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Foto: © Hans Jörg Michel
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„Götterdämmerung“ in Zeiten des Wassermangels – Hilsdorf inszeniert in Düsseldorf

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Er hatte seinen Hut selbst in den Ring geworfen: als Dietrich W. Hilsdorf für die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf „Die lustigen Weiber von Windsor“ inszenierte, erfuhr er im Gespräch mit dem Intendanten Christoph Meyer von dessen Plan, Richard Wagners „Ring“-Tetralogie aufzuführen. Hilsdorf bot sich als Regisseur an – und bekam den Zuschlag. Es ist das erste Mal, dass der Regie-Altmeister ganz allein einen „Ring“ in Szene setzt. Mit der „Götterdämmerung“ kam das Projekt nun zum Abschluss.

Deutschlands große Flüsse leiden derzeit unter Wassermangel, auch der Rhein: die Schifffahrt ist eingeschränkt, das Manövrieren auf dem Gewässer nicht ohne Risiko. Mancher Kahn ist schon havariert. Und nun auch die „MS Wodan“! Das muss einst ein stolzes Lastschiff gewesen sein, damals, als noch göttliche Fracht auf ihm fuhren: Wotan und Fricka, Freya und Froh. Aber so verrostet und vergammelt, wie die „MS Wodan“ jetzt gerade in Düsseldorf am Ende von Richard Wagners „Götterdämmerung“ gestrandet ist, macht sie gar keinen guten Eindruck.

Wie auch? Die Zeit der Götter ist definitiv vorbei, den verfluchten Ring, für den im Laufe der Zeit einige Male gemordet wurde, befördert Brünnhilde in hohem Bogen dorthin zurück, woher er gekommen war: in den Rhein. Derweil steht die „MS Wodan“ resp. Walhall längst in lodernden Flammen und die Liste der Toten wird abermals länger: Siegfried rücklings erdolcht, Gunther erschlagen. Und Hagen, der erbitterte Rächer seines Vaters Alberich, findet dank der Rheintöchter einen feuchten Tod in den Fluten des Flusses.

Geschichte jenseits aktueller Zeitläufte

Dietrich Hilsdorf ist ja erklärtermaßen ein Regisseur, der den Begriff „Konzept“ nicht verwendet, jedenfalls lehnt er ihn ab, wenn es darum geht, eine Oper zu inszenieren. „Weil das heißt, es gibt jemanden, der weiß, wie es geht!“ Von daher war vom „Rheingold“ an klar, dass uns Hilsdorf mit dem „Ring“ nicht die Welt erklären würde. Obwohl natürlich gerade die „Götterdämmerung“ eine Vorlage bietet, um mal so richtig politisch zu werden! Gier, Macht, Egoismus und jede Menge Lügen… – da ist man ganz schnell beim Hier und Jetzt. Aber Hilsdorf erzählt uns eine Geschichte jenseits aktueller Zeitläufte. Mit drei schrulligen Nornen, die gemütlich beim Kaffeekränzchen sitzen, am Ufer des Rheins mit Blick auf den Drachenfels. Man bekommt den Eindruck, dies tun sie schon seit Jahrhunderten. Und dann liegt die „MS Wodan“ am Ufer, die fortan zur Einheitsbühne wird, was problemlos funktioniert. Bis zum Schluss, wenn Siegfried durch eine Luke auf dem Deck des Schiffes fällt und halbtot ein letztes Mal den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger hält.

Einziger deutlich erkennbarer „roter Faden“ in allen vier Teilen des „Rings“: der das Bühnenportal umgebende Rahmen mit bunten Glühbirnen wie im Zirkus oder in der Revue. Die blinken auch diesmal, zum Beispiel wenn Hagen seine Mannen herbeiruft, um mit Siegfried auf die Jagd zu gehen. Da stürmt dann eine veritable Karnevalsgesellschaft herbei, mit Funkenmariechen und lustigen Narren, die sich über Freibier (-Alt) freuen. Rheinisches Brauchtum halt – wir sind ja in Düsseldorf. Vielleicht hat das bei dem einen oder anderen Premierenbesucher für Verdruss und deshalb die finalen „Buhs“ gesorgt, die das Regieteam hat einstecken müssen. Sie waren völlig überflüssig.

Charaktere zeichnen!

Denn was Hilsdorf immer kann: Charaktere zeichnen! So auch hier. Umso schöner, wenn das singende Personal – zumindest von außen betrachtet – voll und ganz mitspielt. Da gibt es im Düsseldorfer „Ring“-Ensemble keinerlei Ausfälle. Den stärksten Eindruck hinterlässt Hans-Peter König als fieser, hinterlistiger Hagen, dicht gefolgt von Bogdan Baciu als Gunther. Beide Herren präsentieren große, raumgreifende Stimmen. Durchschlagskraft zeigt auch Michael Weinius als Siegfried, wenngleich sein Tenor bisweilen etwas eng wirkt, dafür aber bis zum bitteren Ende genügend Energie mobilisiert, seine Partie durchzustehen. Großartig in Form ist Linda Watson in der Rolle der Brünnhilde. Wer beckmesserisch sein will, kann an ihren Spitzentönen herumnörgeln – aber was Watson etwas unterhalb dieser Spitze bis hinab ins tiefe Register an Substanz zu bieten hat, ist voll und ganz überzeugend. Mal abgesehen von ihrer starken Bühnenpräsenz, die im Übrigen beim gesamten Personal zu beobachten ist. Zum Beispiel auch bei den drei Rheintöchtern (Anke Krabbe, Kimberley Boettger-Soller, Ramona Zaharia) und den allwissenden Nornen (Susan Maclean, Sarah Ferede, Morenike Fadayomi). Gutrune, die für Siegfried vorgesehene Gattin, verkörpert Sylvia Hamvasi ebenso überzeugend wie Katarzyna Kuncio die Brünnhilden-Schwester Waltraute.

Für die perfekt instruierten Chöre zeichnete Gerhard Michalski verantwortlich – womöglich fühlten sich viele der Stimmen bei dieser vorgezogenen Eröffnung der Karnevals-Session pudelwohl in ihren Kostümen. Für Lacher im Publikum sorgten sie allemal.

Etwas irritierend: Standing Ovations gab es nach der Premiere erstmals, als Dirigent Axel Kober auf die Bühne trat. Man fragt sich wofür! Gewiss: er hatte bei der Fahrt der „MS Wodan“ stets eine sichere Hand am Steuerrad. Keine Sandbank, die ihm im Weg gestanden, keine Untiefe, die er nicht gemeistert hätte. Und dennoch: das letzte Fünkchen an Präzision („klappernde“ Einsätze und stellenweise unsaubere Streicher, unkontrolliertes Blech etc.) ließen die Düsseldorfer Symphoniker jedenfalls am Premierenabend noch vermissen.

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