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Im crossmedialen Raum: Die Neuen Vocalsolisten mit Andreas Eduardo Franks „SuperSafeSociety”

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„Am Anfang – war der Shutdown“, intonieren die Neuen Vocalsolisten zu Beginn ihrer virtuellen Aufführung „SuperSafeSociety”. Ausschließlich online zu erleben ist dieser „digital-musiktheatrale Abend“, Auftakt und Pilotprojekt der neuen Reihe „Magische Räume” der Stuttgarter Neue-Musik-Institution Musik der Jahrhunderte. Konzipiert hat ihn der Anfang des Jahres mit dem Kompositionspreis der Stadt Stuttgart ausgezeichnete Tonsetzer Andreas Eduardo Frank – eine Idealbesetzung, galt es doch, ein genuines Online-Konzerterlebnis zu generieren, statt der Vielzahl an Steaming-Angeboten ein weiteres hinzuzufügen.

„Interaktion statt Lockdown“, so die Devise. Diesem Anspruch kommt Franks Inszenierung mit medientechnischer Expertise in der Verschränkung von Musik, Performance, Video und Theater nach. Vor den Anfang hat der Regisseur das Check-in-Procedere gesetzt: Sobald die Kamera und das Mikrofon des heimischen Rechners getestet und das Mobiltelefon mittels QR-Code verbunden ist, läuft der Countdown, Spielkonsolensounds signalisieren die erfolgreiche Einwahl anderer Besucher. Sechs Figuren in heller Kleidung bilden eine Reihe, doch wo ein Kopf zu erwarten wäre, erscheint auf dem Bildschirm ein unregelmäßiges Viereck. „Kein Kino, keine Party, keine Freunde, keine Konzerte“ skandieren die Vocalsolisten, während auf den Projektionsflächen Worte aufleuchten oder Wolken dahinziehen – Franks Komposition greift die Pandemie-Situation in jeder Sekunde auf. Begriffe wie „Wahrheit“ und „Lüge“ werden einander gegenübergestellt, andere wie „Infektionsrate“, „Hygienemaßnahmen“ oder „Bruttoinlandsprodukt“ in Silben oder einzelnen Phoneme zerlegt. Parallel dazu rattern sie als Digital-Libretto über den Second Screen des Handys. „Alles sauber, alles super, alles safe.“ Dazwischen immer wieder: „Statuscheck!“

Als einer der Vocalsolisten vortritt, weht der Schatten seiner Atemaerosole quer über alle Projektionswände. Wenig später werden darauf einige der zuhause vor ihren Bildschirmen versammelten Besucher eingeblendet, allein mit Headset oder zu zweit auf der Wohnzimmercouch – der Chat ist eröffnet. Ein Regen organischer Formen geht über beide Bildschirme nieder: Blütenblätter oder Blutplättchen? Erscheinen Flugzeuge, wird im Chatfenster der Ruf nach Serviceleistungen laut. „ES GIBT KEINE SNACKS!“, stellt der Operator klar. „Nächstes mal wieder Lufthansa“, lautet die schlagfertige Reaktion.

Die Stimmung der Medienkompetenten ist aufgekratzt, ein Metakommentar triggert den nächsten. Rasch entsteht das dem crossmedialen Raum eigene Spiel von Distanz und Nähe. Guillermo Anzorena stimmt „Nimm sie hin denn, diese Lieder“ aus Beethovens Liedzyklus „An die ferne Geliebte“ an, die Besucher feiern ihn und den Synthesizer, auf dem er begleitet wird. Mit dem Staubsaugerrohr modulieren Johanna Vargas, Susanne Leitz-Lorey und Truike van der Poel ihre Vokalisen: „Geile Nummer!“, kommentiert User_88 die Interpretation des Stücks von Minimal-Techno-Legende Mika Vainio. Nur selten wird es kurz ganz still, etwa bei Jay Schwartz’ „Music For Six Voices“. Mit einer „Ohne Abstand, ohne Anstand“-Fuge endet das crossmediale Event nach einer Stunde. Schütterer Applaus im Studio, im Chat ein Hagel von Emojis.

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