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Dido und Aeneas - Amira Elmadfa (Dido). Foto: © Candy Welz
Dido und Aeneas - Amira Elmadfa (Dido). Foto: © Candy Welz
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„Hotel Karthago, Zimmer 37“: „Dido und Aeneas“, eine Erinnerungsfalle in Weimar

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Henry Purcells „Dido und Aeneas“ ist in der zweiten Spielstätte des Deutschen Nationaltheaters Weimar die Steilvorlage für einen spannend durchdachten, impulsiven, mitreißenden Theaterabend: Musikalische und szenische Feinarbeit über schmerzende Erinnerungen und die Sehnsucht nach erkalteter Liebe. Bravi für Alle!

Hinter den Türen des aus der Zeit fallenden „Hotels Karthago“ passieren grauenvolle Dinge. Diese gemahnen den Ankömmling „Traveler“ an das eigene einsame Begehren. Der Schauspieler Krunoslav Šebrev zitiert aus Vergils römischem Nationalepos „Aeneis“, wirft mit Texthülsen um sich – und es verschlägt ihm die Sprache. Das ist kein Wunder angesichts der Gespenster, mit denen ihn die Regisseurin Corinna von Rad, die von Dominik Beykirch aus der Partitur geholte Düsternis und Alexander Schucherts dramatische Schlagwerk-Irritationen konfrontieren.

Der von Vergil zur Geschichte eine selbstzerstörerischen Leidenschaft aufgedonnerte Zwischenstopp des geflohenen Trojaners Aeneas und der karthagischen Königin Dido ist im E-Werk Weimar ein bitterböses Trauma. Zur Wahrheit wird der Fluch, dass der „Traveler“ sich vom Schatten jener Frau, die sich aus dem Jenseits an ihn klammert, nie wieder befreien kann. Deshalb braucht es zum von Amira Elmadfa wunderschön gesungenen Lamento „When I am laid in earth“ der unglücklichen Dido gar keinen Selbstmord. Auch der göttliche Befehl an Aeneas zur Abreise kommt fast beiläufig aus dem Telefon.

Aus der Partitur geholte Düsternis

Didos matriarchalische Staatsutopie wird in dieser Kulisse aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Alternative zur „Rocky Horror Show“: Die Chefzauberin und ihre beiden Superhexen sind wie Geschwister von Frank‘n Furter, Riff Raff und Magenta, die von Bühnenbildner Ralf Käselau in die abgewetzte Komfortzone des „Hotels Karthago“ gebeamt wurden. An der Rezeption: Countertenor Nils Wanderer – fast wie Boy George, der sich mit platingoldenem Langhaar zur Loreley auffrisiert. Als Roomservice rotieren die bösen Frühstückselfen Sulin Bae und Phila Terttunen. Sie vernichten Briefe an den „Traveler“ und schirmen ihn von der Außenwelt ab. Hier im Hotelfoyer gerinnt sexuelle Freiheit zu kaltem Kaffee. Liebesbedürftige Starlets betäuben sich in Knäulen von Körpern und Streicheleinheiten, das Hotelfoyer wird zum schalen Garten der Lüste. Nur Bassbariton Uwe Schenker-Primus als Aeneas steht da wie ein trockener Beamter, er und die ihn leidenschaftlich ins Zimmer 37 ziehende Dido sind wie Feuer und Wasser. Dort lauert wahrscheinlich Blaubarts Geheimnis, das letztlich niemanden mehr interessiert. Denn alles wurde gesagt über die Erschöpfung des Begehrens und das Abfackeln allzu heißer Gefühle.

Diese Produktion ist aus einem Guss. Neben dem Leitungsteam vereinen sich die herrlichen Retrokostüme (Sabine Blickenstorfer), Chorleitung (Mario Orlando, El Fakih Hernández, Sebastian Ludwig), Konzeption Schlagwerk (Ingo Wermsdorf), die musikalische Einstudierung (Dirk Sobe mit Team) und alle anderen zu einer beglückenden Feier des Ensemblegeistes.

Henry Purcells und Nahum Tates Oper entstand für ein Mädchenpensionat: Deshalb muss sie eine Warnung vor sich selbst zerstörender Leidenschaft und vor den Dämonen des eigenen Inneren enthalten. Das greifen Corinna von Rad und Dramaturgin Julie Paucker in der von ihnen erfundenen Erinnerungsszenerie im „Hotel Karthago“ auf. Das hohe Paar Dido und Aeneas löst sich nach schneller Ekstase voneinander, immer begleitet von einem hochrangigen musikalischen Rumoren.

Apostel einer schönheitshörigen Barockästhetik kommen im E-Werk nicht auf ihre Kosten, zum Glück!

Die Neugier auf Dominik Beykirchs Purcell-Deutung war auch deshalb besonders groß, weil der 26jährige, wie zuletzt in Bernsteins oft unterschätztem „Candide“, die Partituren immer von innen erfasst und den nur äußerlichen Schwall meidet. Offen gesprochen: Apostel einer schönheitshörigen Barockästhetik kommen im E-Werk nicht auf ihre Kosten, zum Glück! Dafür gibt es intelligente Kostbarkeiten, die vom Geist echten und ehrlichen Musiktheaters durchdrungen sind: Gewitter- und Sturm-Simulationen des ohne Blasinstrumente auskommenden Ensembles. Stefan Maass (Theorbe) und Tillmann Steinhöfel (Viola da gamba) sorgen neben Musikern der Staatskapelle Weimar für einen weniger glanzvollen als bedrohlichen Raumklang. Die am Anfang zum Zerreißen spröden Tempi legen im Wechsel zu Schlagwerk-Wirkungen unter den Dialogen die Basis zu einem beeindruckenden Gesamtklang der Stimmen und Musiker. Die von Regie und Dirigat geforderten körperlichen Anstrengungen für alle Sänger und den prächtig mitagierenden Chor sind beträchtlich. Der Versuch, den einzelnen Figuren verschiedene Continuo-Kombinationen anzuheften, wird in der Kürze vieler Soli und Rezitative nicht verständlich. Aber dafür macht diese Auffächerung Purcells Oper noch farbreicher und intensiver. Das gelingt auch, weil Dominik Beykirch in Weimar auf ideale Mitakteure wie den endlich wieder präsenten Ensemblestern Heike Porstein in der heimlichen Hauptrolle der Belinda zählen kann. Eine ehrlich gefeierte Premiere!

  • Am 16., 18., 24.11. – 09., 20.12.2017 – 05.01., 20.03.2018 / immer 20:00

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