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„Così fan tutte“ an der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Matthias Baus
„Così fan tutte“ an der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Matthias Baus
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In der „Année érotique“ angesiedelt: „Così fan tutte“ an der Staatsoper Unter den Linden

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An der Staatsoper Unter den Linden entsteht ein neuer Mozart-Da-Ponte-Zyklus unter GMD Daniel Barenboim. Nach „Le Nozze di Figaro“, deren Präsentation im April dieses Jahres mehr Fragen aufgerufen als beantwortet hatte, folgte nun „Così fan tutte“ in jener Trilogie, die erstmals entgegen der Chronologie ihrer Entstehungszeit die drei Mozart-Opern auf Libretti Lorenzo Da Pontes inhaltlich miteinander zu einer Geschichte der Sexualität verknüpfen will.

In seiner Sicht auf Mozarts Da-Ponte-Opern versteht Regisseur Vincent Huguet „Così fan tutte“ als Auftakt, als eine „Initiation“, welcher mit „Le Nozze di Figaro“ die „Midlife Crisis“ und mit „Don Giovanni“ dann die „Reifezeit bis zum Tode“ folge – eine Rezeption frei nach Michel Houellebecq: Da wird aus Guglielmo der Graf Almaviva und schließlich Don Giovanni, aus Fiordiligi die Gräfin Almaviva sowie dann „die maskierte Donna Elvira, die ihren (Ex-)Mann bis zum Ende verfolgt“. Die in der „Année érotique“ im Jahre 1969 beginnende Handlungsabfolge soll dann mit „Don Giovanni“ in der heutigen Zeit enden, wobei Videos auf die vorangegangenen Stationen des Triptychons zurückgreifen werden – eben auch auf die Frauen, die es alle so machen, wie der Titel dieser Oper behauptet.

Soweit also das Konzept, dramaturgisch spannend zu lesen, welches in der szenischen Umsetzung von „Così fan tutte“ im Gefolge von Serge Gainsbourg und Jane Birkin in einer Hippie-Gesellschaft mit Bikini-Schönheiten (Kostüme: Clémence Pernoud) auf Betondächern angesiedelt ist, mit dem Vesuv als Kraftfeld im Hintergrund. In puncto freie Sexualität räkelt sich ein nacktes Liebespaar, und Dorabella zieht sich splitternackt aus, um bei ihrer Arie Nr. 28 in eine Schaumbadewanne hinein- und auch wieder herauszusteigen.

Die Wahl der Spielorte, die Verwandlungen in Aurélie Maestres Bühnenraum, hinter einer sich herabsenkenden, schwarzen Courtine, erscheinen jedoch arg beliebig. Nachdem das Boot, welches die Soldaten angeblich zum Militärschiff bringen sollte, nur ein kleines, gelbes Kinder-Gummiboot ist, spielt das 2. Bild des zweiten Aktes nicht in einem Garten am Strand, sondern gleich auf einem kleinen Schiff, welches von Technikern händisch gedreht und mit Seilen aus dem Schnürboden in leichte Schwingungen versetzt wird, während acht Damen eine schwarze Stoffbahn als Meerbrandung an die Rampe tragen und viel Bühnennebel das Meerwasser signalisieren soll, welches jenen Kahn der Lust umschäumt.

Hierauf wurde von den beiden Swinger-Paaren mit intensiv grapschendem Liebesspiel schön gesungen. Federica Lombardi fand an diesem Abend noch nicht bei der Felsen-Arie, aber später um so sicherer jenen Ton, welcher bei der in sich ruhenden und doch nicht vor Gefühls-Veränderungen gefeiten jungen Dame als späterer Gräfin dominieren wird. Marina Viotti überzeugte als Dorabella mit sinnlichem Empfinden, wie Gyula Orendt (die im Sinne des Regisseurs einzig identisch erfolgte Besetzung mit dem Almaviva in „Le Nozze di Figaro“!) das Draufgängertum für Guglielmo und Paolo Fanale die rechten Haltungen für Ferrando. Auch der Drahtzieher der Wette, Alfonso im Seidenmorgenmantel, zählt dank der Präsenz des Basses Lucio Gallo zu den Positiva des leider nur partiellen Sängerfestes. Barbara Frittoli als Despina, hier zugleich die Geliebte Alfonsos, blieb die deutlich hinter den Leistungen ihrer Kolleginnen zurück und vermochte die klassischen Comedia dell‘ arte-Typen Doktor und Notar nur wenig glaubhaft ins zwanzigste Jahrhundert zu transportieren. Ein an der Kette geschwenkter silberner Mercedes-Stern als des Doktors Magnet „aus Deutschland“, löste zwar Lacher im Publikum aus, half aber der Transformation der Geschichte wenig weiter.

Für die beiden Titelgeberinnen hatte die Regie dann noch einen Clou fürs Ende aufgespart: in der Neuinszenierung sind auch Fiordiligi und Dorabella nicht jene, die sie in ihren weißen Hochzeitsgewändern zu sein scheinen. Wie die männlichen Liebhaber als Albanier sich nur durch längere Perücken von ihrer ursprünglichen Gestalt unterschieden, so tragen die beiden Schwestern nun, fürs Schlussbild, unter ihren breiten Hüten die „falschen“ Langhaar-Perücken, haben ihre Haarfarben getauscht. Beim finalen Rundgesang gibt es eine „Reise nach Jerusalem“, an der auch die Chorist*innen beteiligt sind, während sich Ferrando an der Jagd um das Sitzen auf einem Stuhl neben der Wunsch- Braut recht früh ausgeklinkt hat und es auch vor dem Fallen des Vorhangs nicht mehr ganz schafft, eine der Schwestern zu ergattern.

Zu routiniert scheint das, was Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, als ein in dieser Partitur schon lange heimischer Sachwalter, mit der auch an diesem Abend fast immer akkurat spielenden und gut aufeinander abgestimmten Staatskapelle dem Dramma Giocoso Mozarts aus dem Jahre 1790 als sicheres Fundament verleiht.

Im Gegensatz zur Schachbrettanordnung des Auditoriums am Abend zuvor in der Komischen Oper, waren in der Staatsoper bei der Premiere alle Plätze verkauft und besetzt – und auch nur vier Musiker, die sich mit ihrem Chefdirigenten am Ende auf der Bühne feiern ließen, trugen eine Mund-Nasenschutzbedeckung. (Jene Maske, die noch bei der „Figaro“-Inszenierung Huguets unfreiwilligen Aktualitätsbezug geschaffen hatte, ist in dieser Inszenierung ganz ausgeklammert.) Insgesamt störte sich keine/r der Besucher*innen an dieser Mozart- Neuinterpretation. Auch das Regie-Team erntete den allgemein wohlwollenden Applaus ohne Gegenstimmen, nachdem zunehmend viel Zwischenapplaus für die vier Hauptprotagonist*innen zur gefühlten Überlänge des tatsächlich exakt dreieinhalb Stunden Aufführungsdauer umfassenden Premieren-Abends beigetragen hatte.

Weitere Aufführungen: 6., 9., 13., 16., 20. Oktober 2021, 7., 14. April 2022

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