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Goldenes Kauderwelsch: Olivier Py inszeniert Verdis „Aida“ an der Opéra Bastille in Paris

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Sie steht an erster Stelle der sogenannten ABC-Opern (auf „Aida“ folgt „Bohème“ und „Carmen“). Die Kategorie zeigt den Beliebtheitsgrad beim Publikum an, die erzielbare Auslastungsquote der Säle und den Vernutzungsgrad der Werke. Dass 2013 nicht nur die unbekannten Arbeiten des musikalischen „Jahresregenten“ Verdi aktiviert würden, sondern gerade auch die „Greatest Hits“, stand zu erwarten. Wie dies aber an den ersten Häusern Europas derzeit geschieht, ist ein deutlicher Indikator für den Zustand des Musiktheaters in den Metropolen.

Keine noch so gut gemeinte „Ausgrabung“ in Aachen oder diskutable Regie-Konzeption in Dortmund kann aufwiegen, was an der Wiener Staatsoper und in London, Amsterdam, München oder eben auch Paris mit merkwürdigem Klassizismus des Pseudomodernen angerichtet wird und breite Akzeptanz findet.

Vier Wochen nachdem Olivier Py im Palais Garnier Glucks „Alceste“ von fünf Kreideschnellmalern kommentieren und verschriften ließ, präsentierte er und sein Ausstatter Pierre-André Weitz eine in Gold getauchte „Aida“ im anderen großen Etablissement der französischen Nationaloper. Freilich hatte es den Anschein, als habe die beiden bei der Erfüllung der Normen des problemlos konsumierbaren schönen Scheins ein schlechtes Gewissen eingeholt. Jedenfalls verwies das Ausstattungs- und Produktionsteam unsystematisch darauf, dass auch die „Aida“ in der Zeit des italienischen Unabhängigkeitskampfs entstand (allerdings in der Spätzeit); insbesondere aber darauf, dass Krieg und Kriegsfolgen in der Regel für die Sieger erfreulicher sind als für die Verlierer (aber selbst die glänzendsten Siege haben ihre Schattenseiten und kennen hässliche Kollateralschäden).

Jedenfalls motzten Py & Co. die bereits von Thomas Mann im „Zauberberg“ als schwer erträglich charakterisierte Tragödie der Aida und den selbstverschuldeten Untergang des Militärmachthabers Radames mit Accessoires des Regietheaters vom Schlage Dietrich Hilsdorfs auf und sind damit an diesem Problemwerk inhaltlich-ästhetisch jämmerlich gescheitert. Die Hälfte des Pariser Publikums quittierte die Produktion mit Missfallensbekundungen und die andere Hälfte verteidigte den zweifelhaften Genuss nur halbherzig. Dazu kam, dass die von Philippe Jordan differenziert und effektsicher, insgesamt zügig geleitete Aufführung nicht in allen großen Partien ganz optimal besetzt war, wiewohl mit dem Tenor von Marcelo Alvarez für den politisch naiven Krieger Radames, mit der wuchtigen Mezzosopranistin Luciana d’Intino als Erbin des Pharaonenthrons und mit der gleichfalls nicht immer ganz spursicheren Oksana Dyka im Prinzip prächtige Stimmen aufgeboten worden waren. Bei einem Werk dieses Bekanntheitsgrades wird freilich allseits besonders genau gehört.

Im Vorfeld der Premiere mobilisierten iranische Gegner der Todesstrafe auf der Place de la Bastille (wobei nicht ausgemacht ist, ob diese Gruppe von Oppositionellen, wenn sie in Teheran zur Macht gelangte, weniger martialisch durchgreifen lassen würde als gegenwärtig die Mullahs). Vor den Eingangstüren des größten Pariser Opernhauses fanden verschärfte Karten- und Taschenkontrollen statt. Offensichtlich sollte unerwünschte Mitwirkung des Publikums bei der „Aida“-Premiere vermieden werden. Auch in diesem Haupt- und Staatstück des Jubilars Verdi selbst geht es um Todesstrafe – um ein wegen Verrats von militärischen Geheimnissen und Fahnenflucht nach den Rechtsnormen des zweiten oder dritten Jahrtausends vor Christus völlig zurecht ergangenes Urteil: Radames, der im Feldzug gegen die südlichen Nachbarn siegreiche junge Generalstabschef des Pharao, entzieht sich der patriotischen Pflicht, außer dem ägyptischen Vaterland auch die allerhöchste Landesjungfrau zu befrieden. Er will auf das erotisch-sexuelle Glück mit der Königstochter verzichten, sucht dies bei einer von deren Mitarbeiterinnen und provoziert dadurch die tödlichste Eifersucht.

