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Benedikt Kristjánsson (Tenor, Tagebuch eines Verschollenen). Foto: Ruth Walz
Benedikt Kristjánsson (Tenor, Tagebuch eines Verschollenen). Foto: Vicent Stefan
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Janácek und Poulenc ineinander verschränkt, am Ende gleichzeitig – „Tagebuch eines Verschollenen“ und „La Voix humaine“ in der Werkstatt der Berliner Staatsoper

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So neu ist der Versuch, zwei musikdramatische Themenbereiche musikalisch miteinander zu verweben, nicht: der Praxis der Intermedien im barocken Theater folgte das Denkspiel einer quasi gleichzeitigen Aufführung von Tragödie und Komödie in Hofmannsthals „Ariadne auf Naxos“, von Richard Strauss als dem Komponisten beider Fachbereiche interpolierend umgesetzt. Eine Steigerung erfolgte durch die in die Uraufführung von Szenen aus Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns Oper „Liebe und Eifersucht“ integrierten Szenenblöcke aus Judith Weirs Hoffmann-Oper „Heaven Ablaze in His Breast“, 2002 auf dem Flaggenhof der Plassenburg in Kulmbach durch das Ensemble des pianopianissimo-musiktheaters, vom Publikum durch das erforderliche, geschärfte jeweilige Umhören auf Musikstile aus zwei Jahrhunderten als besonders spannend rezipiert.

Die Staatsoper Berlin collagierte nun zwei Werke aus dem 20. Jahrhundert, Leoš Janáceks „Tagebuch eines Verschollenen“ (1919) und Francis Poulencs „La Voix humaine“ (1959). 

Janácek hatte sein „Tagebuch eines Verschollenen“ zeitweilig selbst als ein Projekt für die Bühne vorgesehen, ließ es aber unorchestriert. Erst postum wurde die originale Klavierfassung für zwei Solostimmen und Frauenchor instrumentiert. Poulencs häufig aufgeführte und aufgrund ihrer Kürze mit anderen Einaktern kombinierte „Menschliche Stimme“, auf ein Libretto von Jean Cocteau, wurde sowohl mit Orchester als auch mit Klavier häufig zur Aufführung gebracht.

Da beide Kompositionen, Janáceks Liederzyklus und Poulencs Kammeroper von einsamen Menschen handeln, die sich an einen nicht erreichbaren oder gar nicht mehr existierenden Partner wenden, schien die Kombination aus beiden Stücken ein interessanter Versuch, die Adressaten zu ergänzen. Dirigent Günther Albers ist als Bearbeiter noch einen Schritt weiter gegangen und hat beide Werke ineinander verschränkt. Zehnmal springt seine Fassung zwischen beiden Partituren hin und her.

Die Übergänge sind teilweise verblüffend, allerdings auch unter mehrfachem Verzicht auf Takte der Originalvorlagen, einige sind nur durch die Einspielung von Atmosphäre, Außenwelt, Windesrauschen, Wassertropfen, machbar. Diese Aufnahme, mit welcher der knapp neunzigminütige auch Abend beginnt, ist arg retardierend. Spannender sind einige vom Pianisten selbst gestartete Toneinspielungen, die Albers zuvor mit der Staatskapelle eingespielt hat, glückliche Erinnerungsmomente der Frau, in zumeist spätromantischem Duktus, einmal, bei „Ich höre Musik!“ besonders treffend – als ein Jazzmusikeinschlag.

Der kommentierende Frauenchor bei Janácek ist reduziert auf ein Vokalterzett (Caroline Seibt, Lea Haselmann, Verena Allertz), das aus dem Gang im ersten Stock hallig durch eine spaltbreit geöffnete Tür klingt. Die in Originalsprache gesungenen Kompositionen können die Besucher in der Werkstatt der Staatsoper im Schiller Theater auf einem Monitor in Übersetzung (Poulenc) oder Zusammenfassung (Janácek) mit verfolgen.

Der Tenor Benedikt Kristjánsson als Janek und die Altistin Carolin Löffler in den Rollen der verlassenen Frau, sowie des Zigeunermädchens Zefka, überzeugen in darstellerischer Gestaltung und bewegen sich stimmlich auf Staatsopern-Niveau.

Ausstatter Stephan von Wedel hat für die beiden Protagonisten zwei von Leuchtstoffröhren umrandete Podeste inmitten des Publikums positioniert, in Einrichtung mit Tisch und Kinderstühlchen und Holzgeviert-Balkenaufbau, identisch bis auf den bei der Frau fehlenden Dachgiebel (was uns das wohl sagen soll?).

Nur einmal tauschen Beide die Räumlichkeiten, sie liest im Tagebuch von Janek, er nippt an ihrem Likör. Als Zigeunermädchen legt sie große Ohrringe an und ihr Oberkleid ab. Später greift der Mann zum hölzernen Revolver, dessen Einsatz die Frau offenbar auch erwogen hat, aber sie zieht es in der Neuinszenierung vor, sich zu betrinken.

Das Telefon auf dem Tisch der Frau kommt in der dichten Regie von Isabel Ostermann erfreulicherweise nur einmal kurz zum Einsatz. Der einseitige Dialog mit dem Mann, der sie verlassen hat, ist ja ohnehin eine Psychose. Und Beide, die sich umbringen wollten, überleben.

Am Ende gewinnt die musikalische Fassung Albers’ die Oberhand: beide Musiken überlagern sich, sie singt Karaoke zum vorproduzierten Orchester, er dazu mit Klavierbegleitung. So entsteht ein Duett zweier doch recht unterschiedlicher Komponisten aus den beiden Hälften des vergangenen Jahrhunderts.

Die Premiere in der Werkstatt der Staatsoper wurde vom Premierenpublikum freundlich aufgenommen und von einem Teil über Gebühr bejubelt.

  • Weitere Aufführungen: 8., 12., 14., 22. und 23. November 2014

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