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Foto: Monika Rittershaus
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Korngolds „Das Wunder der Heliane“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die Wiederbegegnung mit jeder Opernpartitur, welche der Komponist nach seinem Wunderkind-Welterfolg „Die tote Stadt“ als knapp Dreißigjähriger komponierte und zu seinem „Meisterwerk“ erklärte, wirkt in der musikalisch hochkarätigen Wiedergabe unter Marc Albrecht so, als seien dem Komponisten seine Ohrwürmer im vorangegangenen Werk peinlich und als trachte er nun, polyphon und kontrapunktisch weiter gereift und mit instrumentatorischer Meisterschaft, stets das gesamte Instrumentarium gegeneinander antreten zu lassen und zugleich durch Vermeidung echter Melodien beweisen zu müssen, den Anschluss an die Moderne nicht verpasst zu haben.

Dabei erfolgt die Wiederbegegnung an einem Ort, der sich im Jahre 1927 mit Hamburg und Wien um die Rechte der Uraufführung gestritten hatte: die Städtische Oper Berlin, respektive ihre Nachfolgeinstitut, die Deutsche Oper Berlin, bietet nun – nach Gent (szenisch) und Wien (konzertant an der Volksoper) – ein beherztes Plädoyer für diese seltsame dreiaktige Oper.

Das Libretto von Hans Müller-Einigen nach dem Mysterium „Die Heilige“ des mit 24 Jahren verstorbenen Dichter-Genies Hans Kaltneker, erzählt von einem fremdländischen Freidenker, der in einem totalitären, aber christlich fundierten Staat die Idee von Liebe und Lachen einführen will und deshalb zum Tode verurteilt wird. In seiner Zelle besucht ihn die Königin Heliane, die auf Wunsch des Fremden zunächst ihre Haare löst, sodann ihre Schuhe ablegt um sich ihm anschließend in voller Nacktheit zu zeigen. Vom Gatten überrascht, droht auch ihr der Tod. Der Herrscher will Heliane zwingen, sich mit einem Messer selbst zu töten – so wie etwas später Doktor Schön die Lulu in Alban Bergs Oper, nur dass sich die Waffe dann nicht gegen den Aggressor richtet, sondern dass der vermeintliche Liebhaber, der Fremde, sich selbst erdolcht. Der Herrscher stellt seine Frau vor die unerfüllbare Aufgabe, den Toten als Gottesurteil für ihre beteuerte Unschuld zu neuem Leben zu erwecken. Heliane versucht es, gibt dann aber auf – mit dem Geständnis, diesen Mann doch geliebt zu haben. Gleichwohl erwacht der Fremde zu neuem Leben, und der frustrierte Gatte tötet Heliane – die dann, neu erwachend, ein Liebesduett mit dem Fremden singt und das Reich gemeinsam mit ihm verlässt.

Dezidierte, auf der Bühne nicht umsetzbare Regiebemerkungen, wie etwa Strahlen, die aus den Augen des Fremden hervorbrechen, deuten auf den Wunsch einer filmischen Umsetzung der Oper des später erfolgreichen Filmmusikkomponisten hin.

Wie die Deutsche Oper betont, erfolgte die Opernausgrabung auf Wunsch des Regisseurs Christof Loy, der leider gleichwohl kein schlüssiges Konzept für die zunächst krude erscheinende Handlung aufzubieten hat. Als hätte Bühnenbildner Johannes Leiacker in vorausahnendem Gehorsam, angesichts der Probleme dieses Hauses seit dem massiven Wasserschaden, den erschwerten Bedingungen Folge geleistet, hat er einen großen, braunen, klobig unatmosphärischen Gerichtssaal als Einheitsbühnenraum errichtet. Mit elektrisch fahrbaren Jalousien der Fensterfront auf der linken Seite, erfüllt so wenig den Operntopos der einsamen Kerkerzelle des ersten Aktes, wie später der Richtplatz oder in der Schlussszene die Landschaft im Schnee von Blütenblättern. Die Normaluhr im Gerichtssaal zeigt stets 2:10 Uhr an, womit das Regieteam möglicherweise darauf hinweisen will, dass die Zeit seit Entstehung dieser Handlung stehen geblieben zu sein scheint.

Dreh- und Angelpunkt jeder „Heliane“-Inszenierung ist die geforderte Nacktheit der Titelheldin – ähnlich wie in Strauss’ „Salome“ oder in Zemlinskys „Der König Kandaules“. Werden in diesen Opern der Zeitgenossen Korngolds nur kurze Momente weiblicher Nacktheit verlangt, so ist es hier – wie auch im „Mirakel“ von Max Reinhardt, Vollmöller und Humperdinck eine ganze Szene, in der die Titelrolle sich nackt auszuziehen, dann so zu agieren und zu singen hat und kurz darauf auch noch in einer weiteren Szene.

Da in Korngolds Opernhandlung die Fragestellung der Nacktheit, der Hingabe, des körperlichen oder nur geistigen erotischen Liebens der von ihrem Gatten unberührt gebliebenen Herrscherin und Heilerin immer wieder thematisiert und diskutiert wird, scheint es unumgänglich, die diesbezügliche Forderung der Autoren auch umzusetzen. In Christof Loys Inszenierung realisiert die auch brillant singende amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak die beiden Nackt-Szenen mit großem Selbstverständnis.

Häufig arbeitet Loys Inszenierung mit lebenden Bildern, etwa bei den Richtern (Andrew Dickinson, Dean Murphy, Thomas Florio, Clemens Bieber, Philipp Jekal und Stephen Bronk) und dem von einem Knaben geführten blinden Scharfrichter (Heldentenor Burkhard Ulrich in der hohen Baritonpartie).

