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Website des Impuls-Festivals 2019.
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Magdeburg: Impuls-Festival mit jungen Werken und einer Uraufführung

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Nochmals ein Besuch beim Impuls-Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt – einige Wochen nach den Filmkonzerten „Brennweite“ mit Uraufführungen des Komponisten-Workshops von Annette Schlünz nach Animations- und Dokumentarfilmen aus dem Bauhaus und den Masterclass-Konzerten für junge Solisten und Dirigenten. Mit besonderer Freude beobachtet Festival-Leiter Hans Rotman die Verdichtung seines Konzepts, das Neugier für Neue Musik an verschiedenen Orten Sachsen-Anhalts vergrößern soll. Ein Bericht von Roland H. Dippel.

Es erklingen nur Komponist*innen des späten 20. und 21. Jahrhunderts. Am Ende Applaus mit affirmativer Einmütigkeit – nicht besonders laut, dafür intensiv und begeistert. An nur ganz wenigen Orten gibt es in einem Anrechtskonzert ein Programm wie im dritten Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie, die hier mit Mitgliedern des Staatsorchesters Braunschweig verstärkt wurde. Etwa vierhundert Hörer*innen im ersten des am Folgetag wiederholten Programms sind keine schlechte Besucherzahl für Magdeburg und die Altersstruktur gar nicht so anders als bei Standardprogrammen mit Brahms und Tschaikowski. Publikum U30 ist hier auch deshalb eine Minderheit, weil es an der Universität Magdeburg neben Lehramt keine geisteswissenschaftlichen Fakultäten gibt. Es fällt auf, dass nichtdeutsche unter den jungen Hörern die Mehrzahl bilden. Beim Erstbesuch eines Orchesterkonzerts in Magdeburg kann man nur bestätigen, dass das Opernhaus am Universitätsplatz auch ein erstklassiger Konzertsaal mit idealer Verhältnismäßigkeit von Klangfülle und Transparenz ist.

Den Abend teilen sich die beiden Dirigenten Armando Merino und Wilson Ng mit einer Werkfolge, die neben einer Uraufführung und einer Partitur, zu der diese in Beziehung tritt, im ersten Teil drei Partituren von bemerkenswert spielerischer und gestischer Affektivität bietet. Alles Kompositionen, die Schwellenängste zu Neuer Musik minimieren sollen. Stark ist jedes dieser Stück, weil hinter deren schein-dramatischer Gestik noch immer eine weitere Sinnebene erfahrbar ist.

Unsuk Chin (geb. 1961) betrachtete in ihrer Oper „Alice in Wonderland“ (München 2007) nicht nur als Kinderbuch, sondern als Chiffren-Indikator für Phänomene und Syndrome des modernen Lebens. Das Vorspiel zur fünften Szene ist ein konturiert luftig dahineilendes Stück, immer knapp vor der Tonalität und dabei kühl.

Lothar Hensel, selbst vor vielen Jahren Komponist der Oper „Ein letzter Tango für Margot H.“, tritt von hinten auf. Bernd Franke (geb. 1959) verknüpfte sein Solokonzert „Open Doors“ für Bandoneon und Orchester aus kompositorisch überformtem Patchwork-Material von Straßengeräuschen und Menschenstimmen. Durch diese schiebt sich der Bandoneon-Part mit Partikeln von für dieses Instrument typischen Tango-Intonationen und improvisiert wirkenden Läufen. Ein atmosphärisch dichtes Stück gerade darin, dass es kein melodisches Drängen enthält und deshalb die offene Form des ganzen Stückes wie der koloristischen Motivfragmente sich nach dem Schluss fortzusetzen scheinen.

