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Nina Hagen, 08.03.2016, Konzert im Anhaltischen Theater Dessau. Foto: Sebastian Gündel.
Nina Hagen, 08.03.2016, Konzert im Anhaltischen Theater Dessau. Foto: Sebastian Gündel.
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Godmother contra Gypsy Queen

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Beim Kurt Weill Fest polarisiert Nina Hagen nicht, sondern sie begeistert! Im Magazin des Kurt Weill Festes wird Nina Hagen angekündigt als „Die Erste!“ und „polarisierend“. Das ist sie nun nicht mehr, die Königin und „Godmother“ des deutschen Punks, vor deren riesigen Augen mit dem furiosen Böse-Königin-Lidstrich Man(n) sinnieren will, ob jetzt sofort mit Vollgas die erste, zweite oder gar schon dritte Pubertät beginnt.

Wenig polarisierend ist auch das Publikum im Opernhaus Magdeburg, wo der Auftritt der zündenden Röhre mit der staatlich geprüften Schlagersängerin dem Festival und der Stadtkultur zur gleichermaßen gesellschaftlichen wie populistischen Spritztour werden soll. Ungerecht und ungerechtfertigt ist das, weil das Festival sich angesichts des vielschichtigen Themas „Krenek, Weill und die Moderne“ in einer dem Gegenstand schwerlich angemessenen Biederkeit verfangen hatte und – im Dessauer Symposium „Zeitgenossenschaft“ vor wenigen Tagen – kaum den Bogen schlägt zu den unsere Migrationsthemen streifenden Aspekten und existentiellen Daseinsfragen im Werk Kreneks und Weills.

Das sollte Nina Hagen richten - und sie tut es mit einer nicht mit Frechheit zu verwechselnden Frische, die sich hervorschält aus dem etwas matten Entrée und dann die Dynamik des Festivals schnell abhängt.

Nina ist nicht allein, ihr assistiert bei Texthängern und seit jeher bekannten Flüchtigkeiten die von Rosa von Praunheim in einer Dokumentation zur „Gypsy Queen von New York“ geadelte Brecht-Nichte Sanda Weigl zu berühmten Songs wie „Mackie Messer“ und aus „Lost in the Stars“. Nina macht’s bei Brecht gerne mit Gefährtin, das hat sich nicht geändert seit ihrem Dreigroschen-Songs-Debüt im Parktheater Göppingen etwa anno 1998, als sie mit New-Wave-Koloraturen die Buchstaben-Nudeln der Augsburger Brecht-Tage schlichtweg zertrümmerte.

Sanda Weigl assistiert

Damals war es mit Meret Becker, gestern war es mit Sanda Weigl. Die beiden Damen – Sanda und Nina – gehören mit ihren Künstlermüttern bzw. –Tanten sowie ihren Musen-Inspiratoren Thomas Brasch und Wolf Biermann zur nämlichen kulturellen Luxuskaste der ehemaligen DDR. Schillernd zwischen affirmativer Utopie und Dissidenten-Mut. Sanda Weigl, die eine eigene beeindruckende Diseusen-Profilierung hat, wirkt da sehr solide und notentextkonform neben Nina mit der sanftrosa Nelke in der schwarzen Perücke, den pastellenen Voiles, dem dunklen Kleidchen und himmelblauen Leggins. „Komm heraus, du Schönheit von Soho!“, das so wunderbare Katzenkrallen-Duett zwischen proletarischer Aufsteigerin und höherer Tochter, bleibt an diesem Abend leider unerfülltes Desiderat.

Hinter diesen beiden so unterschiedlichen Zeremonienmeisterinnen des „kleinen Brecht“ (O-Ton Nina) müssen Warner Poland (Gitarre), Fred Sauer (Klavier) und Michael Fyan (Bass) in der Begleitung immer wieder beschleunigen, wenn sie sich in den Vollbremsungen und Kurvensprints improvisierter Ablaufänderungen und freier Intonation einkriegen wollen. Dafür ernten sie zu wenig Dank – von Seiten der Brecht-Weillschen Virtuosinnen und aus dem Publikum.

Provokationen sind Ninas Moderationen nicht mehr so ganz, doch bringt sie gegenwärtige Befindlichkeiten zu Neoliberalismus, Antifundamentalismus und Antifaschismus – zu dem sich (so schön wär‘s!) doch alle Kunstschaffenden bekennen – auf den Punkt mit ihrer gereiften und immer noch rührenden Kleinmädchenstimme. Egal, ob sie sich da bei ihren Kindheitserinnerungen an die Einsingereien am Theater Dessau etwas in der Chronologie vertut oder ob sie Hanns Eisler und „unseren wunderbaren Kurt Weill“ durcheinanderschmeißt.

Herzrote Kirsche im Kurt Weill Fest-Cocktail

Manche Beiträge singen die Weigl und die Hagen zusammen, etwa den „Alabama Song“ aus „Mahagonny“ oder das „Lied vom Weib des Nazi-Soldaten“, das bekanntermaßen auch noch Mischa Spoliansky vertont hatte. Nach etwas Kratzen ist es alsbald wieder da, das Wunder der Nina-Hagenschen Stimme und ihre Unbefangenheit, mit der sie das musikalische Material der Songs an sich reißt. Das sopranige Skalenklettern, die Doppelanschläge der Anfangskonsonanten, das musikalische Stottern und dieser hinreißende Fluss der Phrasierung, wenn sie dann endlich einmal Beherrscherin der Texte ist! Da werden auch die Jungen im Saal ganz andächtig, für die Ninas Eskapaden aus einer Zeit stammen, die längst vergangen ist.

Jürgen Kesting meinte in einem „stern“-Artikel nach Ninas Ausbürgerung Ende der 1970er: „Die Hagen degradiert sogar die Callas zum Volksmärchen.“ – oder so ähnlich. Eines ist auch heute noch Fakt. Nina Hagen ist die leibhaftig gebliebene Erinnerung an eine Zeit, in der das Provozieren noch etwas geholfen hat. Deshalb muss man sie bewundern, verehren und lieben.

Und auch deswegen, weil sie im Bekenntnis zu ihrem „jüdischen Rabbi Jesus Christus“ den Bogen schlägt zu Weills und Franz Werfels „Weg der Verheißung (The Eternal Road)“ und damit etwas charismatischen Glanz und künstlerische Esoterik ins Kurt Weil Fest bringt. Ja, Schokostreusel, Silberperlen und Nächstenliebe mit den von ihr so berückend einfach gestellten großen Fragen: Mach so weiter, Nina – bitte!

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