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Foto: © Marcus Lieberenz, lieberenz@bildbuehne.de
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Ins norwegische Fischfanggebiet verlegt – Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Deutschen Oper Berlin

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Dmitrij Schostakowitschs vieraktige Skandaloper, 1934 in Leningrad uraufgeführt und dann ob ihrer Obszönität in der Musik verboten, erfreut sich in den letzten drei Dezennnien zusehends immer größerer Beliebtheit. Auch an der Deutschen Oper Berlin wurde die Urfassung „Lady Macbeth von Mzensk“ zu einem vollen Triumph für alle Beteiligten.

Die russische Paraphrase auf Shakespeares „Macbeth“ im Libretto von Alexander Preis nach der gleichnamigen Novelle von Nikolai Leskow, behandelt die liebesbedürftige, von ihrem Gatten vernachlässigte Katerina, die durch die sexuelle Beziehung mit einem Untergebenen zur Mörderin an Schwiegervater und Ehemann wird. Sie heiratet den Geliebten, aber die Leiche des ersten Ehemanns wird entdeckt und das frisch getraute Paar wird inhaftiert und nach Sibirien deportiert. Dort verliert Katerina ihren Mann an eine junge Prostituierte, die sie dafür mit sich in die Tiefe eines Flusses reißt.

Der aus Hebbels „Nibelungenlied“ übernommene Zweikampf zwischen der Kaufmannsfrau und dem Draufgänger Sergej löst ihren Abstieg aus. Dem ihr nachstellenden, geilen Schwiegervater Boris mischt Katerina Rattengift ins abendliche Pilzgericht, und gemeinsam mit ihrem Liebhaber Sergej bringt sie den heimkehrenden Gatten um. Der ist ein Depperle; mit hochstehender Anorakkapuze und Aktentasche, der über die Fische stolpert. Seine Leiche versteckt das Liebespaar am Ende des ersten Aktes nicht im Keller. Die Inszenierung verstärkt die Drastik, indem sich die Liebenden küssend über dem Toten in ihrer Mitte umarmen.

Die in Russland spielende Handlung hat das norwegische Regieteam kurzum in seine Heimat und in die Gegenwart verlegt. Dabei werden die besungenen Mehlsäcke durch übergroße, glaubhaft wirkende Fische ersetzt, die von Männern und Frauen apportiert und dann nachhaltig phallisch bespielt werden, anschließend auch als Lotterkissen dienen. Auf der Drehbühne gibt Bühnenbildner Erlend Birkeland den Blick frei auf Außen- und Innenseite des auf ein heutiges Mittelklassewohnhaus mutierten Großkaufmannsanwesens.

Verwunderlich an der dichten, in ihrer intensiven Personenführung und trefflichen Choreographie der Chorgruppen durchaus überzeugenden Inszenierung von Ole Anders Tandberg bleibt nur, dass die vom übergroßen Aufgebot an Arbeitern immer wieder herbeigeschleppten Fische unbearbeitet bleiben.

Ein weiteres innovatives Element der Inszenierung ist die sichtbar gemachte Bühnenmusik als eine vierzehnköpfige Banda in Frauenkleidern (Kostüme: Maria Geber), die immer wieder auftritt und das Liebespaar beim Geschlechtsakt blasend umgibt. Als Trompeterin fungiert dabei ein Double der Titelheldin, aber die Parallel-Funktion dieser hinzu erfundenen Rolle wird nicht stringent eingelöst.

Die bisweilen als Fremdzelle empfundene und gestrichene Polizeiszene (so etwa in der Bremer Inszenierung von Konstanze Lauterbach), inszeniert Tandberg –hinter einer wie improvisiert herabgelassenen Zwischenwand, mit Sicht auf das unbehandelte Material der Rückseite – als perfekt choreographierte Sexualgroteske: auf phallisch bespielten Bügelbrettern und mit Bumsbewegungen bügeln 12 halbnackte Polizisten ihre Hosen, wozu sie die Stecker der Dampfbügeleisen in ihre Unterhosen stecken.