Es ist eine alte Geschichte – und doch kann sie immer wieder neu werden. Als optischen Rahmen setzten Olivier Py und Pierre-André Weitz ganz in Gold getauchte Herrschaftsarchitektur aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie versuchten, neuzeitlichen politischen Aspekten Nachdruck zu verleihen, indem sie die Pharaonenherrschaft mit der österreichisch-ungarischen im Italien der Risorgimento-Ära konnotierten und den Kampf von Amonasro & Co. mit der nationalen Bewegung. Das „Aktualisieren“ funktioniert auf Biegen und Brechen in etwa so: Der junge Freiheitsheld, der die italienische Trikolore schwenkt, trägt nackten Oberkörper (ein Gruß an die Gemeinde!). Die Video-Animation zeigt dazu eine Uferlandschaft mit demolierten modernen Betonbauten. Dem eben noch austriakischen Pharao wird das Modell des Neubaus seiner Konzernzentrale vorgeführt, an dessen Fassade in großen Antiqua-Lettern Vittorio Emanuele prangt. Die Royals und Offiziere tragen russische Paradeuniformen aus seliger Zarenzeit, die Mannschaftsgrade Kampfanzüge in Tarnfarben. Zum Aufbruch von Radames in den sudanesischen Krieg schieben vier Statisten einen fast lebensgroßen Panzer herein. Der altägyptische Oberpriester kommt im katholischen Bischofsornat und setzt sich die Dienstmütze auf.

Das Ballett wird durch einen einsamen sterbenden Schwan ersetzt. Die Gaffer bei der Siegesparade zeigen Pys Gesinnung, indem sie Plakate hochhalten: „A mort les etrangers“, „Vive le colonies“ und „Nationalisme“. Im Keller zeigen sich drei große Haufen nackter Männerleichen, als wären auch unsere deutschen Väter und Großväter bei Aida zu Gast und als KZ-Betreiber aktiv gewesen. Der römische Triumphbogen, wie die anderen Bauten am Nil ganz in Gold getrieben, wird von fleißigen slowakischen Putzfrauen gewienert, die sich bei H&M eingekleidet haben. Dies ganze optische Kauderwelsch ist nicht im Geringsten parodistisch gemünzt. Es ist als Entertainment einem Werk zugesellt, dessen Tragfähigkeit Olivier Py offensichtlich zutiefst misstraute und dem mit dieser Art von Aufmöbelung die Höchststrafe zudiktiert wurde.

Der zum Tod verurteilte Radames wird zwecks finaler Dehydrierung in den Leichenkeller gesperrt. Dort findet sich kurzerhand auch seine Geliebte Aida ein, um nicht zu vereinsamen. Was auf die beiden da unten zukommt, hat Thomas Mann in seinem „Zauberberg“ bereits erörtert (wir wollen dies hier nicht referieren, um niemand den Appetit aufs Abendbrot zu verderben). In der Inszenierung von Olivier Py erwartet das Liebespaar jedenfalls ein etwas einseitiges Speise- und Getränkeangebot (aber die Musik bricht gnädigerweise ab, bevor das Stadium eintritt, in dem die Delinquenten zu Kannibalismus inklinieren).

Die erbosten französischen Schmecklecker hatten zuvor schon gegen die Ausstaffierung der altägyptischen Priesterkaste als römisch-katholischer Klerus lautstark protestiert, gegen das Flambieren eines großen Metallkreuzes und den ordnungspolitisch gebotenen Einsatz der sehr französisch aussehenden Soldaten. Py hat mit der oberflächlich scharfen optischen Würze den Widerspruchsgeist des halben Pariser Publikums geweckt, dem schon Pierre Boulez vor einem halben Jahrhundert nachsagte, es sei besonders reaktionär. Der Regisseur hat sein Ziel erreicht: Sein zusammengequirlter Quark erhält so am Ende die Aura eines aufklärerisch gemeinten Kunstwerks. Sie kann nun so tun, als wäre diese „Aida“ Theater von Belang. Sie dokumentiert die Trostlosigkeit eines Regietheaters, bei dem die hochbezahlten und hochgejubelten schmalbrüstigen Enkel noch nicht einmal verstanden haben, was ihre Altvorderen gemacht haben und warum.

Ob der Einfluss Richard Wagners sich auf Verdi segensreich oder unheilvoll auswirkte, muss auch nach dem neuerlichen Hören der „Aida“ unentschieden bleiben. Dabei geht es nicht um ein paar verwandte Orchester-Gesten oder Instrumentierungs-Details, sondern um das spätestens mit „Tristan und Isolde“ so erfolgreich gewordene Auskosten und Überhöhen des „Liebestods“ (unter MedizinerInnn wird er als ausgesprochene Rarität gehandelt).

Vollends eine musikalisch nur mittelprächtige Aufführung wie die neue in Paris legt den Wunsch nahe, dass die Oper, wenn sie als Kunstform sich wieder besinnen und überleben will, die „Aida“ für einige Zeit der Arena di Verona und Event-Veranstaltern im Stade de France überlässt. Und sich wieder künstlerischen Fragen zuwendet. Mit Personal, das hierzu willens und befähigt ist.

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