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Das Rheingold, dritte Szene. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
Das Rheingold, dritte Szene. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Götter-Soap und Gangsterkomödie – „Das Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen

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Der Vorabend des „Ring des Nibelungen“ ist Frank Castorf im Bühnenbild von Aleksandar Denić und in ungewöhnlichen Kostümen von Adriana Braga Peretzki bereits im Vorjahr besonders aktionsreich gelungen. Hier wurde in diesem Sommer Einiges modifiziert, zugleich aber mit noch mehr Spielmomenten angefüllt, deren Details von Kameras live auf einen beiderseitig bespielbaren, gigantischen LED-Monitor auf dem Dach des Spielorts übertragen werden. Vieles wird beim zweiten Sehen klarer, und wenn sich der Betrachter erst einmal auf die ungewöhnliche Sicht- und Erzählweise eingelassen hat, bereitet sie durchaus Vergnügen.

Problematisch bleibt Castorfs Ansatz, das Golden Motel an Amerikas alter Mother Road auf der Drehscheibe als allumfassenden Topos des Geschehens zu behaupten, der die Spielorte am Grunde des Rheins, auf lichten Höhen und die unterirdischen Klüfte von Nibelheim zugleich symbolisieren soll. Deshalb wurde in diesem Jahr auf die Spitztour der Rheintöchter in Wotans vor der Tankstelle geparktem schwarzen Mercedes verzichtet. Dem System der Einheitlichkeit des Ortes widerspricht jedoch, dass die Riesen mit Freia die Drehscheibe ebenso verlassen, wie dass Mime sich einige Goldbarren nach außerhalb der Bühne rettet und dass auch Erda das Motel erst kurz vor ihrem Auftritt von außerhalb der Drehscheibe betritt.

Inkonsistenzen

Dramaturgisch besonders fragwürdig ist Nibelheim durch ein unförmiges Wohnmobil gelöst, ergänzt durch eine nur in der Projektion sichtbare Besenkammer des Hotels, in welcher Alberich die Stapel schwimmender Goldbarren aufbewahrt. Wenn Wotans und Loges Weg nach Nibelheim entfällt, so wird auch deren in der Partitur gezeichnete Wanderung durch Nebelklüfte, deren Annäherung an die Nibelungen-Werkstatt geschlagener Ambosse auf dem Hinweg und das Passieren beim Verlassen Nibelheims dramaturgisch überflüssig. Und wenn Wotan die Macht besitzt, die beiden Nibelungen bereits vor der körperlichen Überwindung des Alberich Tüten über den Kopf stülpen und an Masten fesseln zu lassen (an denen dann die Szene zwischen den Brüdern gezwungenermaßen aktionslos gesungen wird), dann lässt dies die ganze Überlistung, inklusive der Verwandlung Alberichs in Schlange und Frosch (hier per Video-Überblendung mit vorproduzierten Aufnahmen) entbehrlich erscheinen.

Betont unterkühlt verlaufen die Verhandlungen zwischen Wotan, Berater Loge und dem besiegten Alberich – auf Liegestühlen; Alberich muss zu Wotans Stuhl kriechen, damit der ihm den Ring abziehen kann. Zu Alberichs Fluch sind auf dem Screen seine Rache-Vorstellungen als Stills á la Hitchcock zu erleben.

Grell blinken nun bei Freias Entführung deren Top und Hosenbeine (als Ausdruck ihrer Verzweiflung?). Danach haben die beiden Riesen offenbar Freia besessen, denn sie kehrt, in Latex gewandet, mit ihnen zurück.

Gegenüber dem Vorjahr perfektioniert erscheint die Livekamera-Projektion, gemischt mit abgefilmten Stills und den vorproduzierten Tier- , so wie der abschließenden Schwimmsequenz (Video: Andreas Deinert und Jens Crull, Markus Heilmann, Maryvonne Riedelsheimer). Allerdings stört die sehr ungetreue Farbgebung im Rotbereich, da etwa das feuerrote Kostüm von Loge in der Projektion wie das Kostüm von Wotan wirkt.

Walhall ist nur kurz als TV-Report zu erleben, nachdem Wotan bei seinem Dreier mit den Schwestern Fricka und Freia durch ein Hilferuf-Telefonat der Rheintöchter unterbrochen wurde.

