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Sophie Mitterhuber (des Bauern Tochter, genannt »die Kluge«), Matija Meić (der König). Foto: © Christian POGO Zach
Sophie Mitterhuber (des Bauern Tochter, genannt »die Kluge«), Matija Meić (der König). Foto: © Christian POGO Zach
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Intelligenz + Hedonismus = Schach – „Die Kluge“ am Gärtnerplatztheater München

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Gleich zwei Komponisten wurden für die von den Freunden des Nationaltheaters geförderte „Reduzierte Fassung für 15 Instrumentalisten“ von Carl Orffs „Die Kluge“ im Studio des Gärtnerplatztheaters verpflichtet: Wilfried Hiller (geb. 1941), der heute auch als künstlerischer Leiter des Carl-Orff-Festes Andechs einer der wichtigsten Sachwalter von Orffs Vermächtnis ist, und Paul Leonard Schäffer (geb. 1987). Schlusspointe: Am Ende setzt die kluge Bauerntochter sich selbst die Krone auf und lässt den König in der Truhe – zu eher beruhigenden Klängen. Ein Bericht von Roland H. Dippel.

Um „Die Kluge“, lange Zeit ein Einnahme-Hit im Schott-Katalog, ist es in den letzten Jahre etwas stiller geworden. Vorbei sind die Zeiten, als Orffs archaisierend-versatile „Geschichte vom König und der klugen Frau“ auch an vielen bayerischen Gymnasien als semiprofessionelle Opernaufführung, Sprechstück oder Marionettenstück allgegenwärtig war. Das war sie auch an der Bayerischen Staatsoper nach 1980 an einem Abend mit Orffs Monteverdi-Einrichtung „Orpheus“, 1995 auf der großen Gärtnerplatz-Bühne mit „Astutuli“ – und jetzt?

Hier folgt eine vor allem für zahlreiche Vormittagsvorstellungen und jugendliches Publikum bestimmte Produktion und steht deshalb in Konkurrenz mit einem in den letzten Jahren stark expandierten Angebot an Kinderopern. Dieses wurde nicht zuletzt durch den Instrumentator Wilfried Hiller selbst mit zahlreichen Vertonungen nach Michael Ende, Rudolf Herfurtner und anderen erweitert. Hat „Die Kluge“ heute noch eine echte Chance? Orffs Konzept, dass seine ohne religiösen Überbau auskommende Bearbeitung des Märchenstoffes sehr gut in allen Sprachen und an allen Orten – nach der Frankfurter Uraufführung 1943 vor allem im nationalsozialistischen Deutschland – funktionieren sollte, gipfelte bekanntermaßen in einem Welterfolg, der bis kurz vor dem Millenium stabil blieb.

Es war nicht ganz klar, inwieweit Lukas Wachernig in seiner Inszenierung auf die Entstehungszeit der „Klugen“ abzielen wollte. Ihm baute Stephanie Thurmair eine Szenerie in den Farben Rot, Schwarz, Weiß. Auf blutrotem Lackboden erhebt sich ein Stufengerüst wie ein kantiger, weiter Krinolinenrock. Der Thron steht auf Taille- und Miederhöhe, darunter sind wie unter einem Netz der Kerker für den Bauer (kantabel: Christoph Seidl) und den Mauleselmann. Alle Materialien und alle Männer sind wie die Deko rabenschwarz, nachtschwarz, pechschwarz von der Sonnenbrille bis Lackmantel und Krone. Oft, natürlich mit Ausnahme der tänzerisch bewegten Rüpelszenen unter Beteiligung des für die Partie des lügnerischen Manns mit dem Maulesel allzu freundlichen Daniel Gutmann, haben etwas von der reliefartigen Strenge der berühmten Grimm-Illustrationen Otto Ubbelohdes. Nicht nur sympathisch ist die ihren hohen Part mit schöner vokaler Körperlichkeit gestaltende Kluge. Sophie Mitterhuber scheint unter breiten Brauen Eulenaugen zu haben und wirkt enigmatisch. Am Ende nimmt sie dem König die Krone, setzt sie sich vor dem Thron selbst auf. „Klug sein UND lieben kann kein Mensch auf dieser Welt.“ Unten wabert zum Gender- und Herrschaftswechsel ein Fantasien fördernder Nebel.