Bemerkenswert spannend und dramaturgisch durchdacht

Überhaupt ist an diesem Abend bemerkenswert spannend und dramaturgisch durchdacht, wie räumliche Möglichkeiten bemerkenswert intensiv genutzt werden, die Musik, besser Teile der komponierten Stimmen, mit überraschenden Bewegungen und Linien wandern. Nach der Pause sitzen die beiden Harfenistinnen vorne an der Rampe links und rechts von den Dirigenten, die um sich durch einen großen Halbkreis Freiraum erhalten. Nur der Serbe Marko Nikodijević (geb. 1980) hält das Orchester kompakt zusammen. Sein „GHB/Tanzagregat“ illustriert nicht die sinnliche Kurve eines sympathetischen Erregungsschwalls der Partydroge, sondern versucht eine Transformation der Klänge: Fast wie ein Bolero im Zeitraffer, bei dem sich erst gegen Ende ein melodisches Motiv herausschält. Rhythmisch faszinierend überaktiv und fast manisch ist die Tonsprache von Marko Nikodijević wie die von Michael Torke und dessen das Orchester zur gleißend sensitiven Rhythmusmaschine umfunktionierenden Partituren.

Jeffrey Ching (geb. 1965) hat seit der Simultan-Uraufführung seines Stücks „Diese So-Geliebte“ in Dessau und Magdeburg beim Impuls-Festival 2013 sowie der Uraufführung seiner Oper „Die wahre Geschichte von King Kong“ in Sachsen-Anhalt fast eine künstlerische Heimat. Er erhielt diese Auftragskomposition des Impuls-Festivals. Die beiden Orchesterlieder auf Texte des in Magdeburg lebenden Syrers Wahid Nader, der sich an die Zerstörung der Partnerstädte Braunschweig und Magdeburg durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg erinnert, hat Ching zu einem einzigen Satz verschweißt. Sie sind auch tönendes Porträt des Fabelwesens Fenghuang, einer asiatischen Variante des aus der Asche wiedererstehenden Phönix. In den beiden Poemen behandelte Jeffrey Ching Stimme und den Part der Solotrompete separat, diese ziehen zu genau markierten Positionen in den Zuschauerraum. Andión Fernández`Stimme leuchtet in den sehr wirkungsvoll komponierten Liedern souverän in allen Lagen und ausdrucksstark. Doch, wie schon bei „King Kong“ schafft es Jeffrey Ching gegen Ende der Vertonung nicht, die selbst sehr hoch gesteckten Erwartungen gemäß dem Versprechen des Beginns zu erfüllen. Auf das erste mit den Solostimmen äußerst farbreich und gewinnend realisierte Lied überlagert der von Ching aufgenommene Contrapunctus IV aus Bachs „Kunst der Fuge“ den Eigenanteil der Komposition zu sehr. Wenig sinnfällig ist dieser Wandel der musikalischen Faktur, die einen kreativen Reflex auf das abschließende Stück des Abends darstellt. „Phoenix Rising“ von Thea Musgrave (geb,.1928) aus dem Jahr 1998 ist eine deutsche Erstaufführung. Die von der Komponistin intendierte Steigerung lässt sich in der mild wagnernden, mahlernden und debussy-affinen Instrumentation schwerlich vernehmen. Musgrave bestätigt ihren Ruf als eine der bekanntesten Komponistinnen vor 2000 durch eine lyrische, harmonische Tonsprache. Die beiden Dirigenten Armando Merino und Wilson Ng dringen mit gewinnend starker Beteiligung in die Anatomie aller Stücke ein und geleiten das Orchester bemerkenswert sicher durch den Abend.

Insgesamt ein Pluspunkt für das Impuls-Festival, das die beim Festival mitwirkenden Kulturorchester in Sachsen-Anhalt zur intensiveren Auseinandersetzung mit außergewöhnlichen Werken treibt, die mit einer derartigen Ballung wie in diesem Konzert wohl kaum auf das Podium kämen. Am ersten Konzertabend freute sich das Auditorium der Landeshauptstadt über die neuen Hörangebote spürbar und nachdrücklich bemerkbar.  

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