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Tara Erraught und Hanna-Elisabeth Müller als Hänsel und Gretel an der Münchener Staatsoper. Foto: Willfried Hösl
Tara Erraught und Hanna-Elisabeth Müller als Hänsel und Gretel an der Münchener Staatsoper. Foto: Willfried Hösl
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Magendrücken: Humperdincks „Hänsel und Gretel“ als Osterpremiere an der Bayerischen Staatsoper

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Viele Vorbehalte gegenüber dieser seltsamen Premiere. Da wird noch im Dezember 2012 die über 25 Jahre alte, in ihrem märchenhaften Stil dennoch zu den „Haus-Klassikern“ zählende „Hänsel und Gretel“-Inszenierung von Herbert List gespielt. Nun kommt eine Richard Jones-Inszenierung, die an der Welsh National Opera von 1998 bis 2008 im Repertoire war, auf DVD vorliegt und von Jones für die New Yorker Metropolitan Opera nochmals überarbeitet wurde.

Da Jones aber parallel zur Münchner Übernahme an Hamburgs Staatsoper eine echte Neuinszenierung von Brittens „Gloriana“ erarbeitet – Premiere am gleichen Abend wie München -, übernahm ein englisches Mitarbeiter-Team die Einstudierung der Märchenoper am Nationaltheater… Preise von 163 Euro abwärts für einen Dritt-Aufguss – dabei glaubte der Musiktheaterfreund Verhältnisse wie zu Zeiten der „Ponnelle-Opern-Fabrik“ überwunden: damals wurden dessen Inszenierungen x-fach rund um die Opernwelt vermarktet.

All diese Vorbehalte wären hinfällig, wenn die Jones-Inszenierung ein singulärer, ja „genialer“ Wurf wäre. Das ist sie nicht. Ein im Libretto natürlich häufig vorkommendes Wort hat Jones zum Konzept erhoben: „Es geht um Essen – um die Abwesenheit oder den Überfluss von Essen“. Ausstatter John Macfarlane hat für die doch aus Hunger erwachsende „Essen“-Thematik eine zu schick designte Besenbinder-Wohnküche, vor allem aber viel zu blitzsaubere Kostüme entworfen, speziell Mutter Gertrud könnte direkt aus einer edlen Boutique kommen. Eigentlich werden die Kinder in den sich geheimnisvoll und beängstigend verwandelnden Wald geschickt.

Bei Jones-Macfarlane irren sie in einem großen, modrig verkommenen Salon eines Schlosses(?) umher und finden ihre Beeren in den Anzugstaschen von sechs „Wald-Männern“ mit Astgestrüpp statt Köpfen – das fanden Kinder auf den Parkettplätzen ringsum sofort erklärungsbedürftig – und nicht nur sie. Dass der große Tisch in diesem Salon mal als Versteck, mal als Auftrittsfläche für das eher gespenstische Sandmännchen dient, ging noch an. Doch statt der 14 Engel des Abendsegens marschierten im Traum von Hänsel und Gretel Köche auf. Der Tisch wurde zur adelig-pompösen Festtafel samt vielen Menugängen für die sich träumerisch edel einkleidenden Geschwister.

Leider kam das sie aufweckende Taumännchen wie ein von Jeff Koons gestyltes Cheer-Girl auf die Bühne. Die sich hinter einer gefährlichen Fress-Fratze auf dem Zwischenvorhang dann öffnende Hexenküche war zwar detailfreudig ausgestattet, doch Jones’ Regieeinfälle verursachen jenseits allen Kindergejohles eher Magendrücken: Da wird nämlich mit Sahne, Milch, Zucker und allen anderen bunten Zutaten, mit Teig und Torten rumgemanscht als wäre Essen Spielzeug. Das passt nicht ins Jahr 2013. Außerdem geht es im Werk auch um Anderes bzw. mehr – das Eltern-Kind-Verhältnis in existentieller Armut, um die Problematik von Kindsbestrafung, um Angst und Hexen-Bilder und erste Selbstbehauptung, um eventuell falsche Problem-Harmonisierung durch Religion etwa doch auch.

Musikalisch aber war alles vom Guten bis Feinsten. Die Textverständlichkeit – warum keine Übertitel? – in Tomáš Hanus’ zwar lebendigem, aber oft auch klanglich dickem Dirigat ließ zu wünschen übrig. Das Elternpaar von Alejandro Marco-Buhrmester und Janina Baechle klang gut. Tenor Rainer Trost lieferte in “Fat-Suit“ und toller Maske eine skurrile bis surreale Hexen-Studie. Tara Erraughts Hänsel und Hanna-Elisabeth Müllers Gretel spielten und rangelten reizvoll kindlich und sangen bildschön, überstrahlt vom betörenden Sopran des Sandmännchens von Yulia Sokolik.

Im Schlussbild zeigte dann der in voller Stärke auftretende Kinderchor in Stellario Fagones Einstudierung, was romantische Klangfülle ist. Da gingen dann die hörbaren Buh-Einwände gegen diesen fragwürdigen Märchenopern-Einkauf in begeistertem Jubel unter.

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