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Tweetfonie in Dessau. Antony Hermus dirigiert. Foto: Hauff
Tweetfonie in Dessau. Antony Hermus dirigiert. Foto: Sebastian Gündel / Weill-Fest
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Im Auge des Taifuns. Antony Hermus und die Anhaltische Philharmonie beim 22. Kurt-Weill-Fest im krisengeschüttelten Dessau-Roßlau

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Auch das 22. Kurt-Weill-Fest in Dessau-Roßlau konnte mit Qualität und Vielfalt überzeugen. Doch es steht nicht gut um die Kultur in Sachsen-Anhalt, und auch während des Festivals war die Nervosität zu spüren. Im Mittelpunkt des Programms standen Betroffene: Artists-in-Residence waren die Anhaltische Philharmonie und ihr GMD Antony Hermus. Sie ließen sich nichts anmerken – jedenfalls beim Spielen.

Dessau-Wörlitzer-Gartenreich, Bauhaus, Anhaltisches Theater und Anhaltische Philharmonie, Kurt-Weill-Zentrum und Kurt-Weill-Fest – wenige Städte in Deutschland haben eine vergleichbare Dichte kultureller Attraktionen aufzuweisen wie das inzwischen auf 85.000 Einwohner geschrumpfte Dessau-Roßlau. Stadt und Region sind zwischen Hannover, Leipzig und Berlin leicht zu übersehen; Fernzüge halten in Dessau schon lange nicht mehr – bis auf einen Nachmittags-IC nach Leipzig an wenigen Freitagen. Doch noch leben Menschen hier – und sie stemmen sich auch unter dem Motto „Bunt statt Braun“ wirkungsvoll und kreativ dem alljährlichen Aufmarsch der Neonazis Anfang März entgegen. Aber die jungen Leute wandern ab, und die Landesregierung erweckt den Eindruck, als wolle sie Dessau und Umgebung über kurz oder lang in ein Museum verwandeln.

Dabei hatte der Landtag von Sachsen-Anhalt einst einen Kulturkonvent eingesetzt, und der hatte empfohlen, in Kultur zu investieren statt zu sparen. Souverän ignorierte die Regierung um Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) und Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) dieses Votum, als wolle sie zeigen, wer eigentlich Herr im Haus ist. Wie Dorgerloh dem geschätzten, aber unbequemen Direktor der Stiftung Bauhaus, Philipp Oswalt, ohne Begründung die Vertragsverlängerung verweigerte – worauf der komplette wissenschaftliche Beirat zurücktrat – , erinnerte nicht nur die „Mitteldeutsche Zeitung“ an DDR-Zeiten.

Besonders betroffen ist das Anhaltische Theater, dessen Jahresetat von 8 Millionen auf 5,2 Millionen sinken soll. Nach den Vorstellungen der Landesregierung sollen Ballett- und Schauspiel schließen, Musiktheater mit Anhaltischer Philharmonie und Puppentheater dagegen erhalten bleiben. Dem Kurt-Weill-Fest hingegen gab der Ministerpräsident bei der Eröffnung eine Förderzusage bis 2019. Ob beabsichtigt oder nicht – das Signal ist geeignet, zwei wichtige Akteure gegeneinander auszuspielen: Hier das Theater mit lokaler und regionaler Ausstrahlung, dort das Weill-Fest als internationaler Anziehungspunkt, hier die beharrliche und mühsame Arbeit vor Ort, dort das alljährliche Zweieinhalb-Wochen-Highlight – das doch auch jedes Mal neu konzipiert und finanziert sein will.

Dabei sieht jeder, der sich nur ein wenig mit Weills Leben und Werk beschäftigt hat, wie absurd das Sparkonzept ist. Weill hat sich zeitlebens zwischen den Gattungen und zwischen den Sparten bewegt. Die „Dreigroschenoper“ ist ohne Schauspieler so wenig denkbar wie „Street Scene“ ohne geschulte Sänger. Die „Sieben Todsünden“ sind ein Ballett, andere Stücke verlangen Ballett, weitere schließlich vertragen Ballett. Und in „Love Life“ gibt es  sogar eine Puppentheater-Szene. Wer sich Georg Kaiser nähern will oder Maxwell Anderson, den für Weill neben Brecht wichtigsten Dramatikern, braucht die Schauspielbühne. Gerade letzteres wäre einmal an der Tagesordnung, denn in 22 Jahren Weill-Fest hat das Publikum viel gute Musik gehört, aber wenig über Weills geistiges und literarisches Umfeld erfahren. Zu wenig eingelöst scheint auch die Auseinandersetzung mit Weills Forderung, im Musiktheater die großen Fragen der Zeit zu behandeln.

