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Kiveli Dörken, Dimitris Triyfon, Danae Dörken, Founders of the Molyvos International Music Festival. Foto: © Olga Saliaboukou
Kiveli Dörken, Dimitris Triyfon, Danae Dörken, Founders of the Molyvos International Music Festival. Foto: © Olga Saliaboukou
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Kammermusik unter Freunden: Das Molyvos International Music Festival

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Am äußersten Rand von Europa, auf der griechischen Insel Lesbos kurz vor der türkischen Küste, hat im August bereits zum fünften Mal das Molyvos International Music Festival stattgefunden. Zur gleichen Zeit ist die Insel Lesbos aus ganz anderen Gründen wieder in den Schlagzeilen, denn die Zahl der Flüchtlinge, die von der nahen Türkei übers Meer nach Lesbos kommen, hat sich wieder dramatisch erhöht und nähert sich den Zahlen von 2015 – dem vorläufigen Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Regine Müller mit einer Reportage vom Rand der Zivilisation.

Die Lager auf der Insel sind hoffnungslos überfüllt, daher plant die griechische Regierung derzeit, mindestens 1500 Migranten vom völlig überfüllten Flüchtlingscamp aufs griechische Festland zu bringen.

Kammermusik und Flüchtlingskrise: Schwer vorstellbar, dass sich beides parallel ereignet auf dieser Insel, die vom Tourismus lebt. Die aber auch weitgehend autark ist, weil sie sich selbst ernähren kann, mit ihren 11 Millionen Olivenbäumen das beste griechische Olivenöl herstellt und außerdem führend ist bei der Ouzo-Produktion. Tatsächlich gibt es seit Anbeginn Berührungspunkte zwischen dem Festival, seiner Geschichte und programmatischen Ausrichtung und der Flüchtlingskrise. Doch davon später.

Ein ziemlich ausgefuchstes Konzertprogramm

Hauptaustragungsort des Festivals ist die byzantische Burg über der mittelalterlich anmutenden, malerischen Stadt Molyvos an der Nordküste der Insel, nur etwa fünf Seemeilen vom türkischen Festland entfernt. Dort fanden sich nun bereits zum fünften Mal hochkarätige Musikerinnen und Musiker ein, um gemeinsam mit den beiden Gründerinnen und Leiterinnen des Festivals, den Pianistinnen Danae und Kiveli Doerken Raritäten der Kammermusik in den abendlichen Konzerten zu präsentieren. Das programmatische Motto des diesjährigen Festivals lautete „Dia-Logos“, also Dialog. An den vier Haupttagen des Festivals stehen die Programme im Zeichen des dialektischen Dreischritts-These (Konzerttitel „Chaos & Order“) – Antithese („War & Peace“) – Synthese, unterbrochen durch Dialog („Apollo & Dionysos“) und Versöhnung („Hope & Despair“). Ein ziemlich ausgefuchstes Konzertprogramm unter anspruchsvoller Dramaturgie, bei der auch Zeitgenossen (unter anderem eine Auftragskomposition des griechischen Komponisten Nickos Harizanos) erklingen, ansonsten Raritäten von Josef Suk, Paul Juon, Francis Poulenc, Tomaso Antonio Vitali, Jean-Féry Rébel, Iannis Xenakis und selten zu hörendes von Mozart, Fauré und Dvorak.

Die Musikerinnen und Musiker sind sämtlich einquartiert im Hotel „Delfinia“, das etwa 1,5 km vom historischen Ortskern am Meer liegt. Auf den Fluren des Hotels wähnt man sich bereits in den Morgenstunden in einer Musikhochschule. Hinter jeder Tür wird geübt oder geprobt. Obwohl nur einen Steinwurf entfernt bei hochsommerlichen Temperaturen das Mittelmeer lockt. Aber die 26 Musikerinnen und Musiker, die von Danae und Kiveli Doerken zum Festival eingeladen worden sind, erarbeiten ihre Konzertprogramme erst hier auf der Insel. Und neben den Proben spielen sie täglich in den gewundenen Gassen und Treppenaufgängen, im Hafen, auf Restaurantterrassen oder im Hafen spontan wirkende Straßenkonzerte, mitten im Getümmel der Altstadt. „Molyvos Musical Moments“ heißt das Kurz-Format, bei dem sich beispielsweise der hoch gehandelte Geiger Christian Tetzlaff nicht zu schade ist, zwischen Restaurant-Tischen und umgeben von knatternden Motorrädern und klapperndem Geschirr aufzuspielen.

