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Szene aus dem Frankfurter Palestrina.
Szene aus dem Frankfurter Palestrina.
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Harry Kupfer inszeniert Hans Pfitzners „Palestrina“ als Stalinistisches Gleichnis

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Im Jahr des 140. Geburtstages von Hans Pfitzner brachte nach der Bayerischen Staatsoper nun auch die Oper Frankfurt dessen dreiaktige musikalische Legende „Palestrina“ heraus. In der 1917 in München uraufgeführten Oper geht es um den Inspirationsakt des Künstlers: Die Erscheinung seiner Vorgänger und der in den Tod vorangegangenen Gattin, sowie zahlloser Engel lösen den Schöpfungsvorgang aus; mit seiner Komposition der Missa Papae Marcelli wendet Palestrina den drohenden Beschluss des Tridentiner Konzils, die Mehrstimmigkeit in der Messe zu verbieten.

Hans Pfitzner, dafür gibt es viele Beispiele, sah sich selbst als jenen Künstler „am Ende einer großen Zeit“. Heute wird bei Aufführungen der Werke Pfitzners stark die Verstrickung dieses Komponisten in das System des Dritten Reichs diskutiert, so dass es all zu nahe gelegen hätte, den von Nazis ungeliebten, gleichwohl nationalsozialistisch denkenden Künstler Pfitzner in diesem Machtgefüge zu zeigen. Aber statt dessen setzt Regisseur Harry Kupfer die in Pfitzners eigenem Libretto bedrohlich wirklichkeitsnah gezeichnete kirchliche Machination mit der des Stalinismus gleich. Palestrina ist hier nicht Pfitzner, sondern dessen Zeitgenosse Dimitrij Schostakowitsch, – und Rom, wie auch Trient, das ist der Kreml. 3 D-Visualisierungen historischer Bilder als Videoprojektion (Peer Engebracht) machen dies bereits in den ersten Takten überdeutlich: es geht um den (Über-)Lebenskampf des Komponisten gegen die Parteidoktrin.

Michelangelos Gott, das ist Stalin, und der von ihm das Leben empfangende Adam ist Schostakowitsch, aber Stalin, der sich im Leben, wie auch hier auf der Bühne, vielfältig doubeln ließ, ist auch der große Vater des Volkes und Papst. Apparatschiks rezitieren die Rollen der alten Meister, während der Künstler in goldenen Stacheldrahtfesseln zur Komposition jener Musik gezwungen wird, die politisch gerade gefragt ist. Am Ende des ersten Aktes ist Palestrina/Schostakowitsch bereits seinen Foltern erlegen, sein Sohn Ighino (Britta Stallmeister) und sein Schüler Silla (Claudia Mahnke) breiten schwarze Tücher über den Toten, während sie von der unglaublichen Leistung des Lehrers aus ihren Klavierauszügen singen. Im dritten Akt ist der Tote aufgebahrt, während ein Doppelgänger – in der Praxis Stalins und im Auftrag der Partei – in dessen Rolle schlüpft.

Der von Pfitzner als scharfer Gegensatz mit Komik und Sarkasmus gezeichnete Konzilsakt gerät auch in Frankfurt zum besonderen Höhepunkt. Durch Lichtschnitte werden aus den geistlichen blitzschnell politische Würdenträger, und deren gegenseitige Übervorteilungen sind auf Hans Schavernochs Drehbühne als Kantinen- und Toilettengespräche in verwanzten Räumen zu erleben. Zu den roten Sitzen der Duma führen Sicherheitsschleusen, und die Versammlung gibt ihre „Placet“ und „Non Placet“ per Telefon ab. Das ist virtuos, humorvoll und zugleich beklemmend inszeniert, verstörend nur in der all zu häufigen Reduktion auf die quasi konzertante Form des Singens aus Noten, – an jenen Stellen, wo ein anderer Regisseur zugunsten seiner Lesart zweifellos den Rotstift angesetzt hätte. Aber die Aufführung ist strichlos und wird vom Frankfurter Museumsorchester unter Kirill Petrenko hinreißend musiziert.

Das vielköpfige Solistenensemble schlüpft teilweise in drei oder mehr Rollen. Die Hosenpartie des jungen Doktors ist mit dem Counter Niklas Romer besetzt, ein Weg, der sich in letzter Konsequenz auch für Ighino und Silla empfohlen hätte. Herausragend Johannes Martin Kränzle im Charakterbild eines rhetorisch und diplomatisch mit allen Wassern gewaschenen Kardinallegats Giovanni Morone und der in der Tradition der mit Mozartsängern besetzten Titelpartie eindrucksvoll gestaltende, mühelos kantilenenfreudige Kurt Sreit als Palestrina. Michael Nagy als Graf Luna, Peter Bronder als auf dem Rollstuhl herangefahrener und sich im Konzil zu Stehfähigkeit aufschwingender Patriarch Abdisu, wie der charakterisierungsstarke Frank van Aken als Bernardo Novagerio, sorgen für die nötige Bandbreite an Persönlichkeiten und Charakterfarben. Alfred Reiter als Kardinal Christoph Madruscht, Papst Pius IV. und Stalin schafft echt beklemmende Wirkungen.

In der Pause gab es einen einsamen Zwischenruf, über den viel gerätselt wurde, „Armer Pfitzner!“ Natürlich wäre der stets besonders streitbare Komponist, der kaum einen Kapellmeister- oder Regiekollegen gelten ließ, über diese Aufführung ebenso erbost gewesen wie über jede andere dieses Pfitzner-Jahres. Der lebendigen Rezeption dieser Oper konnte jedoch kaum etwas Besseres blühen als Petrenkos Musikzierlust mit einem großartigen Chor und Ensemble, und im Verein mit deren Spielfreude die immer noch wirksame Regiepranke von Harry Kupfer. So gab es am Ende ausschließlich verhaltene bis begeisterte Zustimmung.

Weitere Aufführungstermine: 11., 20., 25., 28. Juni und 5. Juli 2009.

 

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