Bei ihrer Verhaftung wird Katerina dann vom Polizeichef (Seth Carico) erst einmal vergewaltigt. (Nur hierfür setzte es am Premierenabend bei der vor dem Schlussakt erfolgenden Lichtpause einige Buhrufe.)

Auf kreisender Drehscheibe bewegt sich die große Chorformation des Sibirien-Bildes, inklusive dem alten Zwangsarbeiter (Stephen Bronk), bewacht von einem mit jaulendem Schäferhund begleiteten Hauptmann (Noel Bouley). Katerina reißt sich eine Haarsträhne aus und erwürgt damit die Nebenbuhlerin.

Dass beide im reißenden Fluss umkommen, bleibt in dieser Konzeption eine uneingelöste Behauptung: Katerinas Leiche kreist weiter auf dem Steinhügel der Drehscheibe.

Bis in die Nebenrollen hinein ist die In russischer Sprache gesungene, deutsch übertitelte Aufführung großartig besetzt. Als Katerina Ismailowa feiert Evelyn Herlitzius, als Brünnhilde und Kundry in Bayreuth zunächst höchst gelobt, dann geschmäht, ein triumphales Comeback. Die Intensität dieser Sängerin ist fesselnd, wie eh und je. Der Herlitzius gelingt es, die frustierte, sich sehnsuchtsvoll selbst befriedigende Mörderin zu jener Sympathiefigur zu erheben, die dem 24jährigen Komponisten vorschwebte, den „Eindruck einer positiven Persönlichkeit“ (Schostakowitsch) zu erzielen. Dabei singt die Sopranistin mit Leichtigkeit, reiner Hingabe und ungetrübt jugendlich-dramatischer Strahlkraft. Auch Sir John Tomlinson als ihr Schwiegervater Boris Timofejewitsch Ismailow, in Bayreuth gefeierter Marke, Wotan und Hagen, war lange nicht mehr stimmlich so kraftvoll zu erleben. Er verkörpert den alten Haudegen, mit zwei toten Fischen bewaffnet, faszinierend. Noch eine weitere, als Wagner-Sängerin gefeierte Sopranistin ist in dieser Produktion stimmgewaltig zu erleben, Nadine Secunde in der Partie der Aksinja und im vierten Akt auch als Zwangsarbeiterin. Maxim Aksenov als blutig gepeitschter Lover Sergej vermag glaubhaft zu vermitteln, warum Katerina ihm verfällt. Köstliche Charakterstudien liefern Thomas Blondelle als Sinowij Borissowitsch Ismailow, Tobias Kaherre als Pope und Burkhard Ulrich als Schäbiger, wie auch Dana Betz Miller als Sonjetka. Der von William Spaulding einstudierte Chor, im Schlussbild in Unterwäsche, fasziniert mit Klang-Dichte und Fülle.

Bereits nach der Pause wurden das großartig disponierte Orchester der Deutschen Oper Berlin und sein GMD Donald Runnicles vom Publikum mit Ovationen überschüttet. Runnicles, der die Partitur der tragisch-satirischen Oper bereits wiederholt interpretiert hat, vermag es, die divergierenden Elemente von Satire, Groteske, Obszönität, Karikatur und Lyrik als eine lucide dramatische Einheit zu gestalten. Die abgrundtiefen Bässe dringen ebenso unmittelbar zum Nerv des Rezipienten, wie die lichten Streicher und Solobläser. Und das Publikum rezipiert den rein musikalischen Witz dieser Partitur und quittiert ihn in der Premiere mit Lachern, etwa beim orchestral genüsslichen Stöhnen und Pfurzen nach den heftigen Stößen des auch orchestral exzentrischen Liebesakts.

Voller, ungetrübter Applaus des Premierenpublikums am Ende eines großen, sehens- und hörenswerten Abends.

  • Weitere Aufführungen: 29., 31. 1., 5., 14. 2. 2015

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