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Enescu-Festival. Foto: Diana Grigore
Enescu-Festival. Foto: Diana Grigore
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Hier zählt das Interesse, nicht die Garderobe – Das 20. Festival „George Enescu“ in Bukarest

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Das ist ein Jubiläumsfestival und das Publikum, vornehmlich sehr jung, kommt in Scharen. Manche Veranstaltungen beginnen mit Verspätung, der Andrang ist so groß, kein Platz soll leer bleiben, und beim Gastspiel des Ballet National de Chileno im riesigen Nationaltheater stehen die Interessenten an den Seiten und sitzen auf den Stufen.

 

Ganz oben auf der Beliebtheitsskala offensichtlich die Mitternachtskonzerte im historischen Konzertsaal Athenaeum, 1888 zunächst als Varietee- und Zirkustheater eröffnet. Am ersten Wochenende entfalten so namhafte Ensemble wie die Austrian Baroque Company mit der Sopranistin Nuria Rial, das Venice Baroque Orchester oder Il Complesso Barocco unter Alan Curtis ein barockes Freudenfest, dessen Höhepunkt die konzertante Aufführung von Georg Friedrich Händels Oper „Ariodante“ bildet. Der letzte Ton verklingt kurz vor halb zwei nachts, das Publikum tobt, Curtis bedankt sich mit seinem phänomenalen Orchester und den Solisten, darunter die die faszinierende Ann Hallenberg in der Titelpartie, mit der Wiederholung des ersten Finales.

Mit etwas Glück kann man an einem Tag bis zu vier Konzerte oder Aufführungen erleben, dazu unter freiem Himmel auf den kurzen Wegen zwischen den Konzertsälen und Theatern populären Konzerten mit Jugendchören zuhören oder vor dem Athenaeum bis in die Nachtstunden bei mediterranem Flair Musikdokumentationen zum Festival ansehen.

Beim Jubiläumsjahrgang des Festivals, das erstmals 1958 stattfand, nach einer wechselvollen und unregelmäßigen Geschichte seit 2002 im zweijährigen Rhythmus stattfindet und sich unter der künstlerischen Leitung des welterfahrenen Ion Holender zu einem bedeutenden europäischen Musikfest entwickelt hat, stehen die Werke des großen Rumänischen Komponisten, Dirigenten und Violinisten George Enescu im Mittelpunkt. 1881 in Rumänien geboren verließ Enescu 1946 seine Heimat aus Protest gegen die kommunistische Regierung, er starb 1955 in Paris. An Versuchen, ihn zur Rückkehr zu bewegen hat es nicht gefehlt, sie blieben erfolglos. Noch immer kursieren Gerüchte, es hätte Versuche gegeben den Leichnam zu entführen. Enescu, dessen Œuvre Sinfonien, Konzerte, eine Oper, Vokalwerke und Kammermusik in vielen Varianten und Lieder umfasst und leider in Deutschland zu wenig wahrgenommen wird, ist nach wie vor äußerst beliebt und populär in Rumänien, sein Porträt findet sich sogar auf einer Banknote. In spannenden Korrespondenzen zu Werken anderer Komponisten werden in diesem Jahr alle fünf Sinfonien aufgeführt, es gibt Kammermusik von ihm in reichem Maße, oftmals im Dialog mit Uraufführungen junger Komponisten aus Rumänien. Eine ganze Konzertreihe widmet sich der Musik des 21. Jahrhunderts. 

Schon das Eröffnungskonzert setzt da einen gewichtigen Akzent. Der Rumänische Dirigent Cristian Badea kommt mit dem Residenzorchester, der Philharmonie aus Den Hag, und präsentiert zunächst Enescus 1. Sinfonie, ein stürmisches Jugendwerk, das zum einen der Geist Richard Wagners durchweht, zum anderen die romantische Schwermut von Johannes Brahms. Die später weiter entwickelte instrumentale Farbigkeit kündigt sich aufs schönste an und wird außerordentlich spannend dargeboten. So wie Enescu hier den opulenten Orchesterklang bevorzugt, alle Gruppen der Instrumente ihre Können unter Beweis stellen müssen, so auch in der folgenden 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, als weiteres gewichtiges Werk des letzten Jahrhunderts.

Zum Festivalprogramm gehört eine Opernpremiere. In diesem Jahr Richard Wagners „Lohengrin“, äußerst beliebt, es gibt eine regelrechte Aufführungstradition, 1921 zur Eröffnung der Rumänischen Nationaloper hat kein Geringerer als Enescu das Werk hier dirigiert. Am gleichen Ort, jetzt mit einem Aufgebot an Stars für die Hauptpartien, Johann Botha, Emely Magee und Petra Lang als Gralsritter, Elsa und Ortrud, lässt aber das Orchester unter der Leitung von Cristian Mandeal besonders aufhorchen. Wagner mit Temperament und Vehemenz, dazu der fulminante Klang des prächtigen Herrenchores, fast zu viel für die Dimensionen des Opernhauses. Im weiteren Verlauf des Festivals kommt es zu einem Gipfeltreffen bedeutender Orchester, Kammermusikensembles,  Dirigenten und Solisten. Neu ist in diesem Jahr eine Reihe die sich der World-Music widmet. Der renommierte Wettbewerb zu Ehren George Enescus, bisher für Pianisten, Geiger und Komponisten ausgerichtet, lädt erstmals Cellisten dazu. Sie kommen zahlreich, jedenfalls fallen die jungen Leute aus aller Welt mit ihren Instrumenten auf im geschäftigen Stadtbild der Metropole, die in rasantem Tempo durch Restaurierung und Sanierung ihrer einstigen Pracht und dem Ruf, das kleine Paris des Ostens zu sein, zu neuem Glanz verhelfen möchte. Dabei sind die Gegensätze noch immer krass, zu offensichtlich die betonierte Barbarei der Vergangenheit. Auch die Ausstattungen der Konzertsäle entsprechen nicht dem neuesten Stand, was aber niemanden davon abhält, sie auch bei über 30 Grad ohne Klimaanlagen sie zu füllen. Auffällig ist die grundsätzlich offene Stimmung des Festivals, die Preiskategorien sind nach Auskunft der Veranstalter so gestaltet, dass es kaum Barrieren geben dürfte. Man gewinnt auch den Eindruck, hier geht es vornehmlich um das Interesse, nicht um Graderoben oder Prominenbewunderungen. Zu bemerken ist auch, dass eine große Anzahl der Konzerte und Festivalproduktionen von Bukarest aus auf Reisen gehen und in anderen Städten des Landes zu erleben sind. 

Noch bis zum 25. September bietet das 20. Festival „George Enescu“ insgesamt 95 Konzerte, Opern und Ballettaufführungen darunter selbstverständlich Enescus einziges Bühnenwerk „Oedipe“ in einer Neuproduktion der Bukarester Nationaloper mit Stefan Ignat in der Titelpartie.

 

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