Musik brennt auf größter Flamme

Als hätte der Komponist befürchtet, mit dieser Partitur für unbedeutend erachtet zu werden, brennt seine Musik stets in höchster Intensität und auf größter Flamme. Dabei bewegt sie sich permanent zwischen Mezzoforte und Fortissimo. Nicht einmal in der von Korngold vergeblich als Erfolgs-Einzelnummer vorgesehenen Erzählung der Heliane, „Ich ging zu ihm“, entwickelt sie jedoch die dem Komponisten der „Toten Stadt“ für nachhaltigen Erfolg unverzichtbar erscheinende Ohrwurm-Qualität.

In der Partitur mit dreifachem Blech, zwei Harfen, Gitarre, Celesta, Klavier, Harmonium und weit gefächertem Schlagwerk, sowie Orgel und als Bühnenmusik sechsfachem Blech, zahlreichen Glocken, Glockenklavier und Glockenspiel, schrauben sich die stimmlichen Anforderungen immer höher, bis zum Einsatz von Melodram als Steigerung des Gesanges.

Erst mit dem „Zwischenspiel“ vor dem dritten Akt, zum Teil bebildert inmitten des sich öffnenden und dann wieder schließenden Vorhangs, entsteht orchestral jener Korngold-Rausch, der seine vorangegangene Opernpartituren auszeichnet, im dritten Akt dann mit extrem disponierten, gespreizten Klangbildungen von flageolierenden Violinen und tiefen Bässen.

Ohne irgendwann die Sänger zuzudecken, knüpft Dirigent Marc Albrecht nach 90 Jahren an Bruno Walters Leitung dieser Partitur an diesem Operninstitut an: mit großem Durchhaltevermögen verliert Albrecht, bei allem Ziselieren nie den großen Bogen aus den Augen und löst die dreistündige Dauerspannung auf sehr hohem Niveau ein. Dabei war das Orchester dieses Hauses lange nicht so präzise und luzide zu erleben, wie an diesem Abend. Ebenso überzeugt der Chor der Deutschen Oper Berlin, welcher zunächst, von zwei „seraphischen“ Solostimmen (Sandra Hamaoui und Meechot Marrero) unterstützt, aus dem Off ertönt und erst am Ende des zweiten Aktes, als revoltierende, in den Herrscherpalast stürmende Menschenmenge ins Spiel kommt. Im dritten Akt versinnbildlicht der Chor das Hin und Her zwischen Glaubens- und Friedens-Utopie, wie auch das Umkippen in Frustration und Hass, mit vokaler Gewalt und bewegten, individualisiertem Spiel (Choreinstudierung: Jeremy Bines).

Dass jedoch alle Choristen in schwarzer Abendkleidung auftreten, ist ebenso ein Manko von Kostüm und Maske, wie die in Gegenwartskleidung und Frisur geradezu vertauschten Outfits von Herrscher und fremdem Heilsbringer (Kostüme: Barbara Drosihn); denn neben Heliane selbst (mit drei Umzügen, zu denen jeweils der Vorhang fällt), sollte auch der Herrscher etwas Königliches haben, mit Sicherheit aber der Fremde etwas fremdländisch Dionysisches. Hier aber wirkt der alte Herrscher, den Josef Wagner in extrem hoher Baritonlage trefflich verkörpert, durchaus jünger als der Fremde, obgleich dieser bisweilen als ein Junge apostrophiert wird. Dieses Problem mag in der Partitur begründet sein, denn ein extrem junger Sänger vermöchte die mörderische Tenorpartie kaum durchzuhalten. Dagegen liefert der australische Tenor Brian Jagde mit schier unerschöpflicher, obendrein noch facettenreicher Tenor-Wucht ein echtes Erlebnis. Wie vergleichsweise ein blutjunger Tenor an einer einzigen Phrase scheitern kann, das macht am selben Abend die Besetzung des Jungen Mannes mit Gideon Poppe deutlich – wobei die Deutsche Oper seltsamerweise das Hollywood-Gesetz, wonach die Kette so schwach ist, wie ihr schwächstes Glied, gerade bei dem in Hollywood mit zwei Oscars ausgezeichneten Filmkomponisten Erich Wolfgang Korngold nicht beherzigt.

Dies ist aber bleibt die einzige Ausnahme der sonst auch in den Nebenpartien mit großartigen stimmlichen und darstellerischen Leistungen aufbietenden Neuinszenierung, so etwa mit Okka von Damerau als Botin, die hier die zu einer den Herrscher leidenschaftlich begehrenden, rothaarigen Sekretärin als Rivalin Helianes getrimmt ist, oder mit Derek Welton als einem faszinierend präsenten Pförtner.

Bravorufe setzten bereits nach dem Verklingen des letzten Akkordes jedes Aktes ein. Sie steigerten sich zu Ovationen für die Solisten und den Dirigenten, wie man sie sonst nur nach Wagner- Sternstunden erlebt. Und sie dankten, sicher im Bewusstsein, dass die Wiederbegegnung mit dieser Oper einem Wunsch dieses Regisseurs zu verdanken ist, mit wenigen Ausnahmen auch dem Regieteam.

Trotz aller Einschränkungen: eine mutige Ausgrabung und ein großer Erfolg der Deutschen Oper Berlin – und eine unbedingte Empfehlung für jeden Opernfreund, die äußerst selten interpretierte Partitur hier ungekürzt zu erleben.

  • Weitere Aufführungen: 22., 30. März, 1. und 6. April 2018.

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