Hauptbild
Probenfoto Lohengrin. Sarah Maria Sun © OFS/Creutziger
Probenfoto Lohengrin. Sarah Maria Sun © OFS/Creutziger
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Klanglandschaften aus Erinnerungen und Sehnsucht: Seelensuche in Salzburg

Publikationsdatum
Body

Das halbe Jahrhundert Osterfestspiele Salzburg feiert fünf Jahre Sächsische Staatskapelle: Die Salzburger Schönheit steht sicherlich nicht im Schatten der Berge ringsum. Sie sonnt sich in deren Nähe und an der pittoresken Idylle der Salzach. Kein Wunder, dass hier, wo Meister Mozart herstammt, im 20. Jahrhundert ein Festival nach dem anderen ins Leben gerufen worden ist.

Was seit 1920 des Sommers mit den Salzburger Festspielen begann, hat inzwischen derart viele Begleiter und Satelliten gefunden, dass die schöne Stadt fast ganzjährig im Festspielmodus und von Schönklang erfüllt ist. Musik tönt hier nahezu rund um die Uhr. Nicht nur wegen des Mozarteums.

Vor einem halben Jahrhundert war das noch anders, da fand Herbert von Karajan offenbar eine Markt- und Musiklücke, in die er 1967 die Osterfestspiele setzte. Mit deren 50. Jubiläum dürfte der jetzige Intendant Peter Ruzicka rundum zufrieden sein, denn die seit nunmehr fünf Jahren hier auftretenden (und inzwischen durchaus hier heimischen) Musikerinnen und Musiker der Sächsischen Staatskapelle um ihren Chefdirigenten Christian Thielemann, der Simon Rattle als Künstlerischen Leiter beerbte, haben wieder einen famosen Jahrgang absolviert. Da der auch als Komponist und Dirigent kundige Intendant jedoch als äußerst penibel gilt, dürfte er hier und da noch nicht ausgeschöpftes Potential klanglicher Perfektionierung ausgemacht haben.

Nahezu uneingeschränkt opulent und dennoch beinahe kammermusikalisch gezeichnet wirkte die Eröffnungspremiere mit Richard Wagners „Walküre“ ((nmz-online.de 10.4.)). Deren historisches Bühnenbild - und hier vor allem die gewaltige Weltesche – wurde zum symbolischen Klangbild des Jubiläums. Auch in Symposien und einer Ausstellung wurde es eingehend reflektiert.

Kein Schwan, nirgends

In optisch wie klanglichem Kontrast dazu stand dieses Jahr erstmals ein Kammeropernprojekt (soll künftig fortgeführt werden), dessen Titel „Lohengrin“ in die Irre lenkte - jedenfalls den flüchtenden Besucher, der einen Ausflug in Wagners Welt des Schwanenritters erwartet haben mag. Er floh mit leider ansteckender Wirkung. Denn auf dieses Melodram von Salvatore Sciarrino braucht man sich nur etwas intensiver einzulassen, schon ist man davon gefangen. Ein Klangkosmos, der sich vor allem in Elsas Kopf abspielt, nachdem sie ihren Lebenstraum ablegen sah. Zu spät, um die berühmte Frage nach dem Namen zu bereuen, zischt und faucht und lacht und winselt sie – eindrücklich umgesetzt durch die Sopranistin Sarah Maria Sun – einer Erlösung entgegen, die Utopie bleiben wird.

Kein Schwan, nirgends, aber ein gefleddertes Federkissen; kein Ritter irgendwo, aber ein ersticktes Kind. Klein-Lohengrin vielleicht? Regisseur Michael Sturminger, fand in dieser Sänger-Darstellerin die perfekte Else und für Sciarrinos Stück stringente Spielideen. Dass in ihm der nächste „Jedermann“-Regisseur für die Sommerfestspiele gefunden worden ist, lässt hoffen. Bei Peter Tilling und dem Österreichischen Ensemble für Neue Musik lag dieses sperrige Opus in besten Händen. Und die Landschaft dieser mit Monteverdi-Zitaten begonnenen Hörbilder? Von Renate Martin und Andreas Donhauser in eine Villa mit Weitblick versetzt, die freilich rasch als Gefängnis der geschundenen Seele entlarvt werden wird.

Große Räume eröffneten hingegen die Berliner Philharmoniker unter ihrem Noch-Chef Simon Rattle, die zum Jubiläum mal eben aus ihrem Luxus-Exil Baden-Baden eingeflogen worden sind, um die tragischen Bildwelt der 6. Sinfonie von Gustav Mahler in Töne zu schichten. Da wurde ein imposanter Bau erschaffen, an dem ein durch und durch homogener Klangkörper mitgewirkt hat.

Ganz so massiv wirkte zuvor die 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens leider nicht, die von den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann mit Teilen der Solistenbesetzung aus Wagners „Walküre“ angestimmt worden ist. Den Schlusssatz aber mit Anja Harteros, Christa Mayer, Peter Seiffert und Georg Zeppenfeld zu hören, war ein Vergnügen für sich, das auch die etwas brave Chorgestaltung durch den Wiener Singverein nicht schmälerte.

Tönende Räume und Welten

Deutlich mehr Brillanz wusste hingegen der Chor des Bayerischen Rundfunks in Gabriel Faurés Requiem unter der gewohnt schroffen Leitung von Myung-Whun Chung auszustrahlen. Der Erste Gastdirigent der Dresdner Kapelle versteht es, mit kleinsten Gesten Großes zu zaubern. So auch in der Orgelsinfonie von Camile Saint-Saens, die er als prächtig blühende Landschaft ertönen ließ. Der solistische Anteil an der Pracht dieses Abends - Sopranistin Anna Prohaska und Bariton Adrian Eröd bei Fauré, Organist Cameron Carpenter bei Saint-Saens - blieb naturgemäß begrenzt, was aber dem Publikumserfolg keinen Abbruch tat.

In tönende Räume und Welten entführten auch die „regulären“ Konzerten der Sächsischen Staatskapelle, die sich in der Festspielstadt Salzburg längst heimisch fühlt. Unter Franz Welser-Möst etwa wurde die 9. Sinfonie von Gustav Mahler geradezu seziert und als Abgesang einer Tonalität analysiert, um dann doch ein gemeinsames Tor in die Welt der Moderne zu öffnen. Unter Christian Thielemann sind für Anton Bruckners 4. Sinfonie große Bögen gebaut worden in eine verlorene Zeit des Romantizismus, dessen religiöses Brämen nirgend sonst so tönte. In spielerische Leichtigkeit führte Pianist Daniil Trifonov seine Anhängerschar, die in Salzburg gewiss wieder gewachsen sein dürfte, zumal er doch aus den Händen von Eliette Karajan den diesjährigen Herbert-von-Karajan-Preis entgegennehmen durfte.

Aufgeführt hatte er gleich zweifach Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 467, das er mit eigenwilligen Kadenzen versah, wohl um eine „neue“ Brücke zum Salzburger Meister zu schlagen. Das seit 2013 zur Tradition gewordene „Konzert für Salzburg“ (als Partnerstadt Dresdens) eröffnete Thielemann mit Beethovens „Egmont“-Ouvertüre, Lorenzo Viotti krönte es mit Ernest Chaussons B-Dur-Sinfonie und dem „Boléro“ von Maurice Ravel. Mit diesem orgiastischen Schönklang wurde das Publikum dann in die Schatten der Salzburger Nacht entlassen. Der sich in der Salzach spiegelnde Vollmond war zum Glück schon wieder am Abklingen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!