Das Anhaltische Theater präsentiert zwar laut Ankündigung die „Beggar’s Opera“ von John Gay und Christopher Pepusch, also das Vorbild der „Dreigroschenoper“, aber davon bleibt nicht viel übrig. Ähnlich wie einst Gay setzen der Regie führende Intendant André Bücker und sein Text-Co-Autor Andreas Hillger auf tagespolitische Satire – mit der Folge, dass vom Stück nicht viel übrig bleibt. Denn ständig mischt sich da Mr. Hopeman ins Spiel – eine Politiker-Karikatur, in der man schnell das personifizierte, durch Originalzitate aus der Landespolitik beglaubigte Feindbild der Bühnenkünstler erkennt. Auf der Bühne wird Mr. Hopeman am Ende übel mitgespielt, denn der Räuber Macheath schleppt ihn mit als Gefangenen in die Neue Welt, wo „Polly“, die Fortsetzung der „Beggar’s Opera“, spielt. Mr. Hopeman, den sein Ministerpräsident nicht freikaufen will, landet als verschnürtes Paket bei den Indianern, die ihn als „Rote Null vom Stamme der Bullerhasen“ titulieren.

Das Publikum im gut besetzten Theater hat seine helle Freude nicht nur an den wenigen feinen, sondern auch an den vielen groben Pointen des Abends. Dass diese Inszenierung einen Nerv trifft, ist unverkennbar; denn sogar auf der Straße kann man im ruhigen Dessau erregte Gespräche von Bürgern über die Landespolitik belauschen. Bücker selbst beweist mit der „Beggar’s Opera“ einmal mehr sein polemisches Talent. Schon im Herbst 2013 reizte er die Landesregierung mit der Parole „Wir sparen uns früher dumm!“, einer Parodie des sachsen-anhaltinischen Werbeslogans „Wir stehen früher auf!“ Leider hat es die Landespolitik versäumt, darauf eine konstruktive Antwort zu geben. Statt den Bürgern in der Sache Perspektiven aufzuzeigen, argumentiert sie mit Verfahren und Beschlüssen. Inzwischen kann die Kulturpolitik sich hinter dem vom Landtag verabschiedeten Etat verschanzen, der - über Dessau und über die Kultur hinaus - vielen Bürgern in Sachsen-Anhalt das Gefühl vermittelt, sie hätten keine Zukunft mehr in ihrem eigenen Bundesland.

Schwer hat es da die Stadt Dessau-Roßlau, die sich seit langem gegenüber der Landeshauptstadt Magdeburg und dem benachbarten Halle im Hintertreffen sieht. („Für Dessau rührt sich im Landtag keine Stimme“, sagen Insider.) Schwer hat es auch die – vom Temperament und von der Sache her – eher diplomatisch agierende Weill-Gesellschaft um Festival-Intendant Michael Kaufmann. Dass sie in einem gelingenden Weill-Fest mit internationaler Ausstrahlung und freundlicher Atmosphäre das beste Plädoyer für den Kulturstandort Dessau sieht, ist nicht weniger verständlich als der Impuls von Bürgern und Theaterleuten, das Weill-Fest als Plattform für ihren Protest zu nutzen. So liegt über dem Fest eine eigenartige Mischung von Gereiztheit und Selbstbeherrschung. Dass sie nur wenig auf das Programm durchschlägt, ist ein Glücksfall, der mit dem diesjährigen Artist-in-Residence zusammenhängt.

Dass man eine Person und eine Institution zum Residenz-Künstler beruft, die ohnehin schon vor Ort sind, ist ungewöhnlich. Für die schon lange avisierte Entscheidung zugunsten der Anhaltischen Philharmonie und ihres GMD Antony Hermus macht Intendant Michael Kaufmann künstlerische Gründe geltend. Tatsächlich spielen die Musiker des Dessauer Orchesters an 12 Terminen in 17 Tagen nicht nur in verschiedenen Besetzungen acht unterschiedliche Programme, sondern sie tun dies auch auf hohem, international durchaus vorzeigbarem Niveau. Die Spanne dabei reicht vom Eröffnungskonzert mit Weills Radiohörspiel „Der Lindberghflug“ und einem Sinfoniekonzert „Go West“ über die Begleitung der „Beggar’s Opera“ (mit Kapellmeister Daniel Carlberg am Pult) und der Weill’schen Schuloper „Down in the Valley“  zu einem Kammerkonzert „Sonntagsanekdoten – Kurt Weill und seine Zeitgenossen“, einem Jazzabend der „Jazzphonie“ (mit Hermus am Klavier) und dem Auftritt des Salonorchesters Papillons beim Festival-Café.

