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„Dinorah“ in Görlitz. Foto: Marlies Kross
„Dinorah“ in Görlitz. Foto: Marlies Kross
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Meyerbeer de luxe! „Dinorah“ am Gerhart-Hauptmann Theater in Görlitz

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Meyerbeer de luxe gab es am 16. November am Gehart-Hauptmann Theater in Görlitz. Das Ensemble verstand es, das Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit Realität werden zu lassen. Mehr als nur Kehlenkunststücke zu hören und Wald-Visionen zu sehen, bekam unser Rezensent Joachim Lange am Theater, das sich als kleine Schwester der Semperoper versteht.

Es ist mehr als ein cleverer Marketingtrick, daran zu erinnern, dass dieses Theater die kleine Schwester der Semperoper genannt wird. Das Haus, das den Namen Gerhart Hauptmanns trägt und seit Jahren eine Gemeinschaft mit Zittau bildet, ist in seiner gut gepflegten ästhetischen Harmonie allein schon eine Reise nach Görlitz wert. Wenn man sich in dem 500 Plätze Zuschauerraum daran macht, den Porträts an der Decke Namen zuzuordnen, dann entdeckt man unter den Heroen des 19. Jahrhunderts auch einen, dem der Sachse Wagner einiges verdankte, den er aber dennoch mit allem antisemitischen Furor bedachte, zu dem er fähig war. Die Attacken gegen den zu seiner Zeit viel berühmteren, weltläufig jüdischen, sowohl gut preußischen als auch französischen Superstar der Zunft, Giacomo Meyerbeer (1791-1864), gehören in Wagners Biografie zu dem Kapitel Fremdschämen. Dass sich das Theater nur ein paar Schritte von der polnischen Grenze entfernt befindet, daran erinnern die Übertitel, die hier – quasi als Einladung ans Publikum von der anderen Seite der Grenzbrücke – in Deutsch und Polnisch bereitgestellt werden. 

Als Besucher dieser Stadt mit den beispielhaft herausgeputzten Fassaden beschleicht einen gleichwohl ein merkwürdiges Gefühl, wenn man daran denkt, dass diese Kommune im Osten Sachsens beinahe von einem blauen Bürgermeister regiert worden wäre, wenn sich nicht wirklich alle anderen Parteien auf den dann mit 55% gewählten CDU-Kandidaten geeinigt hätten. Dass statistisch gesehen ein großer Teil der Premierengäste von Meyerbeers „Dinorah“ ihr Kreuz hinter dem Namen des rechten Kandidaten gemacht haben könnte, irritiert dann doch. 

Mehr jedenfalls als das, was auf der Bühne an Verwirrendem geboten wird. Und da geht es in dieser Hinsicht in die Vollen. Bei diversen konzertanten Aufführungen – wie der aus Anlass des Meyerbeer-Schwerpunktes der Deutschen Oper Berlin – war sogar zu lesen, dass sich bei diesem Werk szenisch kaum ein Bezug zur Gegenwart herstellen ließe. Im anbrechenden Fakenews-Zeitalter stimmt das aber selbst im Hinblick auf das Personal aus der Geisterwelt, nur noch bedingt. Und auch die Ziege Bella ist nicht das einzige Exemplar ihrer Art, das es zum Partner eines Bühnenmenschen gebracht hat. (Wie bei Edward Albees „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“)

Dass ein Mann vor oder während der Hochzeit kalte Füße kriegt und einfach so verschwindet ist längst ein gebräuchliches Sujet in Literatur und Film. Auch das Surreale der Geschichte kommt einem modernen szenischen Zugang eher entgegen, als dass es abschrecken würde. 

Weil eine Katastrophe alles in Gang setzt und eine weitere eine Art Happyend einleitet, wird das Ganze jenseits allen Feenzaubers auch zu einer Versuchsanordnung, in deren Verlauf man etwas über Bindungs- und Verlustängste, Gier und den Umgang mit Einsamkeit, aber auch über die Sehnsucht nach einem „normalen“ Leben erfahren kann.   