Die Initiatorinnen des Festivals kennen die Insel und den Ort Molyvos seit ihrer Kindheit, denn sie verbrachten hier stets ihre Ferien im Haus der Großmutter. Die Idee, Musik auf die Urlaubsinsel zu bringen, schwelte lange in dem zupackenden Schwestern-Paar. Schließlich ließen sie sich von ihrem Lehrer Lars Vogt und dessen Festival „Spannungen“ in Heimbach in der Eifel inspirieren und schufen nach diesem Vorbild ihr eigenes Kammermusikfestival. Kiveli Doerken betont die Gemeinsamkeiten: „Eine ungewöhnliche Location, da ist es ein Wasserkraftwerk, hier ist es eine byzantinische Burg. Auch hier geht es nicht darum, irgendwelche „große“ Namen einzuladen, sondern Freunde, Leute, mit denen man sich auch verbunden fühlt, oder das Gefühl hat, dass man sich verbunden fühlen könnte. Und ganz wichtig ist, dass wir hier zusammen vor Ort proben, dadurch entsteht diese Spontaneität und dieses Feuer.“

Kein Festival der Stars

Das Molyvos-Festival ist kein Festival der Stars mit ihren festen Tour-Programmen, sondern ein Festival, bei dem der Probenprozess und das Miteinander im Mittelpunkt stehen. Danae Doerken hält die menschliche Ebene für entscheidend: „Ich glaube, gerade bei einem Kammermusikfestival ist das ziemlich essentiell. Kammermusikwerke sind ja etwas sehr Intimes, man teilt sehr innige Momente auf der Bühne, und da ist es schon wichtig, dass man sich der Person verbunden fühlen kann. Ich glaube, das macht auch die Atmosphäre hier so besonders. Denn man verbringt wirklich den ganzen Tag zusammen, wir gehen essen, wir gehen an den Strand und später nach dem Konzert gehen wir zusammen feiern.“ 

Der Tag ist gut ausgefüllt, morgens Proben, nach der Mittagspause geht es gleich weiter mit Proben oder einem der kurzen Stehgreif-Konzerte in der Altstadt, vor dem späten Abendkonzert bleibt nur wenig Zeit für den Strand. Dennoch gibt es etliche Wiederholungstäter unter den Musikern, die immer wieder kommen. Wie der Bratscher Lech Antonio Uszynski, der seit Anbeginn dabei ist. „Ich komm gern zurück, weil ich mich ein bisschen wie zuhause fühle. Das ist der erste Anreiz. Der zweite sind die spannenden Programme, die die Schwestern hier auf die Beine stellen. Es ist nicht konventionell, hier werden keine Gassenhauer gespielt. Es wird wirklich sehr, sehr klug programmiert.“

Lustvolle musikalische Kommunikation

In Molyvos gewinnt man sehr schnell den Eindruck, dass die Musiker dort ganz zu sich kommen. Es wird zwar viel geprobt, aber natürlich können für komplexe Werke wie etwa Dvoraks Klavierquartett in Es-Dur keine bis ins Letzte ausgefeilten Interpretationen entstehen. Das ist auch gar nicht das Ziel der Arbeit. Es geht vielmehr um die lustvolle musikalische Kommunikation unter den Musikerinnen und Musikern, die sich teils vorher nicht kannten und nun in immer neuen Kombinationen mit Werken aufeinandertreffen. Bei den Proben und Konzerten bemerkt man schnell die intensiven Blickkontakte, die ausgeprägte Körpersprache, die der Verständigung dient und Spontaneität ermöglicht. Man kann hier also der Musik bei der Arbeit zuschauen und hören. Die Interpretationen geraten allesamt intensiv und zutiefst musikantisch. Tatsächlich ist man hier eines Sinns. Danae Doerken kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: „Das ist vielleicht so ein bisschen die Essenz des Musikmachens, die wir hier in den Fokus stellen wollen. Bewusst weg vom Musik-Betrieb können wir uns hier der Frage widmen: wofür machen wir eigentlich Musik? Wir brauchen eine Zeit im Jahr, in der es wirklich nur darum geht. Die Musiker sind offen für Stücke, die sie vorher noch nie und ganz sicher nachher nie wieder spielen werden. Man muss sich wirklich darauf einlassen. Und wenn man das tut, dann entstehen magische Momente.“

In der Tat hört man beim Festival fast nur Raritäten, die sonst nirgends auf dem Programm stehen, wie etwa das Oktett von Ferdinand Ries, das zum Abschlusskonzert auf der Burg gegen starken Wind ankämpfen muss.

