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Foto: Rebekka-Waitz
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„Im Arabischen Rössl“ – Operette made in Frankfurt-Bornheim

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Für die Jazz-Fassung von Ralph Benatzkys Revue-Singspiel „Im Weißen Rössl“ (1930) reichte es am Theater Erfurt nicht ganz zur Sensation. Diese gibt es dafür am Theater Willy Praml in der Naxoshalle des Frankfurter Stadtteils Bornheim. Von Kleists „Erdbeben in Chili“ tastet sich dessen Leiter mit dem aus Geflüchteten und Beheimateten rekrutierten Ensemble Richtung Musiktheater. Im „Weißen Rössl“ am Wolfgangsee steht das Glück also noch immer vor der Tür, jetzt aber ist der sprichwörtliche Gasthof eine „Wellness-Oase für gestresste Saudis“.

An diesem Samstagabend trifft man nur ganz wenige traditionelle oder progressive Operetten-Anhänger in der ausverkauften Vorstellung. Das ist schade, denn so manche Qualitätsmaßstäbe in den Kategorien Bühnenpräsenz, Arrangement, Aktualitätsgehalt, aber auch Tempo geraten hier ins Wanken. Es geht allerdings nicht um die Gegenüberstellung oder eine Machbarkeitsstudie in Sachen Operette an semi- oder voll-professionellen Bühnen. Auch die Frage, wie queer Operetten-Interpreten und -Zielgruppen im Idealfall sind, spielt eine nur marginale Rolle. Dafür faszinieren der manchmal stille Witz, stellenweise sogar sehr hintergründig, und der subtile Umgang mit Klischees. Die Regie Willy Pramls beweist tiefe Menschenkenntnis und unspektakulär präsente interkulturelle Kompetenz. Deshalb gibt es hier Komiker-Kalauer für den Fabrikanten Giesecke, der zum Ölmilliardär Abdullah Al Opec (Muawia Harb) wird. Das Klärchen lispelt nicht, ist attraktive Burkina-Trägerin und heißt hier Fatima (Judith Speckmaier). Konsequenterweise ist nicht eine Kuh das Schönste auf der Welt, sondern ein Kamel, das bedauerlicherweise den Erzherzog-Johann-Jodler im Repertoire vorenthält. Dieser Identitäten-Wahnsinn gipfelt bei der Rössl-Wirtin (Birgit Heuser), die sich orientalisch assimiliert oder (katholisch?) konvertiert oder …. – da kenne sich noch jemand aus.

Dass am Ende die amtierende Bundeskanzlerin die Verse über die schöne Bescheidenheit dem seligen Kaiser Franz-Josef stibitzt hat, wäre eine gute Idee für die Buchmesse. Nur beim Zahlkellner Leopold (Jakob Gail) und beim schönen Sigismund (Michael Weber) bleibt die regionale Eindeutigkeit wie gehabt, was wohl als großzügige Verständnisbrücke in der Willkommenskultur des Regieteams gedacht war.

Das nur fünfköpfige Instrumentalensemble entführt unter Martin Lejeune mit den bekannten, oft zeitlupenmäßig gedehnten Melodien in eine neue musikalische Welt zwischen Akkordeon und dem Saiteninstrument Kanun. Allenfalls am entwicklungsfähigen Sound-Design lässt sich mäkeln, weil dieses alle erarbeiteten Feinheiten vergröbert. Malerisch lagert sich der projizierte tiefblaue Wolfgangsee hinter der Vip Lounge (Pardon: Diwan...?) und Paula Kerns Kostüme haben trotz der Kunstfaser-Trachtenhosen für die sieben top-attraktiven, tänzerisch souveränen Piccolos einen Gout, wie wenn an Münchner Volkstheatern Lodenfrey die Trachten liefert. Das sprengt die erwarteten Dimensionen eines freien Theaters wie das bombige Programmheft mit arabischer Textbuch-Übersetzung (Manel Bannouri) nach der eigenen originellen Textfassung von Michael Weber.

Was macht der interkulturelle Operetten-Transfer mit der Musik? Der Erstkontakt der frühestens seit 2013, aber überwiegend erst seit 2017 in Deutschland lebenden, arabischsprachigen Ensemble-Mitglieder haben zum Teil schon mehrfache Theatererfahrung und wer denkt, Europa hätte die originäre Gattung Operette für sich gepachtet, ist auf dem Holzweg. Musikalische Filmlustspiele des 20. Jahrhunderts aus den Studios Cairo sind inzwischen Kult wie Doris Day und Rock Hudson, zeigten die gleichen heterosexuellen Kontaktanbahnungen wie das Metropoltheater und die Musik gibt es auf Tonträgern.

Der größte Unterschied zwischen dem Arabischen und dem preußisch-österreichischen „Rössl“ liegt im Tempo. Die beträchtlich ausgedehnten Strophen von Gesängen des arabischen Kulturraums, an deren Muster sich das Arrangement stellenweise orientiert, wirken episch und deshalb gar nicht zielorientiert wie die knackig aufbereiteten musikalischen Formen des westlichen Unterhaltungstheaters. Im Sprechtempo und in den Bewegungsfolgen sind Allegro oder gar Presto Fremdworte. Auf der Bühne kommt offenbar niemand ins Schwitzen. Die Präzision wird dabei allerdings nie dick, gerät in keinen Stau. Man ist eben unter feinen Leuten und damit der Atmosphäre von Hugo von Hofmannsthals „Der Schwierige“ weitaus näher als der eines arabischen „Vetters aus Dingsda“.

Auch das Publikum ist definitiv Crossover, weil nicht auf grelles Gelächter und Plaudereien gebürstet. Deshalb gibt es auch kein Problem damit, dass die Operettenspieldauer-Schallmauer auf über drei Stunden durchbrochen wird. Sehr kurzweilig übrigens, weil diese sich wie maximal neunzig Minuten anfühlen. Etwas respektloser und wilder dürfte der Applaus schon sein, auch weil man hier keine Übertitel braucht wie oft bei Musiktheater-Dialogen. Eine feine, einnehmende Note bekommen diese durch Deutlichkeit und durch den dunklen, guttural lockenden arabischen Akzent. Das ist mindestens ebenso schön wie Menkens Musical „Die Schöne und das Biest“ auf Englisch mit ungarischem Ensemble. Gelebte Diversität muss nicht nur etwas Wunderbares sein, sondern ist es „Im Arabischen Rössl“ in Echtzeit.

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