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Foto: Marc Lontzek.
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Mischung unter Spannung – Uraufführung des Musicals „Pauline“ am Theater Detmold

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Einhundert Jahre Theater Detmold – das Finale der laufenden Jubiläumssaison 2019/2020 haben sich die Theatermacher*innen vor Ort gewiss anders vorgestellt. Doch trotz aller Beschränkungen: vor Ende der Saison hob sich der Vorhang denn doch noch einmal – im Innenhof des Theaters unter freiem Himmel, bei gutem Wetter und mit Lokalkolorit. Denn was jetzt als letzte Inszenierung über die Bühne ging, war die Uraufführung des Musicals „Pauline“.

Pauline muss Zeit ihres Lebens eine besondere Frau gewesen sein. Pauline? Die Rede ist von einer Prinzessin, 1769 auf Schloss Ballenstedt im Harz geboren, Prinzessin von Anhalt-Bernburg. Sie heiratet mit 27 Jahren auf Drängen ihres Vaters und eher widerwillig Leopold I., den Fürsten zur Lippe aus Detmold. Dessen Leben indes währt nicht lang – und so tritt Pauline, jetzt also Fürstin, die Nachfolge ihres verstorbenen Gatten an. Für das kleine Fürstentum Lippe mit seiner Bevölkerung eine segensreiche Regentschaft. 18 Jahre lang. Vor 200 Jahren starb Pauline. Und das war Anlass für das Landestheater Detmold, ihr Leben und Wirken erstmals auf die Theaterbühne zu stellen. Johannes Jordan entwickelte ein Libretto, Andreas Jören schrieb Musik dazu – ein Musical.

Andreas Jören ist ein Vollblutmusiker, Sänger von Hause aus. Seit gut 15 Jahren gehört der Bariton zum Solistenensemble des Detmolder Theaters. Mit Fug und Recht darf man ihn, obgleich im Ruhrgebiet geboren, längst als Detmolder Urgestein bezeichnen. Was ihn auszeichnet, ist seine Vielseitigkeit, sein künstlerisches Engagement ohne Scheuklappen und Berührungsängste. Jetzt schrieb er also ein Musical, das nicht nur dem ortsansässigen Publikum eine bemerkenswerte Detmolder Fürstin nahebrachte. Es bescherte auch all jenen Menschen, die nicht in Ostwestfalen-Lippe beheimatet sind, eine anschauliche Stunde Geschichtsunterricht.

Zwei zentrale Punkte bleiben nach diesem Musical „Pauline“ unbedingt hängen: zum einen das soziale Engagement der Adeligen, zum anderen ihr politisches Geschick auf europäischer Bühne, das dem Fürstentum Lippe seine Unabhängigkeit sicherte. Beide Aspekte setzen Librettist und Komponist in einer Folge einzelner Szenen ansprechend in Wort, Bild und Musik um. Die junge Pauline, schon ihrem Vater gegenüber sehr selbstbewusst und mit „eigenem Kopf“, trotzdem nicht abgeneigt, sich vom Herrn Papa Unterweisungen im Schießen erteilen zu lassen; die sich den gesellschaftlichen und politischen Erfordernissen ergebende Heiratskandidatin; die unerwartet früh Verantwortung übernehmende Witwe; ihr Blick auf die Armen und Geknechteten quasi vor ihrer Haustür… Pauline ist beharrliche Diplomatin und humane Samariterin in einem.

Die Szenenabfolge wird verbunden durch Erzählungen von Fräulein Biedersee, dem Schlossgespenst, das seit über 200 Jahren durch die fürstlichen Gemäuer schwebt. Sie hat alles miterlebt, erinnert sich daran, wie Pauline Schulen gründete, sich um Kinder arbeitender Frauen und Waisen kümmerte, ein Lehrerseminar einrichtete. Und wie Pauline 1807 bis nach Paris reiste, um sich mit keinem Geringeren als Napoleon für ihr Fürstentum einzusetzen – erfolgreich.

Musikalisch ist Andreas Jörens Musik breit aufgestellt. Da finden sich Chansons ebenso wie opernhafte Arien und knackige „Krimimusik“, wenn machtgierige Intriganten auftauchen. Ein Choral wird gesungen, in Duetten wird geliebt und gelitten. Und wenn‘s um die ekligen Bettwanzen im napoleonischen Schloss Fontainebleau geht, strampeln zum Entsetzen Paulines zweibeinige Insekten über das Podium, begleitet von knackigem Big-Band-Sound. Eine gute Mischung also, immer unter Spannung gehalten von Mathias Mönius, Kapellmeister und Studienleiter am Theater Detmold. Allenfalls zu kritisieren wäre, dass der Text von Johannes Jordan sporadisch doch eher in holzschnittartigen Reim verfällt.

Die Inszenierung von Guta G. N. Rau (Regie) und Nora Johanna Gromer (Bühne) kommt mit wenigen Requisiten aus, was dem Stück absolut keinen Abbruch tut. Der Innenhof des Theaters erweist sich als Aufführungsort auch akustisch als dankbar. Und gesungen wird einfach prima. Vor allem die Damen machen da eine gute Figur: Annina Olivia Battaglia als junge Pauline und Napoleons Gattin Joséphine, Silke Dubilier als erwachsene Fürstin, auch Brigitte Bauma als Schlossgespenst (die vielleicht ein paar Mal zu häufig nach verlorenen Briefen sucht…). Nando Zickgraf ist ein stattlicher Leopold-Sohn, Adrian Thomser ein hübsch französelnder Napoleon. Joachim Ruczynski und Patrick Hellenbrand komplettieren schön das Tableau der sieben Gesangspartien. Vor allem aber macht es großen Spaß, den „Detmolder Schlossspatzen“ zuzusehen und zuzuhören – ein erfrischender, von Christiane Schmidt geleiteter Jugendchor, dem man seinen professionellen Gesangsunterricht in jedem Moment anmerkt wie seinen ebenso lockeren wie perfekten Umgang mit der Choreografie.

Viel Applaus vom Uraufführungs-Publikum – die Premierenfeier fiel natürlich aus. Vielleicht kommt sie später…


 

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