weniger tänzerisch abstrahierenden oder kommentierenden Anspruch des regieführenden Choreografen.

Von Beginn an wird auf höchstmögliche Klarheit und Strenge geachtet. Gedanken an Rituale des Abschieds, an Motive von Totentänzen, dürften nicht ganz unangemessen sein. Glucks temperamentvolle und so sonderbar beschwingte Ouvertüre ist gestrichen, dem klagenden Eingangschor ist eine Zuspielung vom Band voran gestellt. Der Dresdner Kammerchor singt Max Regers Trauermotette „O Tod, wie bist du bitter“. Dazu, feierlich, gemessenen Schrittes, betreten die Sängerinnen und Tänzer das Theater. Später, wenn der Figur des Amor die des Todes gegenüber gestellt wird, bei Gluck kommt sie nicht vor, thematisch aber ist sie auf jeden Fall im Spiel, erschließt sich dieser ungewöhnliche Beginn.

Und dann wird mit den Mitteln der Musik und des Tanzes die Geschichte von Orpheus und Eurydike erzählt. Von seinem Trauergesang über den Tod der Geliebten, der es vermag die Götter dermaßen zu bewegen, dass sie ihre eigenen Gesetze außer Kraft setzen und es dem Sänger gestatten Eurydike aus dem Reich der Schatten zurück ins Leben zu führen. Amor aber ist der Spielmeister und sein Spiel ist so grausam wie listenreich. Der Weg ins Leben ist eine Prüfung, und an eine Bedingung gebunden. Orpheus darf sich nicht umsehen, er muss den Klagen der Eurydike über sein unverständliches Verhalten stand halten. Das alles ist dem Scheitern geweiht und alle noch so herzzerreißend schön besungene Not sollte den Zuschauer nicht darüber hinweg täuschen dass das Leben, zu dem die Liebe gehört, eine Abfolge von Endpunkten ist, deren permanente Nichtanerkennung zum Tod bei lebendigem Leibe führen kann.

Wer sich so tief in die Interpretation dieses Stoffes begibt bedarf der Mittel, die weit über das Wort hinaus gehen, die Musik, den Gesang und den Tanz. Diese Disziplinen sind durch die Studierenden der Dresdner Hochschulen für Musik und Tanz hervorragend vertreten. Sie erfuhren im Prozess der Erarbeitung offensichtlich angemessene Anleitung und Begleitung durch den Dirigenten Franz Brochhagen, den Studienleiter und Chordirektor Michael Käppler und den regieführenden Choreografen Thomas McManus. So wie hier das Hochschulsinfonieorchester spielt kommt der Verdacht gar nicht auf, Glucks Musik könne spröde sein oder sich in Gleichförmigkeit erschöpfen. Hier waltet frischer Klang, die Tempi sind zügig, das Klangbild ist so farbreich wie präsent und plastisch. Der Chor mit seinen wenigen Aufgaben fügt sich da bestens ein. Bei den Solistinnen überrascht Julia Böhme in der am weitesten ausladenden Titelpartie klanglich, mehr noch im vernehmbaren Wissen um charaktervolle Gestaltung der Rolle. Ka-Eun Kim und Maria Perlt als Eurydike und Amor erfahren eine Aufwertung ihrer Partien durch die Einfügung je einer Arie, die Johann Christian Bach für eine Aufführung in Neapel eingefügt hatte. Alle Partien und Rollen sind doppelt besetzt, in späteren Aufführungen wird auch der Dresdner Countertenor Stefan Kunath die Partie des Orpheus singen.

Den Figuren der Oper sind Tänzerinnen und Tänzer zugeordnet, die Rolle des Todes bleibt dem Tanz vorbehalten. Auch sonst geht es nicht um Doppelungen, es geht um andere Darstellungsweisen innerer Vorgänge oder Emotionen, das gelingt Christof Pohl und Camilla Schmidt als Orpheus und Eurydike außerordentlich in ihren Soli. Hier wird neoklassisches Material mal sanfter, mal härter gebrochen, schnell wechselt der Tanz vom empfindsamen Nachzeichnen einer musikalischen Linie zur abstrakten Assoziation. So wird es möglich berührende Momente zu sehen, wenn der besungene Weg aus der Unterwelt zu einem schmerzvollen Tanzduett aus Erfahrungen einer unaufhaltsamen Entfremdung wird. Dass die Figur des Amor im Tanz auch an die Schlange im Paradies erinnert hat etliches für sich, ebenso wie deren Vereinigung mit dem Tod, den Zongwei Xu und Irene van Dijk überzeugend darstellen, dieweil Amors Macht nur noch knapp nach so viel Vergänglichkeitserfahrung gepriesen wird.

Zu den Tänzern mit klar definierten Zuordnungen in der Handlung kommen zwölf weitere Studierende der Palucca Schule als Freunde, Furien und Selige. Sie fügen sich immer wieder zu assoziativen Bildern, diese sind dann ganz stark, wenn bei Verzicht auf jedes dekorative Beiwerk Momente der Verletzlichkeit menschlicher Körper den musikalischen Verlauf dieses gelungenen Experiments der Dresdner Kunsthochschulen grundieren.

Weitere Vorstellungen: Fr 19.11.10, Do 25.11.10, Fr 17.12.10, Mi 22.12.10, Mi 19.01.11, jeweils 19:30 Uhr sowie So 21.11.10 und So 16.01.11 jeweils 16:00 Uhr (Kleines Haus des Staatsschauspiels Dresden)

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