Hauptbild
„Das Ende der Alten Musik“: Bruce Haynes brachte seine Skepsis in einem Grundsatzreferat auf den Punkt. Foto: Hochschule für Musik Trossingen
„Das Ende der Alten Musik“: Bruce Haynes brachte seine Skepsis in einem Grundsatzreferat auf den Punkt. Foto: Hochschule für Musik Trossingen
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Historische Aufführungspraxis? – ein Kongress in Trossingen stellte kritische Fragen

Publikationsdatum
Body

Baden-Württemberg hat gleich 5 Musikhochschulen, andere Bundesländer besitzen häufig nur eine einzige. Da nimmt es nicht Wunder, wenn der Verdrängungswettbewerb im Südwesten der Republik mitunter von besonderer Intensität ist und es zuweilen besonderer Anstrengungen bedarf, um sich in diesem Umfeld zu profilieren. Dies gilt allzumal für die Musikhochschule Trossingen. Schon 1992, als die Historische Aufführungspraxis an Hochschulen allein im schweizerischen Basel eine Heimstatt hatte, erkannte der damalige Rektor Jürgen Weimer früh die Zeichen der Zeit und richtete ein Institut für Alte Musik ein.

Welche Anziehungskraft dieses kontinuierlich gewachsene Institut mittlerweile ausstrahlt, das machte ein gemeinsam mit der AEC (Association Européenne des Conservatoires) ausgerichtete Kongress zur Etablierung einer ständigen „Early Music Platform“ deutlich. Rund 100 Wissenschaftler und Dozenten aus Europa, Nordamerika und Fernost konnten die Rektorin Elisabeth Gutjahr zu Beginn der zweitägigen Veranstaltung begrüßen, die übrigens von einem Kammermusik-Wettbewerb flankiert wurde, um der notwendigen Verknüpfung von Theorie und Praxis Rechnung zu tragen. 25 Ensembles stellten sich dem Urteil der renommierten Fachjury unter dem Vorsitz des Trossinger Institutsleiters Anton Steck, und es waren keine deutschen Ensembles, die den Sieg davontrugen. Mit dem „Trio Otono“ (Amsterdam/Salzburg), „Les Ombres“ (Basel) und dem „Hauptfisch-Trio“ (Moskau) kamen Musiker vor allem aus Institutionen zum Zuge, in denen die Tradition der Historischen Aufführungspraxis eher stärker verwurzelt ist als bei uns.

Dieser Sachverhalt spiegelte sich ebenso im Verzeichnis von Juroren und Experten, die in ihrer Gesamtheit fast schon ein „Who is Who“ der Szene darstellten – von Regula Rapp (Basel) über Jesper Christensen und Jaap ter Linden bis zum japanischen Bach-Experten Masaki Suzuki, um nur einige stellvertretend zu nennen. Und vielleicht lag es auch an diesem geballten Expertenwissen, dass man sehr wohl geneigt war, die letzten Jahrzehnte der Historischen Aufführungspraxis einer kritischen Revision zu unterziehen.

Der kanadische Musikwissenschaftler Bruce Haynes, der seit seiner Aufsehen erregenden Publikation „Das Ende der Alten Musik“ als Exponent der Kritik am Originalklang gelten kann, brachte auch in Trossingen sein Unbehagen an einzelnen Entwicklungen auf den Punkt. Allzu oft sei der Originalklang gar nicht „historisch“, sondern gleichsam Projektionsfläche einer postmoderner Ästhetik. Dies etwa dann, wenn Dirigenten „auf ihrem Ensemble wie auf einem Instrument“ spielten, oder aber wenn hinter dem Primat höchster technischer Standards emotionale Aspekte der Musik in den Hintergrund rückten. Barthold Kuijken (Brüssel) schließlich verstärkte solch kritisches Hinterfragen, indem er (scheinbar) gesicherte Angaben über Spielweisen grundsätzlich hinterfragte.

Es war also ein wichtiger Kongress. In aller Deutlichkeit wurde klar, dass eine Weiterentwicklung der historisch-informierten Aufführungspraxis – jenseits ideologischer Fixierungen – allein im kritischen Diskurs mit dem bislang Erreichten möglich ist. An der Musikhochschule Trossingen und ihrem Institut für Alte Musik ist man bereit, solchen Leitlinien zu folgen. Dabei ist intensiver internationaler Austausch zwischen den Ausbildungsinstituten wichtiger denn je. Der an der Trossinger Hochschule entwickelte europäische Masterstudiengang OrganExpert steht dabei exemplarisch für eine neue Generation von Ausbildungsmodellen. Mit ihm ist dem Hochschulprofil ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hinzugefügt worden. Für alle Überlegungen um die Zukunft der Musikhochschul-Landschaft in Baden-Württemberg, so scheint es, ist man in Trossingen gut gerüstet.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!