Das Engagement der Schwestern für die Insel betrifft nicht nur das sommerliche Festival. Übers Jahr erstrecken sich auch zwei Education- Programme: Zum einen gehen die Schwestern in die Schulen der Insel, um den Kindern Musik nahe zu bringen. Und darüber hinaus gibt es ein Workshop-Programm, in dem Schüler die Grundlagen des Musikmanagements lernen. Sie organisieren selbst Konzerte und gehören im Sommer zu den vielen freiwilligen Helfern des Festivals. Danae berichtet: „Sie identifizieren sich damit, wir sehen das manchmal auf ihren Instragram-Accounts, wenn sie sich selbst beschreiben: Part of the Molyvos Festival Family.“

Als das Festival vor fünf Jahren startete, fiel die erste Ausgabe zusammen mit dem Beginn und Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Zu tausenden kamen Flüchtlinge auf Lesbos an, die Bilder gingen um die Welt und vertrieben alsbald die Touristen. Die Insel wurde überrascht von den Massen und war nicht vorbereitet, es gab keinerlei Infrastruktur und noch keine Plätze für die Flüchtlinge. Danae erinnert sich: „Im ersten Jahr hat sich der Kontakt ganz natürlich und organisch ergeben. Die Flüchtlinge haben teilweise in Molyvos auf dem Schulhof übernachtet. Und die Musiker haben einfach mitgeholfen und versucht, ihren Teil zu leisten. Gerade im ersten Jahr sind die Flüchtlinge teilweise auch ins Konzert gekommen. Es war ein unglaubliches Miteinander, was uns dann auch sehr geprägt hat und uns auch die Idee gegeben hat für die nächsten Jahre: Wir versuchen, genau das aufrecht zu erhalten. Eben, dass man in der Musik gleich ist, dass es da keine Unterschiede gibt. Das klingt jetzt sehr klischeehaft, aber in dem Moment hat man das halt wirklich erleben können.“

Musik soll immer zum Denken anregen

Die Stimmung auf der Insel ist zwiespältig, die Flüchtlingen sind zwar unsichtbar, weil sie abgefangen und sofort in die Flüchtlingslager gebracht werden. Aber nach den Bildern der ersten Flüchtlingswelle blieben die Touristen aus und zudem gibt es nach der Air Berlin und Germania Pleite aus Deutschland keine Direkt-Flüge mehr nach Lesbos. Kontakt zu den Flüchtlingen ist heute kaum mehr möglich, berichtet Danae: „Wir haben vielleicht im Moment keinen Zugang zu den Flüchtlingen direkt, das wird uns verwehrt, aber wir haben Zugang zu den Leuten, die hier wohnen. Mit unserem Festivalmotto ‚Dialog‘ geht es uns darum, zu versuchen, ihnen zu zeigen, wie positiv Dialog ist. Dass man mit offenen Armen dastehen muss, und dass Vielfalt etwas Bereicherndes ist. Man muss halt eben da ansetzen, wo man kann.“

Kiveli präzisiert die Dramaturgie: „Wir wählen jedes Jahr ein Thema, das uns nicht nur musikalisch relevant und umsetzbar scheint, sondern vor allem auf einer menschlichen und sozialen Ebene funktioniert, auch für den Ort. Und das ist ja dieses Jahr der Dialog, sicherlich auch inspiriert durch die Nachrichten und alles, was geschieht, und natürlich auch weil, Kammermusik, Musik generell Dialog ist. Und die dritte Komponente, die uns wichtig war: Musik soll immer zum Denken anregen, nicht nur zum Dialog mit anderen, sondern auch zum Dialog mit sich selbst.“


  • Die Autorin besuchte das Festival auf Einladung (inklusive Flug, Hotel und Mahlzeiten) des Molyvos International Music Festival. Mehr Informationen zu den Leitlinien der nmz finden Sie hier.

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