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Märchen im Grand-Hotel an der Staatsoperette Dresden. Foto: Pawel Sosnowski.
Märchen im Grand-Hotel an der Staatsoperette Dresden. Foto: Pawel Sosnowski.
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Kreativkick: Abrahams „Märchen im Grand-Hotel“ an der Staatsoperette Dresden

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Applaus-Fontänen nach jeder Tanznummer und am Ende laute Ovationen. Dem Premierenpublikum gefiel die halb- bis vollszenische Einrichtung von Paul Abrahams Lustspieloperette „Märchen im Grand-Hotel“, bei welcher man an der Staatsoperette Dresden die Fassung der Komischen Oper Berlin verwendete: Gefälliges für Auge und Ohr beendete die coronale Fastenzeit im Kraftwerk Mitte. Tänzerisch und orchestral hatte der Abend beachtliches Format. Gero Wendorff als österreichischer Prinz Andreas Stephan überstrahlte alles mit jener Kombination von Persönlichkeit und Können, welche zur DNA zeitgemäßer Operette gehört.

In der Geldschatulle von Infantin Isabella ist Spätherbst, aber dieser Herbst zeigt sich trotz der Müh’ und Not gerade noch so in milden Farben. Das in feschem Grün ausstaffierte Serviceteam des Grand-Hotels zu Cannes umschwebt die emigrierte Hoheit wie Blätter im freien Fall. Dem Textbuch nach ist heißer und zu prinzlicher Paarung lockender Hochsommer. Aber von jener Überhitzung durch das, was hier „Gefühlssensation“ heißt, vibriert kaum etwas ins keineswegs leer wirkende Auditorium. „Distanz“ ist das Wort der Zeit. Auf Flügen vom Broadway an die Côte d’Azur gehören Mund- und Atemschutz zum Equipment. Wenigstens vollzieht sich der Wechsel vom Damsat der Fürstensuite auf die eisenharten Star-Laufstege Hollywoods ohne blaue Flecken fürs blaue Blut.

Wenn Paul Abraham keinen kompositorischen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Sphären machte, braucht das auf der Szene auch keinen Widerhall, wird sich Spielleiterin Cornelia Poppe gedacht haben. Deshalb sieht man wenig vom Abgesang auf eine Ära, den Paul Abraham, Albert Grünwald und Fritz Löhner-Beda in und für Wien 1934 – also nach der Machtergreifung – als selbsttäuschend überdrehte Mixtur aus Noblesse, Business und Moden aufschäumten.

Die Vernachlässigung dieses bitteren Werkhintergrunds mausert sich in den optimal genutzten Raumverhältnissen der Staatsoperette zur flotten Show. Auf der riesigen Vorbühne wird getanzt, gesteppt (perfekt supervisioniert von Alexei C. Bernard), dialogisiert und champagnisiert. Allerdings ist das Trinken aus einem Kelch für Prinzessin und vermeintlichem Kellner nicht wegen des Standesunterschieds, sondern wegen der Hygienevorschriften tabu. Auf der Hauptbühne thront das Orchester vor dem detailverliebt gemalten Prospekt der Eingangshalle – als personell üppig besetzte Hotelkapelle ist es mit Applaudieren, Schnalzen und Seufzen sogar szenisch gefordert. Solche Späßchen sitzen besser als die Kontrastunschärfe zwischen Prolog und Epilog zu den beiden Hauptakten. Nur peripher sind die motorischen Akzentverschiebungen zwischen dem Büro des durch Konkurrenzdruck unter Druck gesetzten Filmmagnaten Sam Makintosh (Bryan Rothfuss) und dem Grand-Hotel, wo die Motorik der modernen Zeiten pausiert. Abrahams Melodien und Amerika-verliebte Sounds feiern noch einmal all das, was in der späten Weimarer Republik geliebt und in den dunklen Jahren bis 1945 verboten wurde. „Märchen im Grand-Hotel“ ist in enger Produktionsfolge (zuletzt Meiningen, Hannover, Hamburg) die Operetten-Entdeckung der Stunde, weil sie den Tod alter Privilegien und die sozialen Beschleunigungen wie in einem Brennspiegel mit pikantem Witz zeigt: Alles wie heute, nur ohne soziale Medien. Abrahams rhythmisches Sammelsurium wirkt wie der leichtfüßige, aber ernstzunehmende Gegenentwurf zu Franz Lehárs im gleichen Jahr an der Wiener Staatsoper uraufgeführten Kokottenmelodram „Giuditta“.

„Distanz“ bleibt das Konzeptwort des Abends, bis Infantin Isabella von Spanien und Prinz Andreas Stephan von Österreich ihr Verlöbnis lösen, sich zur Sanierung ihrer Konten in einem Spielfilm selber spielen und anderes Glück an der Seite neuer Partner aus dem finanzkräftigen Unternehmeradel finden. Ein Handicap dieser Einstudierung ist, dass Laila Salome Fischer als Drahtzieherin Marylou, die immer wieder das Sternendiadem der (Wirtschafts-)Freiheitsstatue trägt, neben der motorischen Hoheiteneleganz zu erstarren scheint. Daneben betreibt Marcus Günzel als Archetyp gleich mehrerer Prinzessinnen-Versteher normative Quoten-Travestie.

Sonst gilt: Frauen, Cocktails, Flirt! Der Prinz lumpt ohne schichtspezifische Vorbehalte bei Weiblichkeiten, die spröde am Tag und willig bei Nacht sind. Gero Wendorff verfügt mit der raren Kombination von feinem, markantem Tenor und tänzerischer Hochbegabung über jene Passion und Leichtigkeit, durch die nur Abrahams Songs Ironie werden. Andreas Sauerzapf ist in der zentralen Rolle des Hotelerben, der sich incognito als Kellner die Sporen zur Chefkompetenz erwerben soll, beim Baggern um die Infantin Isabella keimfrei und damit idealerweise Corona-kompatibel. Beate Korntner zeigt neben ihm das erfolgreich entpersönlichte Resultat hochadeliger Erziehungsdressur. Mit somnambuler Delikatesse durchschwebt sie die emotionale Dürrezone des Dresdner Grand-Hotels. Wo wenig erotisches Funkenknistern, da kein leidenschaftlicher Flächenbrand! Die Spielleiterin Cornelia Poppe verständigte sich mit der Choreographin Mandy Garbrecht und der Ausstatterin Esther Dandani darauf, bei allen von Abraham, Grünwald und Löhner-Beda zwischen Ironie und Bestätigung angesiedelten Geschlechterklischees mindestens ein Auge zuzudrücken. In der verbliebenen Glätte von Wirtschafts- und Gefühlsmechanik ist Musik der Haupttrumpf neben dem Happyend um jeden Preis. Dabei hätten das Orchester diesmal, das Ballett vor Ort immer die Feinkapazitäten für subtile Schattierungen zwischen ‚straight‘ und ‚queer‘. Das Vokalquartett (Friedemann Condé, Georg Güldner, Michael Kuhn, Andreas Pester) favorisiert mehr aseptische Musikalität als trockenen Witz. Dennoch fräst, sägt, bohrt und klopft Peter Christian Feigel mit dem ihm bestens vertrauten Klangkörper die vielen Ohrwürmer Abrahams in alle Gehörgänge. Der musikalische und textile Farbmix macht also vergessen, dass die Staatsoperette Dresden im Segment ‚genrekorrekte Frivolität‘ noch viel ungenutztes Potenzial hat.

  • Nach jetziger Planung viele Vorstellungen bis Mitte Dezember.

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