Ein Fantasien fördernder Nebel

Als Vorteil für junges Publikum hat diese Sichtweise, dass in der Inszenierung (und in dieser Ausführung der Neuinstrumentierung) die von Orff in Text, Partitur und Regieanmerkungen geforderte wilde Erotik entbehrlich ist. Nach der Rätselszene gibt es kein Anzeichen dafür, dass der König von der Klugen animalisch Besitz nimmt. Education-freundlich überspringt das Paar die Ekstase und spielt sofort Schach. Sogar das könnte eine sinnliche Farbe gewinnen, aber nicht hier. Möglicherweise liegt es an Juan Carlos Falcon, der als Mauleselmann kein bisschen trottelig ist und betörend singt, dass man ihn für den potenziell besseren Partner der Klugen halten könnte. Matija Meić als König bleibt sogar beim kräftigsten Aufbäumen der Musik ohne brachiale Herrscherpose.

Das liegt auch an der Orchesterbox hinter der Spielfläche des Studios, wo das Ensemble aus dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz sehr gepflegt und minimal gedämpft klingt. Dynamisch bleibt es sogar hinter dem zahmen Aufdonnern der drei Strolche (Gyula Rab, Stefan Bischoff, Holger Ohlmann) zurück. Einiges kommt bei Andreas Kowalewitz leichter und zügiger als gewohnt, so die Intrada zur Rätselszene und das hymnische Ritornell vor dem Finale. Die Freude hält noch an, wenn Orff im Mittelteil und bei der falsch verlaufenden Gerichtsszene Renaissance-Musik simuliert und so manche rhythmischen oder harmonische Feinheiten besser hörbar sind als mit großer Besetzung in einem großen Saal. Doch zum Ende hin wird das Klanggeschehen eine Spur zu leicht, selbst wenn es im großen Solo der Klugen durch die Neuinstrumentation eine bemerkenswert sanfte, neue Farbe gibt. Aber für eine genderkorrekte „Kluge“ wäre die in Orffs Höhepunktsmomenten steckende Animalität und Gewalt höchstwahrscheinlich unangemessen.

Viel Applaus von einem Publikum, das sich über „Die Kluge“ auch deshalb freute, weil viele Anwesende Zeuge eines Musikstrahls waren, der von diesem Werk Orffs über Wilfried Hillers „Goggolori“, der am Gärtnerplatz 1985 uraufgeführt wurde, und einige musikdramatische Muster Orff weiterdachte, bis nach Andechs reicht, wo „Die Kluge“ 2018 ihre bisher letzte Wiederaufführung erlebte.


Die Kluge. Oper – Musik und Libretto von Carl Orff Nach dem Märchen „Die kluge Bauerntochter“ der Gebrüder Grimm – Reduzierte Fassung für 15 Instrumentalisten von Wilfried Hiller und Paul Leonard Schäffer im Auftrag des Staatstheaters am Gärtnerplatz –  Uraufführung der reduzierten Fassung am 2. Oktober 2019 (Uraufführung des Originals am 20. Februar 1943 an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main)

Musikalische Leitung: Andreas Kowalewitz / Oleg Ptashnikov – Regie: Lukas Wachernig –  Bühne und Kostüme: Stephanie Thurmair – Licht: Jakob Bogensperger – Dramaturgie: Michael Alexander Rinz / Der König: Matija Meić – Der Bauer: Christoph Seidl/ Levente Páll –  Des Bauern Tochter: Sophie Mitterhuber – Der Kerkermeister: Martin Hausberg – Der Mann mit dem Esel: Juan Carlos Falcón – Der Mann mit dem Maulesel: Daniel Gutmann – Erster Strolch: Gyula Rab – Zweiter Strolch: Stefan Bischoff – Dritter Strolch: Holger Ohlmann / Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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