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Virtueller Zar im TV-Studio: Rimsky-Korsakovs „Zarenbraut“ im TV-STudio. Foto: Monika Rittershaus
Virtueller Zar im TV-Studio: Rimsky-Korsakovs „Zarenbraut“ im TV-STudio. Foto: Monika Rittershaus
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Liebes- und Todestrank auf Russisch: Nikolai Rimsky-Korsakows „Zarenbraut“ an der Berliner Staatsoper

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Kaum zu glauben, aber durchaus als ein weiterer Beitrag zum Wagner-Jahr deutbar ist die Eröffnungspremiere der Berliner Staatsoper: Nikolai Rimsky-Korsakow, der – fasziniert von Wagners Partituren – in St. Petersburg selbst den „Ring des Nibelungen“ dirigiert hat, dramatisiert in seiner 1899 uraufgeführten Oper „Zarskaja newesta“ eine eigenwillig politisierte Variante eines aphrodisierenden Zaubertrankes.

Dieser erinnert an die„Götterdämmerung“ und wird – wie in „Tristan und Isolde“ –  vertauscht, allerdings in umgekehrter Abfolge, wobei in Wagners Spielvorlage der Liebestrank letztlich ja ebenfalls den Tod nach sich zieht.

Über den Tausch von Liebes- und Todestrank hinaus, gibt es weitere Wagner-Anspielungen. So besingt etwa Marfa in ihrer Wahnsinnsarie im vierten Akt den Mythos der Johannisnacht, in der eine Glockenblume erklingen soll. Für den Trank verwendet Rimsky-Korsakow in der neunten seiner fünfzehn Opern ein sequenzartiges Leitmotiv aus verminderten Septakkorden. Das Zarenthema ist – wie schon in Rimsky-Korsakows früher Oper „Psowitjanka“ – auch hier identisch mit jenem, das bei der Zarenkrönung in Mussorgskis „Boris Godunow“ chorisch erklingt.

Die historisch gekleideten Damen auf der Titelseite des Programmheftes von Dramaturg Detlef Giese erweisen sich als Fake. Und das beißende Grün des Covers erklärt sich, nachdem sich die bühnenfüllende Leinwand gehoben hat, auf der bereits beim Einlass ein winterlich belebtes, russisches Stadtbild mit vorbeiflatternden Vögeln in originaler Lebensgröße zu sehen ist: Die historisch gewandeten Rollenträger agieren in der Greenbox eines kompletten TV-Studios. Im weiteren Verlauf der Ouvertüre erlebt der Zuschauer als Internet-Chat und als Computeranimation live mit, wie die künstlich generierte Figur eines Zaren erschaffen und dann virtuell belebt wird. Als besonderes Medienereignis soll für diese Kunstfigur unter der Vorauswahl von 2.000 Frauen ein Mädchen zur Braut gekürt werden. Die Wahl trifft die junge Marfa, doch die fällt unvorhergesehen dem vergeblichen Liebeswerben des Opritschniks Grjasnoj zum Opfer. Und während das Fernsehen Marfa am Ende als glückliche First Lady feiert, ist sie de facto bereits den Folgen eines Todestrankes erlegen.

Für die Inszenierung zeichnet Dmitri Tcherniakov verantwortlich, der bereits 2005 an der Staatsoper Unter den Linden den „Boris Godunow“ inszeniert hat. In Kostümen von Elena Zaytseva hat der russische Regisseur seine aktualisierende, Putin-kritische Lesart im eigenen Bühnenbild auf der Drehscheibe – mit Hilfe eines komplett ausgeliehenen ZDF-Studios mit Filmteam und zwei Kameramännern – aufwändig, aber trefflich umgesetzt. Seiner Lesart kommt zu Hilfe, dass bereits in der dramatischen Vorlage (nach einer historischen Tragödie von Lew Alexandrowitsch Mei) der Zar nur einen kurzen, stummen Auftritt hat.

Die Zitatebene der Partitur nutzt die Inszenierung mit dem Einsatz von Nachrichtensendungen auf einem großen Flachbildschirm, der zentral im neureich opulenten Wohnzimmer des Kaufmanns Sobatkin steht. In dessen Wohnung sehen die Zuschauer voyeuristisch durch ein übergroßes Fenster. Bewegungsabläufe sind heutig, erinnern an Filme und TV-Soaps. Die vom Potentanten Grjasnoi verlassene Geliebte zerschmettert ihr Trinkglas ex und hopp an der Wand, und Grjasnoi erschießt sich am Ende in der Regie des Studios, mit todestaumelnden Drehungen seines Schreibtischsessels.

Auch musikalisch bewegt sich die Aufführung auf besonders hohem Niveau: Daniel Barenboim macht deutlich, warum diese Oper sein Wunschstück ist. Klangvoll und leuchtend, markant und schneidend in den Themen, süffig in den Blechbläsern, arbeitet der Dirigent heraus, wie diese spätromantische Partitur des Lehrers von Glasunow und Strawinsky auf den Impressionismus vorausverweist. Die Abfolge der Nummernoper mit rezitativartigen Momenten und melodisch breit ausgesungenen Ensembles hat in Barenboims Interpretation kaum Redundanz. Gestrichen ist nur die einzige folkloristische Szene dieser Partitur, der Tanz mit den Volksliedzitaten im ersten Akt.

Ohne Schwachstelle brilliert das Solistenensemble. Johannes Martin Kränzle macht als Grjasnoj die Entwicklung des Potentaten deutlich: eine stimmlich souveräne, dramatisch schillernd faszinierende Täterfigur in einem Politkrimi. Die heftigsten Bravorufe erntet Anita Rachvelishvili als die von Grjasnoj bereits als junges Mädchen entführte Ljubascha, mit kraftvoll in allen Registern orgelnder Emphase. Mit weicheren Linien vermag Olga Peretyatko der durch das schleichende Todesgift wahnsinnig gewordenen Marfa ein anrührendes Profil zu verleihen. Karajans Sopranstar Anna Tomowa-Sintow ist für die kleine Partie der Kaufmannsfrau Suburowa zurückgekehrt, die sie großartig profiliert. Ein Comeback feiert auch der vormalige Berliner Boris Godunow-Darsteller Anatoli Kotscherga als Kaufmann Sobatkin. Faszinierende Rollenprofile liefern Stephan Rügamer als zwielichtiger, deutscher Mediziner Bomelius und Pavel Černoch als Marfas Verlobter Lykow, mit lyrischer Emphase und heldischem Ansatz; eindrucksvoll der von Tobias Schabel verkörperte Anführer der Opritschniki Maljuta-Kuratow und der diesmal von Rustam Samedov einstudierte Staatsopernchor.

Nach mehrfachem Zwischenapplaus erntete die Koproduktion der Staatsoper Unter den Linden mit dem Teatro alla Scala di Milano am Ende Begeisterungsstürme mit rhythmischem Klatschen und Pfeifen – und auch ganz ohne Missfallensbekundungen für den Regisseur. Ein überaus verheißungsvoller Saisonstart der Staatsoper, die an diesem Tag eigentlich in ihr Haus Unter den Linden zurückkehren wollte, aber auf unbestimmte Zeit weiter im Schiller-Theater ihr Domizil haben wird.

Weitere Aufführungen: 8., 13., 19., 25. Oktober, 1. November 2013
 

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