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Les Enfants Terribles an der Komischen Oper Berlin. Foto: Christian Marquardt
Les Enfants Terribles an der Komischen Oper Berlin. Foto: Christian Marquardt
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Matratzenspiel vor Mitternacht – Philip Glass’ „Les Enfants Terribles“ an der Komischen Oper Berlin

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„Die Vorstellungen im Zimmer begannen um 23 Uhr“ heißt es einmal im Libretto von Philip Glass und Susan Marshall nach dem gleichnamigen Roman von Jean Cocteau, und so lag es für die Komische Oper Berlin wohl nahe, die letzte Premiere der Spielzeit als Nachtvorstellung anzusetzen und um 22:30 Uhr zu beginnen.

Besonders umständlich wird das Publikum dafür zunächst ins Rangfoyer, dann wieder in den Eingangsbereich nach unten gebeten um dann auf einem ebenfalls nicht nächstliegenden Weg auf die Bühne geleitet zu werden. Aber nicht Hans Werner Henzes „Der lange Weg der Natascha Natascha Ungeheuer [...]“ steht dort, wo die Besucher-Stühle zentral platziert sind, auf dem Programm, sondern Philip Glass’ „Les Enfants Terribles“.

Drei Roland-Keyboards starten mit Drive im Rücken des Publikums, das zunächst auf einen Prospekt auf der Rückwand schaut, vor dem sich die DarstellerInnen des späten Abends in der Darstellung von Kindern im Konfetti-Winterschnee, durch Rotlicht zugespitzt, bemühen. In Cocteaus Geschichte bekommt der junge Paul (Bernhard Hansky) von Dargelos einen Schneeball so heftig gegen die Brust geworfen, dass er künftighin die Stube hüten muss. In der Inszenierung von Felix Seiler ist es zugleich ein Kuss, den ihm der die Story moderierende Erzähler (der Schauspieler Uli Kirsch) als Dargelos auf den Mund drückt, da die Überfigur in der französisch gesungenen Opernhandlung zuvor auf Deutsch erklärt hat: „er liebt ihn“.

Der Weg des Publikums via Drehbühne zu zwei kurzen Szenen auf den Seitenbühnen und dem Löwenanteil der Handlung auf der Vorbühne ist der Clou dieser Produktion. Dort, vor dem leeren Auditorium, ist das Zimmer der Elisabeth lokalisiert, eine Matratzengruft á la Heine, mit diversen Utensilien im Regal, und der siechen, bald sterbenden Mutter – als Puppe im Lehnstuhl (Bühnenbild: Nikolaus Webern). Was von den hier erfolgenden Aktionen der überbordenden Phantasie des auf ihren Bruder fixierten Mädchens entspringt oder was tatsächlich eine schlimme Realität ist, bleibt bewusst in der Schwebe. Das Schicksal der Isadora Duncan, die sich bekanntlich auf einer Autofahrt von ihrem langen Shawl, der sich im Rad des Cabrios verfangen hatte, erdrosselt hat, spielt in die Opernhandlung auch mit hinein. Wohl kein Zufall, denn als Gattungsbezeichnung seines Werks aus dem Jahre 1996 wählte Glass „A dance opera for ensemble, soloists and dancers“.

Aber – wie bisweilen auch bei Operetten an diesem Theater üblich – auf Tänzer verzichtet die Komische Oper ganz. Die Intensität der OpernsängerInnen, allen voran Katarina Morfa als Elisabeth, ersetzt nicht nur die artifizielle Attitüde von Ballettmitgliedern, sondern macht diese sinnlich durchaus entbehrlich. Da Elisabeths Mann Michael den Tod der Duncan nachgelebt hat, zieht Paul zu Elisabeth in deren Zimmer und wird zum Spielball ihrer Verrücktheiten. Das Licht im Auditorium des Opernhauses flammt auf, als Elisabeth ihr Zuhause in einen Saal im Stil Ludwigs XIV umgestaltet. Agathe (Adela Zaharia), die Paul liebt und von ihm geliebt wird, verkuppelt Elisabeth – eifersüchtig darauf bedacht, den Bruder an sich zu binden – mit Gérard (Mátè Gál).

Paul schreibt einen Abschiedbrief und vergiftet sich an einem schwarzen Ball (als Pendant zu dem das häusliche Unglück auslösenden, weißen Schneeball?), und auch Elisabeths Lippen färben sich, da das Objekt ihrer Spiele nicht mehr da ist, zum finalen Exitus schwarz.

Leider sind die nächtlichen Spiele zu simpel ins Bild gesetzt, in der szenischen Umsetzung entspricht ihre Terribilté kaum der bei Cocteau evozierten postpubertären Phantasie. Da wünschte sich der Rezensent wenigstens eine homöopathische Dosis jener starken Bildwelten, die der diesem Opernhaus künstlerisch verbundene Regisseur Calixto Bieto entfesselt.

So sorgten einzig die unerbittlich repetitiven Strukturen der retardierenden und zugleich vorwärts treibenden Minimal Music von Glass durch drei in dunkelrote Velourjackets gewandeten Pianisten unter der musikalischen Leitung von Byron Knutson für Stringenz. Die Patterns bohren sich grenzüberschreitend zwischen U- und E-Musik, wie sie als Genres an diesem Haus gepflegt werden, in die Gehörgänge der Zuhörer, die nach gut achtzig Minuten müden, kurzen Beifall spenden.

Glass’ Oper steht am Ende einer besonders erfolgreichen Saison der Komischen Oper Berlin, die unter der Leitung ihres Intendanten und Chefregisseurs Barrie Kosky die Auslastungszahlen erneut um ca. 10 Prozent auf 85% steigern konnte, was einem Zuwachs von mehr als 30.000 Vorstellungsbesuchen in diesem Haus entspricht.

Weitere Aufführung: 6. Juli 2014.

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