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Sara Cubarsi und Hannah Weirich (Ensemble Musikfabrik). Foto: © Rosa Frank
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Kölner Konzert vorm Lockdown: „Bach war angestellt, aber Mozart war Freelancer!“

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In der Kölner Philharmonie hat am Abend vor dem zweiten Lockdown ein blitzartig organisiertes Benefizkonzert zugunsten der von den Maßnahmen besonders betroffenen freien Szene stattgefunden, gedacht als Signal der Solidarität. Vier Ensembles, die in exemplarischer Weise für die einzigartige Vielfalt der Kölner Musikszene stehen, teilten sich unter den gebührenden Abständen die Bühne im vorschriftsmäßig nur schütter gefüllten Saal.

Der Ton wird spürbar schärfer. Den zweiten erzwungenen Lockdown innerhalb eines Jahres nehmen sowohl die Konzertveranstalter als auch die ausführenden Künstlerinnen und Künstler nur noch unter verständlichem Murren und unter Inbetriebnahme grollend anschwellender Alarmglocken hin. In kaum einer deutschen Stadt leben und wirken so viele freie Musikerinnen und Musiker wie in Köln. Das hat nicht nur damit etwas zu tun, dass in Köln eine der größten Musikhochschulen des Landes steht, sondern auch mit den symphonischen Klangkörpern, die stets auf freie Aushilfen angewiesen sind. Vor allem aber hat die Musikerdichte mit dem Umstand zu tun, dass Köln stets ein Zentrum sowohl der Neuen als auch der Alten Musik war und an diesen beiden gegenüberliegenden Enden des Musikbetriebs zahlreiche hoch dekorierte Spezialisten-Ensembles hervorgebracht hat. Dieser besonderen Situation, die herausragt, und zugleich exemplarisch ist die die Gesamtsituation des Betriebs widmete nun die Kölner Philharmonie, das gerade erst wieder hochgefahrene Zentrum des Musiklebens der Stadt ein blitzartig organisiertes Konzert, das die via TVK-Vertrag weitgehend abgesicherten Tariforchester mit zwei der freien Ensembles einträchtig auf der Bühne vereinte: Das Gürzenich-Orchester und das WDR Sinfonieorchester und stellvertretend für die freien Ensembles die Musikfabrik NRW und Concerto Köln.

Bei der eilig vor dem Konzert anberaumten Pressekonferenz machte der Unmut sich, teils nur mühsam hinter diplomatischen Floskeln verborgen, unwillkürlich Luft. Louwrens Langevoort, Intendant der Philharmonie und Initiator des Konzerts sagte: „Ein zweiter Lockdown in einem Jahr ist für ein Konzerthaus eine Katastrophe“. Er räumte ein, dass die Politik „dafür sicherlich ihre Gründe“ habe und dass man nun „die Nachvollziehbarkeit nicht diskutieren“ werde. Wie die meisten Kulturschaffenden verärgert Langevoort aber die Eingemeindung der Kultur in den Bereich Freizeit, in den ersten Erklärungen der Bundesregierung eingereiht irgendwo zwischen Bordell, Sauna, Zoo und Fitnessstudio. „Kultur ist nicht bloß Unterhaltung, sondern ein Teil des gesamten Gesellschaftslebens in der Bundesrepublik. Kulturäußerungen sind nicht dazu da, um die Leute zu bespaßen, sondern ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsbildung.“

Deutlicher wurde François-Xavier Roth, Chef des Gürzenich Orchesters, der das Konzert als „Doppelschrei“ bezeichnete, seinen Vorwurf an die Politik allerdings diplomatisch verblendete, indem er ihn auf seine Heimat Frankreich abschoss: „Dort heißt es: nur die Shops sind nötig! Dann aber gibt es Shops, in denen es Fleisch und Gemüse gibt, aber auch Bücher und CDs. Und was machen sie? Sie sperren die Abteilungen für Bücher und CDs. Das zeigt, wie unglaublich dumm eine Politik-Entscheidung sein kann.“

Cristian Măcelaru, Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters betonte die Bedeutung der Freien für den gesamten Musikbetrieb, die unter der gegenwärtigen Lage besonders zu leiden hätten, dabei stünden sie doch in allerbester Tradition: „Bach war angestellt, aber Mozart war Freelancer! Ich möchte mir keine Welt ohne Bach oder Mozart vorstellen. Es darf nicht unterschieden werden zwischen Institutionen und frei arbeiteten Künstlern.“ Thomas Fichter von der Musikfabrik NRW erläuterte das Geschäftsmodell seines Ensembles „an der Schnittstelle zwischen Institution und freier Arbeit“, denn das Ensemble als Organisation wird öffentlich unterstützt, „aber wir haben keine angestellten Musiker. Die müssen also spielen, damit sie Geld verdienen. Das gilt ebenso für Orchesterwarte, Techniker, Lichtspezialisten.“

Ähnlich verhält es sich mit den Kolleginnen und Kollegen der Alten Musik von Concerto Köln. Cellist Alexander Scherf kann der Krise zumindest „diesen positiven Effekt abgewinnen. Ich glaube, es ist tatsächlich das erste Mal, dass diese vier Klangkörper zusammen in einem Konzert auf der Bühne sitzen. Das macht mich irgendwie auch glücklich, trotz der doch sehr düsteren Situation.“ Denn der zweite Lockdown träfe das Ensemble härter als der erste. Nicht zuletzt bricht den Alte-Musik-Spezialisten ein Teil des so wichtigen Weihnachtsgeschäfts weg. Eine weitere Crux: Das Ensemble bezieht Projektförderungen, „aber die Gelder können wir nur abrufen, wenn auch Projekte, sprich Konzerte stattfinden.“

Das Konzert war rasch ausverkauft, die erlaubten 250 Karten spielen etwas mehr als 4.000 Euro ein, was ungefähr einem Tropfen auf dem heißen Stein entspricht. Langevoort bietet aber darüber hinaus Solidaritätstickets an, die weiterhin erworben werden können. Aber ohnehin ging es allen Beteiligten vor allem darum, mit dem Benefizprogramm ein sicht- und hörbares Zeichen zu setzen.

Das Konzert dann war ein eigenwilliges Pasticcio mit einem Programm vom Barock bis in die unmittelbare Gegenwart, bewusst in Häppchen serviert, die in normalen Zeiten tabu wären: Concerto Köln begann mit dem Allegro aus Bachs Konzert für Oboe BWV 1060, gefolgt von Vivaldis Concerto für Streicher und Basso continuo A-Dur RV 158, rasant und launig musiziert. Dann folgte ein krasser ästhetischer Sprung zu Luigi Nonos „Hay que caminar“, minutiös exerziert von zwei Violinistinnen der Musikfabrik NRW. Dann folgte ein fulminanter Auftritt des Gürzenich-Orchesters mit dem an die Tränendrüsen appellierenden Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert, gefolgt vom Finalsatz von Beethovens Fünfter, von François-Xavier Roth furios dirigiert und vom Orchester größtenteils im Stehen musiziert. Noch einsamer als der erste Auftritt der Musikfabrik dann Rebecca Saunders „Hauch“ für Solo-Violine, gefolgt wiederum von einem krassen Kontrast: Das im Sitzen spielende WDR Sinfonieorchester preschte forsch durch Jacques Iberts karnevals-knallbuntes „Divertissement“. Große Begeisterung im Publikum konnte die mulmige Grundstimmung nur wenig aufhellen.

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