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Elsa Dreisig (Diane), Reinoud Van Mechelen (Hippolyte) und Anna Prohaska (Aricie). Foto: Credits: Karl und Monika Forster
Elsa Dreisig (Diane), Reinoud Van Mechelen (Hippolyte) und Anna Prohaska (Aricie). Foto: Credits: Karl und Monika Forster
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Im Reich der Lichtobjekte – Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“ an der Staatsoper Berlin

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Der anfängliche Eindruck der Zuschauer*innen in der Aufführung von Rameaus Tragedie en cinq actes, sie befänden sich – angesichts der zahlreichen Lasereffekte im Paraffin-Nebel – in einem Disco-Club oder in einer Pop-Großveranstaltung, verhärtet sich noch, als über dem Orchestergraben eine gigantische Prismen-Spiegelkugel herabgesenkt wurde. Ohne Zweifel: Pluto, Merkur und Diana sind mitsamt Familie und Bediensteten eingekehrt ins Disco-Reich.

Ein prismenreiches Spiegelkleid der Königin Phèdre, farbige Planetenbahnen als Kopfgefängnisse, die Leuchtobjekte an und die multiplen Laserpistolen in den Händen der Akteur*innen, ein riesiger, am Hinterkopf der Diana zentrierter Parabolspiegel – all das sind Effekte, die einer teuren Modeschau durchaus gut zu Gesicht stünden.

Als Neuinszenierung im Rahmen der Barocktage der Staatsoper Unter den Linden steht eine Mischfassung aus der ersten, dritten und der letzten der insgesamt vier überlieferten Versionen von Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“ auf dem Programm, im wesentlichen basierend auf der prologlosen Fassung aus dem Jahre 1767.

In der gut dreistündigen Aufführung wird überaus trefflich gesungen und – dank der Intentionen des Dirigenten Simon Rattle – zupackend effektvoll musiziert. Doch bedürfte es auf der Szene eines fesselnderen Spiels mit packenden Interaktionen der Darsteller*innen, was allerdings auch die vielfach aufgeplusterten Kostüme des Gesamtausstatters Ólafur Elíasson nicht zulassen. Die Personenführung von Aletta Collins ist zumeist dürftig und oberflächlich. Da hilft es auch nichts, dass die Stimme der Göttin zunächst aus dem Rang erklingt und dass das Staatsopern-Auditorium per Spiegel auf die Bühne geholt wird. Denn der von Martin Wright einstudierte, trefflich singende Chor erklingt zumeist aus dem Orchestergraben, wenn nicht die überhohen, mit runden Spiegelflächen beklebten Kopfbedeckungen der Chorist*innen deren Effekteinsatz für die Umleitung der Laser-Lichter erfordern.

Vergleichsweise fantasievoll ist hingegen, was die Tänzer in Collins’ Choreografie vollführen, allerdings insbesondere dann, wenn sie als schwarze, kaum sichtbare Schemen agieren oder einen Schattentanz zwischen drei Leichtspiegelflächen ausführen. Originell eine am Boden zappelnde, lange DNA-Menschenkette, konventionell hingegen im hellen Licht, mit einer arg beliebigen Schäfertanz-Choreografie in der Schlussszene des vierten Aktes. Fragwürdig dann, warum der lange Abend nicht genug ballettöse Möglichkeiten für die Choreographin bot, ohne dass der stumme Solotanz eines Schäfers den Schlussakkord noch erheblich überdauern muss.

Paraffin-Tsunami Richtung Auditorium

Nach einem Paraffin-Tsunami Richtung Auditorium zu Beginn zweiten Teils des Abends, erfolgt der bühnenbreite Blick auf projizierte Interferenzwellen –wenig aussagevoll und redundant, spätestens wenn der Filmstreifen wiederholt von vorne beginnt. Zwei Dudelsack-Pfeifer werden als „liebliche Instrumente“ besungen, aber wirklich zauberhaft ist hingegen, was das  Freiburger Barockorchester unter Rattle seinerseits an Naturwirkungen entfaltet, insbesondere in der finalen Nachtigallen-Nummer.

Anna Prohaska, vor der zweiten Aufführung als erkrankt angesagt, meisterte dann doch ohne merkliche Einschränkung die Partie der Aricie, die mit ihrem geliebten Hippolyte (viril: Reinoud Van Mechelen) erst spät zusammenfindet; denn dessen Stiefmutter Phèdre (brillant: Magdalena Kožená) ist in Liebe zu ihm entbrannt – und dies verständlicherweise zum Leidwesen des aus der Unterwelt zurückgekehrten Ehemanns Thésée (Gyula Orendt), dem Pluto (Peter Rose) versprochen hatte, er werde nach Verlassen der Hölle dafür zuhause die Hölle auf Erden vorfinden.

Musikalisch faszinierend, wie sich an diesem Abend der optisch fragwürdigen Effekte und musikalisch trefflicher Affekte eine sängerische Hochleistung an die vorhergehende reiht. Aus diesem Grunde sollen diesmal auch die übrigen Solist*innen nicht unerwähnt bleiben: Elsa Dreisig (Diane), Adriane Queiroz (Œnone), Roman Trekel (Tisiphone), Michael Smallwood (Mercure), Sarah Aristidou (La grande Prêtresse de Diane), Slávka Zámečníková (Une Chasseresse), Serena Sáenz Molinero (Une Bergère), Linard Vrielink (Première Parque), Arttu Kataja (Deuxième Parque) und Jan Martiník (Troisième Parque).

Positiv, dass die einzelnen Szenen nur selten von Publikumsapplaus unterbrochen wurden. Am Ende jubilierten die Besucher der trotz einiger freier Plätze ausverkauften Linden-Oper beglückt wie in einer Premiere.

  • Weitere Aufführungen: 2., 4., 6. und 8. Dezember 2018.

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