Die Rheintöchter überwinden den Goldverlust bei Cocktails, gemixt und im Hotelzimmer kredenzt von der hinzu erfundenen Figur des Tankstellenwärters und Barkeepers (Patrick Seibert), der nebenbei auch noch als Informant für Loge Fotos macht und gerne Sigurd-Comics liest. Gleichwohl muss der auch heftig einstecken durch die Proleten Fasolt und Fafner, die mit Brecheisen und Baseballschläger eine Fensterscheibe und den Verkaufsbereich der Tankstelle zerstören. Später, als der schwule Mime eine Berliner Regenbogenfahne gehisst hat, feiert der Tankstellenbetreuer – sichtlich unter Drogen – mit drei weiteren Ungenannten, die vordem als Nibelungen apostrophiert wurden, eine Gay Party.

Wotan geht Erda gleich an die Wäsche und küsst sie leidenschaftlich, die Verabredung Beider zu ihrer dann zwischen den Handlungen von Vorabend und erstem Tag stattfindenden Vereinigung wird deutlich.

Die ausgelassene Feier der dekadenten Götter-Gangstergesellschaft auf den Dächern des Motels feiert das ausgeflippte Lebensgefühl der frühen Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, während vorproduzierte, verlangsamte Aufnahmen die Rheintöchter bei deren abschließendem Terzett („Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe. Feig’ und falsch ist, was dort oben sich freut!“) unter Wasser schwimmend zeigen. 

Dass die überbordend vielen Bilder zu einem Gesamteindruck reifen, das ist wohl in erster Linie dem Dirigat von Kirill Petrenko zu verdanken, der Wagners Partitur transparent, durchsichtig und ohne alle Schlacken interpretiert und dabei immer wieder Besonderheiten aufleuchten lässt, die gewöhnlich bei Aufführungen des Vorabends untergehen. Zu einem das 20. Jahrhundert vorwegnehmenden Klangmittel tönt Wagners bis dahin ungewöhnlichste Bühnenmusik der 18 geschlagenen Ambosse in dieser Produktion besonders nahe und glockenspielartig, vermutlich aus dem Orchestergraben selbst.

Ein deutlicher Gewinn ist die Neubesetzung des Alberich mit dem stimmgewaltigen, hinreißend agierenden Oleg Bryjak. Am Rande des Swimmingpools schläft er als fetter Fetischist in einem Liegestuhl und erwartet, von den als Supervixen gedressten Rheintöchtern ohne viel eigenes Zutun sexuelle Befriedigung zu erlangen. Die aber ziehen ihm eine ihrer Nylons über den Kopf, seine Hose aus und zwicken Wäscheklammern an seine Finger; doch sie lassen ihn unbefriedigt.

Alberichs Hauptfetisch ist eine Badeente, an der er leckt, wie am Schuh der Rheintochter. Frustriert stranguliert er die Badeente mit ihrer Schnur zum Ziehen, er flagelliert sich mit diesem Kinderspielzeug, später werden ihm von Wotan mit der Schnur des grellgelben Schwimmtiers die Hände gebunden.

Eine Bratwurst vom Grill kühlt er unter der Dusche, trinkt aus der Senfflasche und schmiert sich, als Ersatz für andere Körpersäfte, mit dem entengelben Senf die Brust ein, bevor er in den Pool schlüpft und vom Grund des Bassins eine Goldfolie klaut.

Wie er es schafft, aus diesem Liebes-Ersatzobjekt einen Schatz an Goldbarren, Ring und Tarnhelm zu fertigen, bleibt sein Backstage-Geheimnis.

Wolfgang Koch vermag als stets liebesbedürftiger Gangsterboss Wotan ebenso zu überzeugen, wie Sorin Colibran als Fafner und (neu besetzt) Wilhelm Schwinghammer als Fasolt, die trefflich charakterisierenden Sängerdarsteller Oleksandr Pushniak als Cowboy Donner und Lothar Odinius als hilfloser Anwalt Froh. Deutlich besser als im Vorjahr gestaltet Norbert Ernst den zündelnden Loge mit Pep und zarten Lyrismen, wobei er den Dialog mit Alberich wie eine Szene aus einer komischen Oper intoniert. Wieder faszinieren in ihrem durchgehenden Spiel die gesanglich einerseits höchst individuellen, im Zusammenklang aber sehr homogenen Rheintöchter von Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka van der Damerau. Bei den stimmstarken Göttinnen triumphiert Nadine Weissmann als traumhaft schön singende Erda über die Fricka von Claudia Mahnke und die Freia von Elisabet Strid.

Die sogleich nach dem Verklingen einsetzenden Bravorufe wurden von einigen Buhs gekontert, aber dann gab es ausschließlich heftigen, den Sängerleistungen entsprechend differenzierten Applaus für alle Darsteller und insbesondere für den Dirigenten.

Die nächsten Aufführungen: 10. und 22. August 2014.

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