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Mária Celeng (Luisa), Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Jean-Marc Turmes
Mária Celeng (Luisa), Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Jean-Marc Turmes
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Kindertrauma in der Diktatur – Verdis „Luisa Miller“ im Münchner Gärtnerplatztheater

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Derzeit häufen sich die Bilder: Kinderaugen starren aufs zerstörte Zuhause; Kinder stehen stumm in Zeltstädten; Kinder werden von Horrorszenen weggezogen; Kinder sitzen in gesicherten Schulzimmern mit leeren Gesichtern – Traumatisierung ganzer Generationen in derzeitigen Kriegen und durch Gewaltherrschaft allenthalben. Dass das vermeintliche Fossil „Oper“ sehr viel mit Hier und Heute zu tun hat, beweist die Neuinszenierung eines frühen Verdi von 1849.

Ein Metallkreisel steht vor dem schwarzen Vorhang. Ein kleines Mädchen kommt zu den ersten Takten der Ouvertüre von Verdis „Luisa Miller“ von links, ein kleiner Junge mit angeberischem Zylinder auf dem Kopf von rechts. Ein Blick – und es funkt – fürs ganze Leben. Nach ein wenig Spiel beider mit dem Kreisel fährt der Vorhang hoch. In einem öden Raum liegen Soldaten tot und rotieren zeitlos auf der Drehbühne, während die beiden Kinder Hand-in-Hand durch diese „Traumlandschaft“ gegangen kommen. Dann treten vorne links und rechts zwei uniformierte Generalstypen auf; Spannung und Rivalität bauen sich auf; der Typ rechts hat einen gefährlichen Handlanger dabei, beide ziehen die Pistole und der Typ links wird erschossen – was der kleine Junge genau beobachtet. Dann erheben sich die Soldaten, treten an und die neue Herrschaft übernimmt die Macht. Ende der Ouvertüre.

Nach dem Übertitel-Signal „Jahre später“ ist das helle Bühnenrund hinten von zwei großen Wänden begrenzt, deren Rückseiten das stabilisierende Metallgestänge zeigen – und im zweiten Blick auch etwas von Grenzgittern haben… Darin singt ein bürgerlicher Chor von Hochzeit und Luisa wird als kommende Braut mit Blumen überschüttet. Ihr Kindheitsfreund „Carlo“, in Wahrheit der Sohn Rodolfo des Machthabers, ist der Bräutigam und darf zum Missfallen von Luisas Vater Miller mitfeiern. All das beobachtet der Handlanger des Machthabers mit eifersüchtig gehässiger Kälte – es ist Wurm … und von da an verläuft die Handlung auf den Schienen von Schillers „Kabale und Liebe“. Verdi hatte das Drama um die tödlich scheiternde Liebe zwischen Bürgermädchen und Adelssohn in der französischen Fassung von Alexandre Dumas Vater kennen-, ja schätzengelernt, und die eingehende Zusammenarbeit mit dem glänzenden Librettisten Salvadore Cammarano steigert sich zu einem musikdramatisch fesselnden Finale.

Regisseur Torsten Fischer, der in München die überzeugendste „Aida“ der Nachkriegsoperngeschichte inszeniert hat (vgl. nmz.de online vom 26.02.2014), konnte auch diesmal mit seiner zeitlosen Aktualisierung weitgehend beeindrucken. Abstriche lediglich bei der Überzeichnung von Wurm mit Vampir-Gothic-Äußerem und Stummfilm-Expressionismus bis hin zu seinem wenig motivierten Selbstmord am Ende (Timos Sirlantzis mit guten Bass-Tönen). Auch die Drehungen der großen Bühnenwände mit dem Bild einer sanft zur Seite blickenden Frau im hellen Kleid wirkten bemüht umständlich und konnten die eventuelle Intention „Frauen und-oder Mütter fehlen“ nicht beglaubigen. Dafür überzeugte die Idee mit den traumatisierten Kindern (Elas Mackensen und Titus Maximilian Rinz), die mehrfach zu den erwachsenen Luisa und Rodolfo als Erinnerung hinzutraten: Kreisel-Wunsch zurück und doch auch Mord-Erlebnisschrecken.

Dafür waren die Figuren sonst klar kostümiert und geführt. Das steigerte sich von der selbstbewusst rivalisierenden und dann einsichtig zurücktretenden Herzogin Federica von Anna Agathonos mit schönem Mezzo sowie dem zwischen Macht- und Vater-Strategie zerrissenen Grafen Walter von Inho Jeong. Sein kerniger Bass kontrastierte zu dem seines machtgierigen Handlangers Wurm und zu der dramatischen Fülle, mit der Matija Meićs schier überbordender Bariton Luisas Vater Miller gestaltete. Prompt wies beider letztes großes Duett mit dem Flucht-Entschluss voraus auf die großen Bariton-Sopran-Szenen in „Rigoletto“ und „La Traviata“. Diesen insgesamt beeindruckenden Stimmen war auch zu danken, dass die Rarität des Werkes, das a-capella-Quartett von Luisa, Walter, Wurm und Federica, gut gelang. Das war auch ein Verdienst des ehemaligen Musik-Chefs des Hauses, von Dirigent Anthony Bramall. Natürlich übersteigt der Gesamtklang von Chor (Einstudierung Pietro Numico), Orchester und Solisten im dann doch „kleinen“ Gärtnerplatztheater etliche Male das übliche Maß, doch den – nach 1848 bis heute gültigen – Tutti-Schrei „Es gibt einen Gerechten, Allmächtigen, der seine schützende Hand über die Armen hält“ hat Verdi mit „tutta forza“ gekennzeichnet. Und der bald ins „Ensemble Staatstheater Karlsruhe“ gehörende kirgisische Tenor Jenish Ysmanov verstrahlte oft schöne Tenor-Männlichkeit und dann in seiner großen Romanze „Quando le sere al placido“ auch den Weltschmerz des Heißsporns, das von Verdi geforderte „appassionatissimo“. Große, leidenschaftliche und leidende Töne kann auch die für das Mädchen Luisa etwas reife Jennifer O’Loughlin, aber auch die sprachliche Gewalt des Dramas umformen in und entfalten als lyrischen Zauber. Der unbändige Schlussjubel erzwang nach der  x-ten Verbeugung, dass der schwarze Vorhang doch wieder hochfahren musste: dieser 36jährige Verdi war einfach ein Genie!

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