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Die Zauberflöte: Rafael Helbing-Kostka, Tamta Tarielashvili, Johannes Mooser, Deniz Yetim, Marianne Schechtel. Foto: © Christina Iberl
Die Zauberflöte: Rafael Helbing-Kostka, Tamta Tarielashvili, Johannes Mooser, Deniz Yetim, Marianne Schechtel. Foto: © Christina Iberl
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In einer Welt der Phantasie – Im Staatstheater Meiningen wird Achim Freyers „Zauberflöte“ bejubelt

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Auffallend oft gab es in letzter Zeit wieder Bühnenbilder für Opernproduktionen, die nicht mit nihilistischer Leere bis zur Brandmauer und Secondhand-Kostümen der allgemeinen Tristesse der Welt von heute in bekannten oder auch unbekannten Werken der Vergangenheit nachspürten. Vielleicht ein Indiz für ein wachsendes Bedürfnis nach Kunst als Gegenwelt? Und nicht nur als Analyse- oder Diskursbeitrag der besonderen Art. Wer weiß.

Zwei ausgesuchte Beispiele, die dezidiert auf ihrer Autonomie als Kunstwerk bestehen, bot die erste Spielzeit des neuen Meininger Intendanten Jens Neundorff von Enzberg. Die eine war „La Boheme“, die Malerfürst Markus Lüpertz als klingendes Gemälde auf die Bühne brachte. Jetzt folgte eine „Zauberflöte“ von Achim Freyer. Die Vorlage ist natürlich von Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder und war 1791 zur Volksbelustigung der Wiener Vorstadt gedacht. Wenn sich Freyer (88) ein Werk vornimmt und dabei für Regie, Bühne und Kostüme seine überbordende Phantasie einsetzt, dann kommt noch jedes Mal ein Gesamtkunstwerk der besonderen Art heraus. Sehr bunt. Immer etwas schräg. Meist subtil witzig. Allemal wiedererkennbar und mit der Musik eng verbandelt, wenn es um Oper geht.

Jetzt besteht der Bühnenraum aus drei großen Türen, die aussehen, als wäre sie aus einem expressionistischen Gemälde kopiert und ins Riesenhafte vergrößert. Oben drüber stehen die Schlagworte „Vernunft“, „Natur“ und „Weisheit“. Die rechte, in Quietschegelb, ist eine Schwenktür, die man nur anstoßen muss, um durchzukommen. Sie ist oft in Betrieb und bietet die Chance, komödienreif aneinander vorbei zu laufen. Bei der mittleren ist die Klinke so hoch, dass niemand an sie heran rankommt, der es nicht soll. Hier haben der mit Strahlenkrone versehene Sarastro (mit Stimmgewalt und Selbstironie: Selcuk Hakan Tıraşoğlu) und seine putzig blonden Mitstreiter mit ihren (Frei-)Maurerkellen ihren Auftritt. Aber auch ein wogendes Wasservideo und der Sternenhimmel für die Königin der Nacht. Die junge Laura Braun lieferte mit ihrem Bühenendebüt (!) ein atemberaubendes Beispiel von Koloraturakrobatik und kassierte dafür den entsprechenden Jubel an Ort und Stelle. Das Ganze läuft auch sonst ab wie eine Nummernrevue. Alle haben ihren Auftritt: der Sympathikus Papageno, dessen Liebessehnsucht Johannes Mooser – inklusive vorwitzigem Vögelchen im Hosenschlitz – auch stimmlich sehr einnehmend abliefert. Der strahlend und tenorschön singende Rafael Helbig-Kostka als braver Tamino. Und die mit ihren feinen Piani in ihrer Traurigkeit betörende Sara-Maria Saalmann als Pamina. (Sie wurde nach der Vorstellung mit dem Ulrich-Burkhardt Preis der Opernfreunde bedacht, der jedes Jahr im Gedenken an den ersten Nachwendeintendanten vergeben wird.)  Auch Stan Meus glänzt als Monostatos mit Spielwitz in schwarz-weißer Maske trotz seiner „Sohlenstreich“, die ihm Sarastro als Strafe verpassen ließ, als der sich an Pamina heranmachte.

Als die drei Knaben suchen Eva Möritz, Siba Veran und Sophia Greiwe mit ihrer extravaganten Haartracht schon bei noch geschlossenem Vorhang direkten Kontakt zum Publikum. Deniz Yetim, Marianne Schechtel, Tamta Tarielashvili haben es als Damen der Königin der Nacht nicht allzu schwer mit der Schlange fertig zu werden, dieses Gummitier besteht hier eh schon aus drei Teilen und ist somit schnell besiegt und so können sie sich in aller Ruhe beziehungsweise eifernder Hektik darum streiten, wer denn nun den Jüngling in seiner Ohnmacht bewacht. Es gehört zu den vielen witzigen Einfällen, dass sie dem vorlauten Papageno mal kein Schloss vor den Mund hängen, sondern das Spielzeugmodell eines Schlosses mit Zinnen und Türmen über den Kopf stülpen. Mit dieser verspielten kindlichen Heiterkeit lässt Freyer auch die Männer Sarastros an den Türen lauschen, wenn dort die diversen Proben stattfinden, um deren bildliche Umsetzung sich die Regie herummogelt. Auch am Ende zückt Freyer den eher groben Pinsel. Hier gehen alles nächtlichen und sonnigen Gewissheiten zu Bruch und wir finden uns nach einem märchenhaften Operntraum im erleuchteten Saal wieder. Nach einem kurzweiligen Gesamtkunstwerk, in dem sich alles fügte, inklusive ein paar offener Fragen. Aber das war für wenige die erste, für kaum jemanden aber die letzte „Zauberflöte“.

Dass die letzte große Premiere der Spielzeit ein Publikumserfolg werden würde, war schon an der Kasse klar: ohne Abo alles verkauft! Das ist in Zeiten, in denen allen die Pandemierestriktionen in den Knochen stecken, per se ein Erfolg. Obwohl man bei Mozarts Melange aus Budenzauber und Freimaurerbrimborium die Popularität des Werkes auf seiner Seite hat, könnte man selbst die Zauberflöte versemmeln. In Meiningen sorgten nicht nur das fabelhafte Ensemble, der spielfreudige Chor und natürlich die Hofkapelle unter Leitung von Harish Shankar vokal und musikalisch nach Kräften erfolgreich für das Gegenteil. Dass auch diese Inszenierung sitzt, war schon deshalb klar, weil sie bereits an anderen Häuser bejubelt wurde. Das erste Mal vor zwanzig Jahren in Schwetzingen, aber auch danach in Strasbourg, Dresden oder in Wien. Warum auch nicht, wenn denn schon mal eine zeitlose Inszenierung gelingt, die so frisch daherkommt wie diese Freyer-Zauberei mit der Mozart-Flöte. Jubel, was sonst!

  • Nächste Vorstellung: in dieser Spielzeit noch einmal am 7. und am 15. Juli jeweils um 19.30Uhr

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