Eindrucksvoll ist die erstarrte und begehbare Schlammlawine, mit der die Ausstatter Olga von Wahl und Carl-Christian Andresen die Bühne fast völlig gefüllt haben und in der technische Versatzstücke aus modernen Haushalten einen dezenten Verweis von den historisch märchenhaften Kostümen hin zu unserer Gegenwart liefern. Regisseurin Geertje Boeden lässt sich bewusst auf das surreale Spiel zwischen den Zeiten und zwischen Traum und Wirklichkeit ein, ohne in die eine oder andere Richtung zu übertreiben.

Während der Ouvertüre wird pantomimisch und mit opulenten Video-Waldvisionen im Hintergrund (Video: Aron Kitzig) die Vorgeschichte erzählt. Hirtin Dinorah und ihr Bräutigam, der Hirte Hoël, wollen ihre Hochzeit gerade mit einer Wallfahrt nach Ploërmel krönen, als ein Unwetter ausbricht, das den Hof von Dinorahs Eltern vernichtet, und das den Bräutigam dazu verführt, den Einflüsterungen des Zauberers Tonyk zu folgen. Der verspricht ihm einen Schatz, wenn er seine Braut ohne ein Wort verlässt. Die flüchtet sich ihrerseits für ein geschlagenes Jahr in den Wahnsinn und irrt als Närrin durch die Welt. Mit Bella der Ziege als Begleiterin und einziger Freundin. Für deren Darstellung haben es auch schon mal lebende Exemplare dieser Spezies zu Bühnenehren gebracht. In Görlitz hat man sich den dafür heute erforderlichen Stress mit dem Tierschutz gespart. Hier haben Dinorah und ihr Hoël (geschmeidig und sicher mit wohltimbriertem Bariton: Ji-Su Park) und dessen zeitweiliger Begleiter Corentin (lyrisch beredt: Thembi Nkosi), den er ohne Skrupel opfern würde, um in den Besitz des Goldschatzes zu kommen, ihren eigenen Schatten. Es gibt also kein tierisches Meckern auf der Bühne, dafür passende Schattenrisse. Dabei verkörpern Nami Miwa die Ziege Bella, Harrison Claxton als Schatten Hoëls den Zauberer Tonyk und Lorenzo Rispolano als Schatten Corentins einen Kobold.

Am Ende sorgen das zweite Unwetter und ein erneuter Schock dafür, dass Dinorah wieder aus ihrem Wahnsinnsexil erwacht. Die Wallfahrer sind wieder zur Stelle und alle einigen sich darauf, dass alles nur ein Traum Dinorahs war. Der Schatz, den Hoël gewinnt, ist zwar nicht der ihm verhießene aus Gold, aber eben das Herz von Dinorah.  Ende gut, alles gut.

Meyerbeer de luxe!

Die Musik ist hinreißend verführerisch in ihrem Raffinement und dem Wechsel von einschmeichelnder Melodie, atmosphärischer Stimmungsmalerei und einer Ziegenglocke als eines der Leitmotive, das immer wieder erklingt. Die Musiker der Neuen Lausitzer Philharmonie und ihre GMD Ewa Strusińska liefern mit ihren Mitteln einen Meyerbeer de luxe! 

In „Dinorah“ kommt es darauf an, dass sich die Protagonisten und der Chor (so wie von Albert Seidl einstudiert) auf dieses Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit einlassen. Vor allem braucht es eine vollkommen koloraturensichere Ziegenfreundin für die Titelpartie. Und da begeistert Ensemblemitglied Jenifer Lary (die 2020 nach Heidelberg wechseln wird) durchgehend – mit spielerisch leichten, lockeren Koloraturen und der entsprechenden Intensität der Darstellung. Auch bei ihr wird die berühmte Schattenarie zu einem Bravourstück und wird mit ausführlichem Szenenapplaus bedacht! Sie feuert keines ihrer Kehlenkunststücke einfach nur von der Rampe ab, sondern gestaltet sie überzeugend. Der einhellige Beifall des Premierenpublikums fällt denn auch für die Titelheldin noch etwas enthusiastischer aus, als für alle anderen. 

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