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Merja Mäkelä und Lydia Ackermann in Kaija Saariahos „Adriana Mater“ in Osnabrück. Foto: Klaus Fröhlich
Merja Mäkelä und Lydia Ackermann in Kaija Saariahos „Adriana Mater“ in Osnabrück. Foto: Klaus Fröhlich
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Klanggespür für ein Versöhnungswerk: zur deutschen Erstaufführung von Kaija Saariahos „Adriana Mater“

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Bei „Adriana Mater“, der zweiten Oper der in Paris lebenden finnischen Komponistin Kaija Saariaho handelt es sich um ein von zeitgeschichtlicher Aktualität genährtes und – auf eigenwillige Weise – für die Sache der Frauen engagiertes Stück. Der Tonsatz, handwerklich durchgefeilt, entfaltet auch in Osnabrück sein spätexpressionistisch-prächtiges Dräuen und weist diskrete Referenzen zur musterhaft finnischen Musik von Jean Sibelius auf.

Saariahos Sound betört mit fein gewirkten Klangschwebezuständen. Er bringt den Chor zu jener Wirkungsmacht, die er bereits in der Antike gehabt haben dürfte, und setzt einprägsame motivische Charakteristika in den Partien der Solisten fest.

„Adriana Mater“ bezog Stoff und Aura nicht von Alten Meistern, sondern vertraute auf einen neu und mit aktueller Bodenhaftung angefertigten Text. Das unterscheidet diese 2006 in Paris uraufgeführte Arbeit von den meisten Literatur-Opern, die in den letzten Jahren zu Wirkung gelangten und es mit Euripides, Goethe, Grillparzer, Nietzsche oder Hans Henny Jahnn hielten. Im Libretto des aus dem Libanon stammenden Jesuiten-Zöglings Amin Maalouf geht es um eine Frau als Opfer in Kriegszeiten. Dass seit Menschengedenken in allen Kriegen vergewaltigt wird und Soldaten zu Mördern werden, ist bildungsweise bekannt. Mit diesem ambitionierten Werk werden die häßlichen, „höllischen“, wiederum Hass gebärenden Erfahrungen der lebenslustigen Adriana und ihres aus dem Vergewaltigungsakt resultierenden Sohnes Yonas fokussiert. Der Pubertierende will von seiner Mutter – nicht anders als Richard Wagners Jung-Siegfried von seinem Ziehvater Mime – die Wahrheit über seine Herkunft wissen. Als Yonas sie erfährt, droht sich seine hilflose Wut im Mord am Vater zu entladen. Die Mutter geht davon aus, dass sie ihn ggf. nicht hindern kann, ihre Schwester Refka liegt ihm in den Ohren, dass er sich nur selbst unglücklich mache. Sie leitet dadurch die „Wende“ in einer Handlung ein, die erkennbar über den zur Diskussion gestellten Einzelfall hinauszielt.

Andrea Schwalbach und ihre Ausstatterin Nanette Zimmermann vermieden bei der Deutschen Erstaufführung in Osnabrück die bei der Uraufführung herbeizitierte Balkan-Folklore. In einem Raum, der an den Großen Sendesaal von Radio Sarajewo erinnert, lassen sie das noch keineswegs historische Unrecht verhandeln. Hinten oben sieht man auf den ansteigenden Podien Hermann Bäumer mit dem Orchester arbeiten, davor drei Reihen Choristen sich gelegentlich in die Handlung einmischen. Vorn und im mit Gerümpel vollgestellten Orchestergraben singen Merja Mäkelä und die anderen drei Protagonisten von ihren Gefühlen. Die ziemlich neutrale Versuchsanordnung stellt Distanz zum blut- und bodenverhafteten Text her.

Deutlich und doch mit gebotener Diskretion zeigt Regisseurin Schwalbach den Schreckmoment der sexuellen Nötigung. Mit einfachen klaren Gesten werden auch die vatermörderischen Tötungsabsichten des Sohns samt den Anspielungen auf Freuds Oedipus-Komplexionen veranschaulicht, dann auch die Gnade von Katharsis und Vergebung. Der Apostel Paulus hakt sich beim Konjunktiv ein („ich hätte sollen …“) und Maalouf schlüpft bei Goethes „Faust“ unter (der Junge hat sich am Ende nicht „gerächt“ und dadurch sei er „gerettet“). Beim finalen Wetteifern ums Gutmenschentum konkurrieren Lydia Ackermann mit lupenreinem kräftigem Sopran, Bernardo Kim mit Stentorstimme und Genadijus Bergorulko, der sowohl den menschlich entwurzelten jungen Soldaten wie den vom Leben betrogenen Veteranen vorzüglich darstellt. Auch der Chor (Einstudierung: Holger Krause) meistert die ihm zugedachte anspruchsvolle Aufgabe mit Verve.

Das Handicap dieser vom Ansatz her sehr begrüßenswerten „Zeitoper“ bleibt, dass sie Krieg und sexuelle Gewalt lediglich als individuell traumatisierend kolportiert. Leute, die gut gesichert weit ab von allen Fronten ihre mittelständischen Existenten fristen, führen Kriegsfolgen als „rein persönliches“ Schicksal vor. Sie rufen, ganz auf vier familiär miteinander verknüpfte Individuen gestützt, Schuld und Sühne, Katharsis und Vergebung auf und zeitigen dann im Verbund mit einer tief traditionsgenährten „schönen“ Musik erhebliche emotionelle Wirkung. Das Problem bleibt, dass der Krieg nicht so fromm denkt wie der Librettist, sondern brutaler und unberechenbarer bleibt. Vor allem ist er nicht so schön wie das Klangband, das sich nach den moderneren Jugendjahren der Komponistin Saariaho nun ganz postmodern dem Text entlang windet.

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