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Wolf Biermann und des Zentralquartett. Foto: Dietrich Flechtner
Wolf Biermann und des Zentralquartett. Foto: Dietrich Flechtner
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„… glühender Dorn in den kurzsichtigen Augen“ – Eindrücke vom Dresdner Konzert der „Ermutigung“

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Aus heutiger Sicht mag es unvorstellbar sein, dass einst Tonbänder und Kassetten herumgereicht und kopiert worden sind, dass Texte handschriftlich vervielfältigt wurden und dass drastische Strafen auf solche Taten standen. Wer die Weitergabe solcher Konterbande betrieb, wurde in der DDR nicht wegen Verletzung von Urheberrechten belangt, sondern galt sofort als Staatsfeind. Meist ging es ja um Texte mit brisantem Inhalt, um Anklagen und Vorwürfe, die das gesamte Weltgefüge des kommenden Kommunismus ins Wanken bringen könnten.

Bekanntlich kam dieses utopische Wunderreich überhaupt nicht, wird wohl nie jemals kommen. Einer, der heftig an den Stuhl- und Tischbeinen von dessen real existierendem Konterfei, genannt Sozialismus, gesägt hat, war der Liedermacher Wolf Biermann. Einst bekennender Kommunist, bald einer der populärsten und schärfsten Kritiker jener deutschen Diktatur, die ihre eigenen Ideale so nachhaltig verriet. Sie hat den Barden während des berühmt gewordenen Köln-Konzertes 1976 ausgebürgert und sich damit einen weiteren Sargnagel ins faulende Fleisch geschlagen. Biermanns Lieder und Texte waren nun erst recht in aller Munde. Sie wurden von Systemgegnern gesungen und in den Schreibstuben der Stasi notiert.

Den Eingesperrten war die freche Stimme Ermutigung, den Wächtern ein glühender Dorn in den kurzsichtigen Augen. Seit seinem legendären Leipzig-Konzert am 1. Dezember 1989, die DDR-Regierung war noch an der Macht, ist Wolf Biermann wieder gesamtdeutsch aktiv. Aus verständlichen Gründen hat er im deutschen Osten nach wie vor eine besonders feste Gemeinde.

Das zeigte sich schon am ersten November-Sonntag in Dresdens Kreuzkirche, wo Wolf Biermann gemeinsam mit dem Zentralquartett und seiner Frau Pamela zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution ein Experiment wagte. Es war ein Doppeldebüt, in dem Biermann zum Sänger des Quartetts wurde und die Jazzer erstmals zu Begleitern eines Solisten. Dabei kennen sich die Musiker schon seit Jahrzehnten, fanden aber erst jetzt zum gemeinsamen Musizieren. In drei Teile war der Abend gegliedert, der im BE als Festkonzert mit allerlei Politprominenz wiederholt werden soll. Erst ein Solopart Biermanns zur Gitarre, worin unter anderem die seinerzeit in Leipzig uraufgeführte „Ballade von den verdorbenen Greisen“ erklang, in der er sarkastisch mit Konsorten wie Krenz, Mielke, Schnitzler und Honecker abgerechnet hat. Bemerkenswert, dass er keine Rache fordert: „Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen, du bist schon verdorben genug“, sondern Rente gewährt.

Zentraler Punkt des Abends war das ursprünglich als Synopsis und seit 1984 in deftiger Anspielung auf das SED-Zentralkomitee mit heutigem Namen versehene Quartett. Die vier höchst vitalen Gründungsmitglieder Conny Bauer (Posaune), Ernst-Ludwig Petrowsky (Klarinette, Saxofon, Flöten), Ulrich Gumpert (Piano) und Günter Baby Sommer (Schlagzeug) bespielten ihre aus deutschen Volksliedern sprießenden Wurzeln und bewiesen einmal mehr unglaubliche musikalische Frechheiten, mit denen sie scheinbar festgefügte Gesetze über den Haufen warfen und sich neue Klangräume erobert hatten.

Der Höhepunkt dieses doppeldeutig mit „Ermutigung“ überschriebenen Konzertes, das nicht nur einen von Biermanns bekanntesten Titeln aufgreift, sondern wohl auch ganz heutig verstanden werden sollte, war das erstmalige Zusammenspiel von Sänger und Jazzer.

Angefangen mit der 1966 entstandenen „Ballade vom 30. Jahr“, in der Baby Sommer diesmal einen riesigen mit Küchenutensilien gefüllten Kochtopf scheppern ließ, wurde hier das eigentliche Experiment gewagt. Wolf Biermann ohne Gitarre, nichts zum Festhalten, nur hin und wieder die Hände seiner Frau. Seine ganz wunderbar arrangierten Lieder gerieten dadurch zum orchestralen Ereignis. Mal griff Luten Petrowsky am Saxofon säuselnd die Melodien auf, mal kommentierte die Musik den Text. Militärische Idiotie wie in „Soldat Soldat“ („Soldaten sehn sich alle gleich, lebendig und als Leich'“) wirkte allgemeingültig und bestürzend zugleich. Eine jazzige Deutschland-Hymne verband das Auferstehen aus Ruinen mit Brechts Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“. Biermann aber sang von bleibender Zerrissenheit.

Eine virtuose Kakofonie der Jazzer hat genau diesen Zustand illustriert, in dem Ermutigung nach wie vor not tut – das Zentralquartett und Wolf Biermann haben dies wieder einmal vermittelt. Mehr als tausend Konzertbesucher dankten mit ergriffenem Applaus.

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