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Detlev Glanerts „Caligula“ in Weimar. Foto: Candy Welz
Detlev Glanerts „Caligula“ in Weimar. Foto: Candy Welz
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In der Falle der Freiheit: Detlev Glanerts „Caligula“ am Nationaltheater Weimar

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Zu einem Aufschrei gibt es im Moment allerhand Gründe. Da könnte auch das auf Lücke platzierte Opernpublikum im Deutschen Nationaltheater seinen Teil beisteuern. In Weimar kommt ein abgrundtiefer Schrei gleich zum Auftakt der jüngsten Premiere von der Bühne.

Wer hier vor Schmerz aufschreit ist der römische Kaiser Caligula, der von 37-41 auf dem Caesarenthron saß. Ihm haben die Geschichtsschreibung und seine Gegner nachhaltig einen so miserablen Ruf verpasst, dass eine differenziertere Sicht hier kaum eine Chance hat. Nero hat Rom angezündet und Caligula war verrückt. Das weiß doch jeder. So einfach ist das.

Detlev Glanerts (*1960) 2006 in Frankfurt uraufgeführte vieraktige Oper, deren Librettist Hans-Ulrich Treichel Albert Camus’ Vorlage folgt, stellt das auch nicht in Frage. Aber er spürt einer absurden Logik im Handeln Caligulas nach. Wenn zum Beispiel die Finanzen das wichtigste sind, dann ist ein Gesetz, dass vermögenden Bürger ein Testament abverlangt, das sein Eigentum dem Staat überlässt, logisch. Die Konsequenz daraus ist dann, notfalls für die entsprechenden Erbfälle zu sorgen. Als Caligula nach ein paar Tagen des Abtauchens plötzlich wieder auftaucht und die Regierungsgeschäft in die Hand nimmt, ist das das erste Gesetz, dass er erlässt. Und das ist nur der Anfang, von dem alle wissen, das er in die Katastrophe führt. Gleichwohl müssen auch in so regierten Staatswesen viele mitspielen und willige Vollstrecker sein. Um das zu verstehen versetzt Glanert sich und uns gleichsam in den Kopf des Tyrannen.

Für den musiktheateraffinen Hans-Werner-Henze-Schüler ist der Aufschrei der Verzweiflung über den Tod der geliebten Schwester Drusilla (nachgeredet wurde Caligula diese Schwester als Geliebte) nicht Ausweichen vor einer Musik des Wahnsinns, sondern deren Auftakt. Und man hört und erfühlt in den zweieinhalb Stunden mit Pause auch das, was man sieht. Denn hier hat einer die Freiheit der Macht, sich in seiner Trauer und Verzweiflung auszutoben. Die, die gerade davon kommen, sehen einfach weg, wenn an der kaiserlichen Tafel eine Senatorin-Gattin vergewaltigt oder als Intermezzo mal eben ein Todesurteil verhängt wird, weil Caligula sich einbildete, dass ein harmloses Asthmamittel ein Gegengift gegen einen befürchteten Mordversuch durch den Kaiser ist. Der historische Caligula ist als Opernheld vor allem natürlich deshalb faszinierend, weil er etwas Exemplarisches hat.

Regisseur Dirk Schmeding (38) nutzt für seine atmosphärisch packende, klug konzentrierte Inszenierung den frei gewählten vorigen Präsidenten der Vereinigten Staaten als Beispiel; das zum Markenzeichen gemachte Basecape, der Golfschläger, die Entschlossenheit in ein Paralleluniversum von alternativen Wahrheiten auszuwandern – es ist schlichtweg verblüffend, wie Glanerts Oper in den letzten 16 Jahren an Relevanz zugelegt hat.  

Gemeint ist aber „Immer und Überall“. Nachdem der präsidentiale Kaiser seine Golfbälle geschlagen hat (vom Kopf seines liegenden Lustsklaven Helicon) wird das Politische zum Exemplarischen. Die Bühne von Ausstatterin Martina Segna bringt mit ihrer atmosphärischen Dunkelheit das Innere auf den äußeren Punkt. Mal liegen Felsbrocken herum. Mal schweben Ballons wie Gestirne herum oder es quillt der Schaum aus einem Pool.

Dabei sieht alles in den Kostümen von Frank Lichtenberg nach Gegenwart aus. Die Männer mit Anzug und Krawatte. Die Geliebte Caesonea immer elegant im langen Kleid. Der Sklave Helicon auch mal im Durchsichtigen mit freier Brust. Der Irrsinn hat dabei auch bösen Witz. Wenn Caligula unbedingt den Mond besitzen will, ist seine Freiheit die, das Unmögliche zu wollen. Oder wenn er sich im Schaumbad selbst als Göttin Venus (im Falsett singend) anhimmeln lässt, grüßt nicht nur Botticelli, sondern auch die Komödie. Am Ende raffen sich die Senatoren dann doch auf, dem Treiben ein Ende zu machen. Caligula erwartet die mit Golfschlägern nahenden Tyrannenmörder mit ausgebreiteten Armen.

Bariton Oleksandr Pushniak ist als Caligula das vokale und darstellerische Kraftzentrum des fabelhaften Ensembles. Mit imponierender Präsenz verkörpert er auf der Bühne, was aus dem Graben flutet. An seiner Seite besticht der junge holländische Countertenor Gerben van der Werf als Helicon ebenso wie Mezzosopranistin Jelena Kordić als souveräne Caesonia. Bei den Gegnern profilieren sich vor allem Avtandil Kaspeli als Cherea und Joanna Jaworowska als Dichter Scipio. Sie alle (inklusive des von Jens Petereit einstudierten Chores) nutzen Glanerts Steilvorlage für vokale Sinnlichkeit und deutliches Parlando.

Andreas Wolf und die Staatskapelle Weimar laufen dabei, in den reinen Orchesterpassagen und beim Herzschlag des Bösen im Graben zur Hochform auf. Man kann nur hoffen, dass die Weimarer keine Scheu vor (relativ) neuer Musik haben - sie würde etwas versäumen, denn dem DNT ist mit „Caligula“ ein Wurf gelungen. Das Premierenpublikum jubelte entsprechend. Alle.

Weitere Vorstellungen am 25. Februar, sowie 6. und 26. März 2022

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