Mittendrin in diesem Konzert-Marathon finden wir Antony Hermus. Der 1973 in Oosterhout (Brabant) geborene Niederländer amtiert seit 2009 in Dessau als GMD. Trotz mehrfacher Nominierung als „Dirigent des Jahres“ in der Zeitschrift „Opernwelt“ hat er keinerlei Starallüren entwickelt, sondern bleibt im Gespräch freundlich, offen und dezidiert. Studiert hat er nicht nur Klavier und Dirigieren, sondern auch Wirtschaftsinformatik. „Ich kann Bilanzen lesen“, sagt er beim Festivalcafé-Interview, das von den Radiosendern DLF und MDR aufgezeichnet wird, und verhehlt nicht seine Sorge um die Zukunft von Theater und Philharmonie. Gegenüber den günstigen Prognosen für die Musiktheater-Sparte bleibt er skeptisch: „Die Vergangenheit beweist, dass Optimismus nicht angebracht ist.“ Es falle ihm nicht leicht, jeden Probentag aufs Neue Menschen ins Gesicht zu blicken, die um ihre Zukunft bangen. Und dennoch agiert er wie im Auge des Taifuns – als ruhender Pol und bewegter Motor zugleich.

Hermus scheint einer der glücklichen Menschen zu sein, die es verstehen, den Pessimismus der Diagnose mit dem Optimismus der Tat auszutreiben. Beim Sprechen über seine Arbeit, beim Klavierspielen und beim Dirigieren strahlt er Begeisterung aus, und diese Begeisterung überträgt sich auf das Orchester und über das Orchester zurück aufs Publikum, das das Sinfoniekonzert mit vor Ort bislang ungekannten Ovationen feiert. „Wir versuchen, den Moment gut wie möglich darzubieten und zu genießen“, sagt der GMD. Und: „Klassische Musik ist für jeden, nur hat noch nicht jeder herausgefunden, das er sie mag!“ (Auch dies ein Satz zum Mitschreiben.) Und so hat er denn zum Motto „Aufbruch. Weill und die Medien“ auch noch eine besondere Idee gehabt: Die Tweetfonie. Dazu konnte, wer auch immer wollte, über Twitter per Klaviertastatur ein Thema eingeben. Ausgewählte Themen wurden an verschiedene Arrangeure und Komponisten übermittelt, die binnen weniger Stunden ein Arrangement für eine Orchesterbesetzung von gut 40 Musikern anfertigten. Und während im Bauhaus nun die Drucker laufen und fleißige Helfer die Noten sortieren, spielt Hermus mit der Anhaltischen Philharmonie eine Miniaturkomposition nach der anderen vom Blatt, verbessert und wiederholt - und lässt sich dabei filmen. Nach zwei Schichten von je drei Stunden (mit Pause) werden am Ende 53 anschauliche Beispiele für die Kunst des Arrangements ihre Uraufführung erleben – über Internet neugierig verfolgt von Beobachtern aus aller Welt.

Spätestens am 16. Mai wird dann die Welt wieder nach Dessau blicken, diesmal auf das Bauhaus-Erbe. Denn dann werden nach erfolgtem Wiederaufbau die Meisterhäuser von Walter Gropius und László Moholy-Nagy eröffnet – in unmittelbarer Nachbarschaft des Kurt-Weill-Zentrums im Lyonel-Feininger-Haus, und in Anwesenheit des Bundespräsidenten. Vielleicht kann Joachim Gauck ein wenig Zeit mitbringen und mit den kulturpolitischen Akteuren die Dauerausstellung im stadthistorischen Museum besuchen. Die zeigt eindrucksvoll die Vergangenheit von Anhalt-Dessau als „Schauplatz vernünftiger Menschen“. Oder er lässt mal nachschauen, ob sich in irgendeiner Abstellkammer noch ein runder Tisch findet. Dieses Möbel entspricht zwar nicht gerade dem Bauhaus-Design, hat sich aber in verfahrener Lage schon mehrfach als nützlich erwiesen.

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